Orient:"Ich spüre die Blicke nicht"

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Özlem tritt in türkischen Lokalen als Bauchtänzerin auf. Norbert Joa hat mit ihr über Geldscheine am Dekolletee und männliche Blicke gesprochen.

SZ: Wie fühlen sich Männerblicke auf der Haut an?

Özlem: Ich seh' sie gar nicht, weil ich mich ganz aufs Tanzen konzentriere und der Musik hingebe. Erst bei der Zugabe widme ich mich den Gästen.

SZ: Und was nervt mehr - wenn Sie angestarrt werden oder wenn Sie missachtet werden?

Özlem: Ich werde lieber angestarrt. Wenn sich jemand einfach weiter unterhält und mich nicht beachtet, ist das fies.

SZ: Heute waren viele Paare im Lokal. Da ist die Stimmung sicher anders ...

Özlem: Klar, ohne Frauen trauen sich die Männer mehr, pfeifen, klatschen, johlen, tanzen ganz anders.

SZ: Gibt's das eigentlich noch - Begeisterte, die Ihnen nach dem Bauchtanz 50-er Scheine ins Dekolletee stecken?

Özlem: Ganz selten. Vor zehn Jahren gab's das noch viel mehr - da bin ich mal mit 500 Mark Trinkgeld rausgegangen.

SZ: Und heute?

Özlem: Die Hälfte, manchmal gar nix. Aber es gibt ja ein Festgeld vom Wirt.

SZ: Mir kommt es vor, als sei der Bauchtanz uns Männern zuliebe erfunden worden.

Özlem: Nein, ganz früher war es ein Geburtentanz. Von Frauen für Frauen. Die haben sich das in Ägypten gegenseitig vorgetanzt - eine Art Schwangerschaftsübung, sozusagen Beckenkreisen mit Musik. Das war auch nicht öffentlich. Dann haben die Männer das so hingedeichselt, dass es erotisierend wurde... Frauen tanzten zur Belustigung der Paschas, die am Boden lagen, zusahen und rauchten.

SZ: Wurde die Bauchtänzerin geehrt?

Özlem: Nein. So eine heiratet man nicht - die schaut man an, genießt ihren Anblick. Außerhalb der Städte ist das bei mir daheim heute noch so.

SZ: Man ist Lustobjekt und wird gleichzeitig verachtet?

Özlem: Genau. Doppelmoral.

SZ: Dann sind Sie entweder solo oder haben einen deutschen Freund?

Özlem: Weder noch - ich hab' einen türkischen Freund. Aber er duldet es, weil ich es schon so lange mache und mein Herz am Tanzen hängt.

SZ: Wo ist er gerade?

Özlem: Wartet draußen im Auto.

SZ: Parkt lieber eine halbe Stunde im Regen, als Sie tanzen zu sehen?

Özlem: (lachend) Ja. Er liebt mich halt und will nicht sehen, wie andere mir Geld zustecken.

SZ: Wie lange muss er noch auf Ihren letzten Auftritt warten?

Özlem: Ich hab schon mal aufgehört, bin aber rückfällig geworden. Vielleicht noch fünf Jahre, dann bin ich 35. Dann wird's schwer gegen die 20-Jährigen. Von denen sind manche schön knackig.

SZ: Aber ein bisschen Bauch ist doch nicht schlimm beim Bauchtanz.

Özlem: Ja, hier schon. Aber die Türken sehen es lieber, wenn die Tänzerin 90-60-90 gebaut ist. Bei den Europäern gehört Bauch fast schon dazu.

SZ: Gibt es sonst noch Unterschiede?

Özlem: Die Münchner respektieren meinen Tanz, die ehren ihn. Weil ich ja Künstlerin bin.

Özlem und andere Bauchtänzerinnen treten meist am Wochenende auf - zum Beispiel im Keko (Edlingerstr. 13), dem Leonrod (Leonrodstr.45) und in der Karawanserei (Pettenkoferstr.1).

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