Panorama:Im Anfang war die Wurst

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Geburtstag im Schweinsdarm: Die Thüringer Rostbratwurst wird 600.

Letztlich laufen alle Fragen auf die nach Anfang und Ende hinaus. Also feiert der Mensch seinen Geburtstag, um sich des eigenen Beginns zu versichern, zählt er die verlebten Jahre und spekuliert auf die potenziell verbleibende Zeit. Mancher überlegt, wie oft er wohl die Kastanien noch blühen sieht, andere fürchten, sie könnten womöglich unerwünscht hundert werden, wieder andere suchen gleich nach Spuren des Urknalls im Vorgeburtlichen.

Wie dem auch sei, heute feiert Thüringen mit Ministerpräsidentenpomp und illustren Gästen den entscheidenden, weil letztgültig identitätsstiftenden Geburtstag des Landes. Es geht um eine Erfindung, deren Duft von Thüringen kündet und auch in fernsten Zeiten noch würzig in zukünftige Nasen steigen wird: die Thüringer Bratwurst. 1404, also vor sechshundert Jahren, stellte das Arnstädter Jungfrauenkloster eine Rechnung aus über "darme czu brotwurstin". Glückwunsch und Tusch!

"In meinen Magen schöne Vergissmeinnicht"

Halt, ruft es aus dem Fränkischen. Auch da geht es nämlich um die Wurst. Die Nürnberger Rostbratwurst, ebenfalls geschützt in ihrer Art, wird dortselbst mit derselben Inbrunst verehrt, das heißt gebraten, gegrillt und dann verputzt, wie ihre legendäre Verwandte in Ost-, Süd- und Nordthüringen. Dementsprechend feierten die Nürnberger an Christi Himmelfahrt ihren 1.Bratwursttag. Der Franke Jean Paul nannte sie einst "in meinem Magen schöne Vergissmeinnicht".

Doch geht es in Thüringen wie Nürnberg immer um Schweinernes. In Thüringen nimmt man Schulter oder Keule, dreht es mit Salz und weißem Pfeffer durch den Fleischwolf, gibt Muskatblüte, Kümmel und Majoran dazu, füllt das ganze Brät in Schweinsdärme - 1404 stammten die Futterale noch von Schafen - , und schon hat alles ein Ende, nur die Wurst hat deren zwei. Selbstverständlich unterliegt das solchermaßen gefüllte Gedärm der deutschen Hackfleischordnung.

Längst haben Thüringer die längste Bratwurst der Welt gestopft: 3046 Meter, ein größenbesessener Metzger namens Zollner soll es auf 5000 Meter gebracht haben. Dabei kommt es letztlich auf Größe nicht an, siehe die Nürnberger zipfelkleinen Bratwürstchen.

Inzwischen haben sich Darmhistoriker und Brätarchäologen in Franken wie Thüringen in edlem Forscherwettstreit in dunkelste Vergangenheiten gegraben. In Thüringen zipfelten die speziell gestopften Kaldaunen schon im siebten Jahrhundert nach Christus hervor: Slawische Sorben sollen sie stets als handliche Wegzehrung bei sich geführt haben. In Franken landete man inzwischen schon in vorchristlicher Keltenzeit.

Thüringen aber wird, dem ewig strebend sich bemühenden Faust verpflichtet, nicht ruhen, den Tag des allerersten Bratdärmlings auf heimischem Grund nachzuweisen. Jedenfalls kann es am Ende nur heißen: Im Anfang war die Wurst.

© SZ vom 22.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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