Pflege-Skandal:Versteckte Kamera im Weihnachtsbaum

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Mit einer Mini-Kamera hat ein Mann seine Mutter im Heim verdeckt gefilmt, um auf Versorgungs-Misstände hinzuweisen. RTL hat das Video gezeigt. Nun wollte das Heim die alte Dame loswerden.

Ekkehard Müller-Jentsch

Eine 96 Jahre alte demenzkranke Frau darf per Gerichtsurteil in ihrem Altenpflegeheim bleiben. Die Heimleitung hatte sie Anfang des Jahres auf Räumung ihres Zimmers verklagt, weil der Sohn der Patientin heimliche Video-Aufnahmen für einen privaten Fernsehsender erstellt hatte, um auf Pflegenotstände hinzuweisen.

Eine Mini-Kamera filmte die Vorgänge im Pflegeheim - RTL strahlte sie aus. (Foto: Foto: ddp)

Das Landgericht München I stellte am Montag jedoch fest, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt war.

Die Patientin treffe zwar keine Schuld, sie müsse sich aber das "Fehlverhalten" ihres Sohnes zurechnen lassen, hatte der Heimleiter zur Begründung der Räumungsklage erklärt.

Er warf dem 65-jährigen Sohn der Frau vor, im Weihnachtsbaum eine Mini-Kamera mit Sender versteckt zu haben. Der damit gedrehte Film war dann von RTL in einem Beitrag über Pflegeskandale in deutschen Heimen ausgestrahlt worden.

Der Sohn hatte sein Verhalten damit begründet, dass die alte Frau zu wenig zu trinken bekommen habe und nie ins Freie geführt worden sei. Sie habe sich wund gelegen, die Windeln seien nicht regelmäßig gewechselt worden, oft habe es im Zimmer nach Urin und Fäkalien gerochen.

Trotz regelmäßiger Beschwerden sei der Heimleiter nicht gesprächsbereit gewesen, deshalb sei die Aktion mit der Geheimkamera notwendig gewesen.

"Massive Rufschädigung"

Nach der RTL-Sendung wurde der Heimvertrag fristlos gekündigt und ein Hausverbot gegen den Sohn ausgesprochen. Eine weitere Kündigung wurde ausgesprochen, weil er auch beträchtliche Pflegegelder nicht bezahlt hatte. Es kam zwar noch zu einem Gespräch zwischen den Kontrahenten, das der Sohn aber erneut heimlich filmte und wieder dem Sender zur Verfügung stellte.

Der Heimbetreiber sah das als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter des Pflegeheims an. Die "falsche Darstellung der Pflegeverhältnisse" habe eine massive Rufschädigung bewirkt, so dass ein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege.

Die 96-Jährige sei stets ordnungsgemäß gepflegt worden und habe ausreichend Flüssigkeit erhalten. Deswegen sei auch das Entgelt für die Heimunterbringung zu Unrecht gekürzt worden.

Dem widersprach der Sohn, der als Betreuer seine Mutter vertrat. Es habe nicht nur an ausreichender Flüssigkeitszufuhr und Wundversorgung gefehlt. Die Station sei auch chronisch unterbesetzt gewesen.

Um das zu beweisen, sei die Installation der Kamera gerechtfertigt gewesen. Die Veröffentlichung der Bilder habe er als das letzte Mittel angesehen, da die Heimleitung nicht gesprächsbereit gewesen sei.

Die Richterin der 28. Zivilkammer kam nach umfangreicher Beweisaufnahme jedoch zu dem Ergebnis, dass der Heimleitung keine Versäumnisse bei der Pflege der 96-Jährigen nachzuweisen sind.

Umzug wäre eine Zumutung

Nach Aussagen der Mitarbeiter des Heims und der behandelnden Ärztin sowie nach Angaben eines unabhängigen Gerichtssachverständigen stehe fest, dass die Seniorin keineswegs unter Flüssigkeitsmangel zu leiden hatte. Den Heimbewohnern seien auch nachts Getränke gereicht worden. Und die häufigen Verletzungen seien auf den schlechten Hautzustand der Patientin zurückzuführen, nicht auf Pflegemängel.

Deswegen muss der Sohn nun auch das von ihm bisher zurückbehaltene Pflegegeld von knapp 20 000 Euro nachbezahlen. Allerdings rechtfertigt dieser Zahlungsrückstand die Kündigung nicht, meinte das Gericht.

Denn die Heimleitung habe es versäumt, die nächtliche Getränkegabe ausreichend zu dokumentieren. Der Betreuer habe daher nicht schuldhaft gehandelt, als er von 13-stündigen Trinkpausen ausging und deswegen das Entgelt minderte.

Zu der Kamera-Aktion erklärte die Richterin: "Selbst wenn man davon ausgeht - wofür auch gute Gründe sprechen - dass die heimlichen Filmaufnahmen und die Weitergabe derselben an den Fernsehsender RTL rechtswidrig waren, so muss doch die Kündigung des Vertrages das letzte Mittel sein."

Als "milderes Mittel" sah das Gericht ein kontrolliertes Besuchsrecht an. So könne einerseits die Patientin im Heim bleiben - andererseits sei es dem Sohn möglich, seine Mutter zu besuchen. Und gleichzeitig könne die Heimleitung Vorfälle, wie die heimliche Anbringung einer Videokamera, verhindern.

"Die für die Klägerin und ihre Mitarbeiter lästige Auseinandersetzung mit dem ,schwierigen' Angehörigen ihrer Heimbewohnerin kann ihr nicht durch die Kündigung erspart werden", heißt es in dem Urteil.

In diesem Fall gingen die durch das Heimgesetz besonders geschützten Interessen der Bewohnerin vor, "für die ein nochmaliger Umzug mit 96 Jahren eine Zumutung wäre". Zumal sie persönlich ein eigenes Verschulden an der schwierigen Situation nicht treffe. Das Urteil (Az.: 28 O 8172/05) ist noch nicht rechtskräftig.

© SZ vom 19.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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