Partyszene:Feiern bis die Rote Sonne aufgeht

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Das Klischee vom Schicki-Micki-Szenegänger hat ausgedient: Münchens Clublandschaft ist so vielseitig wie nie zuvor

Klaus Raab

Die New York Times veröffentlichte im Januar einen Artikel über Münchens Nachtleben. Er beginnt damit, dass in der X-Cess-Bar in der Jahnstraße eine junge Frau mit ,,vampy eyeliner'' zur Musik tanzt. Die Pointe dieser Beobachtung des Journalisten ist, dass er sie in der Nacht zum Buß- und Bettag machte, einem evangelischen Feiertag, an dem es in München eigentlich Usus sei, in sich zu gehen statt aus sich heraus. Stefan, ein Gast der Bar, den der Journalist zitiert, sagt aber: ,,Die Berliner scheren sich nicht darum, also warum wir?'' Und so bilanziert die New York Times: München sei ,,weniger konservativ als sein Ruf''.

Womit wir mitten in einer alten Geschichte wären: Die Stadt München ist nur das eine. Das andere ist ihr Ruf, das oft klischeehaft überzeichnete Fremdbild der Stadt. München in der Karikatur - da müssen Bierfässer vorkommen, groß genug für eine Kleinfamilie, Laptops, Lederhosen, teure Autos, Blasmusik und, was das Ausgehen betrifft, die streng kontrollierte Tür zur noblen Diskothek P1, deren Geschichte 1949 begann und die für das Image der Stadt daher schon aus Tradition prägend ist.

Das P1 könnte also der Anlass gewesen sein, dass die New York Times schrieb: ,,In einige der Clubs der Stadt hineinzukommen, kann tricky sein, wenn man nicht schicki-micki ist. Denn die Unhöflichkeit der Münchner Türsteher ist legendär, sie sind bekannt dafür, dass sie anstehenden Besuchern ganz genau sagen, welcher Teil ihres Gesichts gegen den Einlass in den Club spricht.''

Scorpions? Kein Einlass!

Doch nicht nur das P1 steht in München für diese von Anekdoten umrankte Türpolitik (abgewiesene Mitglieder der Rockband Scorpions: ,,Aber wir sind doch die Scorpions!'' - P1-Türsteher: ,,Eben.''), die denen ein Gefühl von Exklusivität vermittelt, die trotzdem hinein kommen. Auch im 2 Rooms am Stachus, das vor zwei Jahren als Club für Jungunternehmer und so genannte Fashion-People öffnete, oder in der weniger elitär gemeinten Ersten Liga in der Thalkirchner Straße kann man am Eingang abblitzen.

Kurz: Das Klischee von der harten Münchner Tür ist nicht falsch. Doch was hier beschrieben wird, ist nicht Münchens Clubszene, sondern nur ein kleiner Ausschnitt davon, den selbst ein großer Teil des heutigen Nachtlebenpublikums nur vom Hörensagen kennt.

In der Stadt hat sich - nicht nur in den letzten vier Jahren, da aber besonders rapide - eine heterogene Szene von 25 bis 30 Clubs entwickelt, von A wie Ampere über C wie Cord und M wie Monofaktur bis Z wie Zerwirk. Dank der neuen Clubs bröckelt die Vorstellung, München bei Nacht sei nur die Heimat der Schickeria. ,,Es gab immer Leute in der Stadt, die sich nicht groß darum scherten, ob erfolgreich war, was sie machten'', sagt Ivica Vukelic. ,,Sie tun das, weil es ein Bedürfnis danach gibt.''

Vukelic selbst ist eine lebende Antithese zur Behauptung vom auf Neoliberalismus festgelegten München - er veranstaltet mit seinem Partner Tobias Frank unter dem Namen Club2 Independent-Konzerte, die sich nicht in allen Fällen für sie rechnen. Und er tat das schon, bevor die Innenstadt eine Art Clubschwemme erlebte. Doch erst allmählich kommt die neue Vielseitigkeit auch in der Wahrnehmung derer an, die sie nicht aktiv nutzen.

