Pflegerin in einer WG:Eine intensive Freundschaft

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Anna ist Pflegerin in der Intensivförderungsgruppe. Sie betreut eine WG, deren Bewohner an einer Muskelerkrankung leiden, die tödlich enden wird. "Natürlich ist es hart", sagt die 24-Jährige. Doch warum nur noch so wenige Menschen Pfleger werden wollen, kann sie überhaupt nicht verstehen.

Antonia Schaefer

"Anna kannst du mir bitte die Maske richten?", fragt Josef. Vorsichtig und behutsam legt die Pflegerin die Atemmaske über die Nase, damit er optimal mit Sauerstoff versorgt wird. Josef sitzt mit zwei anderen Bewohnern der Intensivfördergruppe (IFG) an dem Esstisch und schaut gebannt auf den Fernseher, es läuft "Mitten im Leben".

Mitten im Leben: Die WG der Intensivfördergruppe in München. (Foto: Antonia Schaefer)

An der rechten Armablage seines E-Rollis klebt sein "Autokennzeichen" mit seinem Namen darauf. Josef kann nicht mehr gehen, seine Arme nicht mehr bewegen, kann nicht mehr alleine essen oder baden. Er ist auf Hilfe angewiesen, bei jedem seiner "Schritte". So sieht es aus, mitten in seinem Leben.

Anna ist 24 Jahre alt und Pflegerin in der wohl ungewöhnlichsten WG Münchens. Josef und fünf weitere Bewohner leben hier zusammen und haben ihre "ganz normalen Probleme, die eben entstehen, wenn man auf engen Raum zusammenlebt", sagt Conrad und schmunzelt.

Conrad (24), Josef (23), Christian (22), Flo (19) und Abdulla (23, genannt Abi) leiden an Muskeldystrophie Duchenne, einer Muskelerkrankung, bei der es mit fortschreitendem Alter zu Muskelschwächungen und Muskelabbau kommt und die nur Jungen bekommen. Sie beginnt im Kleinkindalter mit einer Schwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur, schreitet rasch voran und endet, meist im jungen Erwachsenenalter. Tödlich, sobald die Herz- und Atemmuskulatur abgebaut wird.

"Natürlich ist es hart und man wird ins kalte Wasser geworfen, aber es ist eben learning by doing", sagt Anna. Die Jungs müssen rund um die Uhr versorgt werden. Katheterwechsel, Kanülenwechsel und Luftröhrenschnitt. Der ganz normale Alltag von Anna, obwohl sie keine Krankenschwester ist. Sie hat eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und ist jetzt seit ihrem Praktikum vor dreieinhalb Jahren in der IFG2. Nur die schwersten Fälle werden hier aufgenommen.

Ihre Jungs brauchen sie

"Ich verstehe nicht, wie Leute, die hier einmal mit den Jungs zusammengearbeitet haben einfach wieder gehen können", rätselt Anna. Viele der Praktikantinnen, die für ein Jahr bei ihnen geblieben sind, sind danach zurück in die Krankenhäuser gegangen, anstatt hier in dieser kleinen Familie zu leben, wo die Jungs sie doch so dringend brauchen könnten.

Die Brüssler Pläne, die Ausbildung von Pflegern, Krankenschwestern und Hebammen in den EU-Ländern zu vereinheitlichen, kann sie nicht nachvollziehen. Hierzulande müssen die Berufsfelder nur zehn Schuljahre vorweisen. In 24 Mitgliedsstaaten sind die geforderten zwölf Jahre bereits Pflicht. Deshalb befürchten Gewerkschaften und Pflegeverbände, dass mit der Abiturpflicht die ohnehin schon schwindende Bewerberzahl noch weiter sinkt und der Nachwuchs in der Pflege ausbleibt. Doch wer soll sich dann in Zukunft um die rund 7,1 Millionen schwerbehinderte Menschen, davon 2,3 Millionen Pflegebedürftige, in Deutschland kümmern?

Anna schüttelt traurig den Kopf. "Der Pflegeberuf wird geschätzt und anerkannt, weil er nötig ist, um unsere Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Aber gefördert wird er nicht. Hinzu komme, dass der Berufsstand meist sehr schlecht bezahlt wird. Zum Vergleich: Das Durchschnitts-Monatseinkommen im Dienstleistungsbereich lag nach Berechnungen des statistischen Bundesamts zuletzt bei 3234 Euro. Pflegekräfte müssen sich dagegen mit Einstiegsgehältern von etwa 2000 bis 2500 Euro begnügen.

Wo ist der Anreiz, damit neue Pfleger nachkommen? Allein das Wissen, dass sie Menschen ein Leben gewähren, dass ohne ihre Hilfe gar nicht möglich wäre, reicht da manchmal nicht aus.

Darüber können sich Anna und ihre "zweite Familie", wie sie die Bewohner der IFG2 liebevoll nennt, nicht Gedanken machen. Es ist 17 Uhr und Zeit, dass Flo anfängt zu kochen. Jeden Tag muss ein anderer Bewohner an den Herd, denn abends wird immer zusammen gegessen. Heute gibt es Toast Hawai. "Ja unser Kleiner kann eben noch nicht so gut alleine kochen", lacht Conrad und Christian rümpft leicht die Nase, als er hört, was es denn heute gibt. Denn anspruchsvolle Köche, das sind die Bewohner alle. Die Sendung Das perfekte Dinner wird hier gelegentlich nachgespielt. Drei Gänge muss dann jeder Bewohner selbstständig kochen.

Leider ist das Kochen "alleine", aber nicht so selbstständig, wie die Bewohner es gerne hätten. Da sie meist nur noch ihren kleinen Finger bewegenen können, geben sie ihren Pflegern genaue Anweisungen, wie sie das Essen zubreiten müssen. "Da können sie ihren Willen ganz schön durchsetzten", verrät Wolfgang, ebenfalls Pfleger, der gerade Flos Toasts mit Schinken und Salami belegt.

Aus dem Wohnzimmer ruft Conrad Flo ungeduldig zu: "Beeil dich mal ein bisschen, der Abi schläft ja schon ein, bevor das Essen überhaupt auf dem Tisch steht!". Anna muss lachen, während sie geruhsam weiter den Tisch deckt. Wolfgang serviert das Essen und Flo rollt vorbei an den Bildern, die ihre Ausflüge in den Zoo, zu Sea Life, in die Allianz Arena und ihre Ferienfahrten dokumentieren. Ein ganz normaler Abend in einer fast ganz normalen WG.

Die Autorin Antonia Schaefer nimmt am Ausbildungsgang Modejournalismus/Medienkommunikation der Akademie Mode und Design (AMD) teil. Die Reportage ist im Rahmen des Kurses "Journalistisches Schreiben" entstanden. Mehr Informationen über die Pfennigparade gibt es hier.

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