Mehr Clubs als Anwohner

Einen ,,Kunstpark Innenstadt'' nennt Vukelic die neuen Clubs der letzten Zeit - eine Anspielung an den Namen des heute geschlossenen Kunstparks Ost am Ostbahnhof, der mehrere Dutzend Diskotheken und Clubs beherbergte. Doch der Unterschied zwischen Kunstpark Ost und den Innenstadt-Clubs ist, dass es im Kunstpark auf wenig Raum viele Clubs, aber keine Anwohner gab; der etwas abfällige Begriff ,,Vergnügungsghetto'' war also gar nicht so abwegig.

Und auch wenn sich viele der neuen Clubs in der Innenstadt ebenfalls in Fußnähe zueinander befinden - es stehen doch auch noch ein paar Wohnhäuser dazwischen, was für Bewohner und Clubbetreiber Tücken hat: Die belebte Innenstadt ,,ist gut für das Flair der Stadt'', sagt Sandra Forster. ,,Und die Anwohner wünschen sich einerseits einen großstädtischen Wohnort, kommen aber nicht mit ihrer Kehrseite klar: Verunreinigungen und Lärm.'' Forster hat die Konsequenzen gerade hinter sich: Sie ist eine der Betreiberinnen des Zerwirk in der Ledererstraße. Darin befindet sich ein Saal, in dem noch Veranstaltungen stattfinden dürfen. Unten war ein Club. Der musste nach einer kurzen Blütezeit wieder schließen, nachdem sich Anwohner zu oft beschwert hatten.

Eldorado bis in die Morgenstunden

,,In anderen Städten, in denen die Clubs zentral liegen, ist das Problem dasselbe'', sagt Christian Heine, Betreiber des Atomic Cafés in der Neuturmstraße, des mit elf Jahren ältesten Innenstadtclubs. ,,Wo es Clubs und Anwohner gibt, muss man sich arrangieren. In London machen alle Clubs um drei zu, dagegen haben wir Eldorado.'' Auch Heine kennt das Problem der herumliegenden Flaschen und lauten Gäste - im Gegensatz zum Zerwirk aber befindet sich das Atomic Café, Hochburg des Brit-Rock und Sixties-Soul, in einem Bürogebäude.

Der neue Stilmix ist in vielen neuen Lokalen kulturell gewollt. Im Rock- und Jazz-Club Monofaktur in der Blumenstraße oder Elektroclubs wie der Roten Sonne am Maximiliansplatz, dem Harry Klein am Ostbahnhof oder der Registratur in der Blumenstraße entstehen mit dem Programm neue hybride, unreine Stilformen; die Musik, die dort gespielt wird, ist experimentell bis avantgardistisch. Die neue Clublandschaft lässt sich so als Entwicklung gegen stilistische Eingleisigkeit deuten, gegen das also, was München ja oft vorgeworfen wird.

Man kann im Nachtleben heute, wohl leichter denn je, Milieu-Hopping betreiben. Ihren geographischen Höhepunkt hat diese Mischung an der Schnittstelle von Rote Sonne und Pacha am Maximiliansplatz. Zum Pacha geht es nach oben, in die Rote Sonne nach unten - und die Treppen führen in verschiedene Lebenswelten.

Kommerz gegen Experiment

Oben legt zum Beispiel der Robbie-Williams-World-Tour-DJ auf - der Name verheißt sauberen, klar definierbaren Partysound. Unten, in der Roten Sonne, heißen die DJs Mediengruppe Telekommander, Gebrüder Teichmann oder Mistakeman; sie stehen für innovative Sounds und sind ebenfalls große Namen - allerdings nur für Musikkenner. Im einen Club geht es um den kommerziellen Erfolg, im anderen um das Experiment.

Und für beide gibt es ein Publikum, wie für viele neue Clubs in der Stadt. Zumindest für die meisten: Der Woanders Club in der Sonnenstraße muss nun schließen. Aber es ist beinahe zwangsläufig, dass an seiner Stelle demnächst wieder ein Szenelokal aufmacht. Was die Halbwertszeit der Clubs angeht, kann München längst mit Berlin konkurrieren.

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