Open Air am Münchner Filmfest:Luftspiegelung in der Wüstennacht

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Warum Las Vegas zum Kino passt wie die Faust aufs Auge - Erkenntnisse aus der Open-Air-Reihe des Filmfests.

Doris Kuhn

Es gibt das New York von Martin Scorsese und das von Woody Allen, das von Amos Poe oder das von Spike Lee. Bei jedem Filmemacher ist New York eine andere Stadt, deren diverse Territorien unterschiedlich genutzt werden, deren Bewohner nicht annähernd dieselben Interessen verfolgen. Nicht so Las Vegas. Las Vegas ist, seit darüber Filme gemacht werden, ein Phantom, ist glitzernde Fassade und Geldmaschine, niemals realer Ort, immer reiner Mythos - definiert durch die Suche nach dem Glück.

"Fear And Loathing in Las Vegas": den Kofferraum voll sewusstseinserweiternd Substanzen. (Foto: Foto: oh)

In Las Vegas ist man entweder Teil des organisierten Verbrechens, das am Glücksspiel verdient, und sei es bloß durch die Geldwäsche, oder Glücksspieler, Professionelle, die nur am Pokertisch zum Leben erwachen - und dann die amüsierwilligen Besucher, die "Trottel, die jede Nacht einfliegen mit den Taschen voller Kleingeld", wie Robert De Niro sie in "Casino" nennt.

Von tatsächlichen Bewohnern von Las Vegas zu sprechen, ist sowieso verkehrt, denn von solchen Bewohnern hat man bisher nicht viel gehört. Die meisten, die sich hier aufhalten, sind Gäste für kurze Zeit. Eine Masse von blassen Gestalten, deren Kongresse, Tradeshows, Kurzurlaube oder Saisonjobs in endloser Gleichförmigkeit vorüberziehen, wie die Kugeln auf den Roulettetischen.

Las Vegas als Ort, in dem gewöhnliche Menschen leben, die Beruf, Alltag und Kinder haben, das findet niemand in den Filmen, die in oder mit dieser Stadt spielen. Verschwörungstheorien bestätigen mittlerweile, dass es Las Vegas gar nicht gibt; dass diese Stadt nur als Kulisse existiert, in einem Studio irgendwo in Hollywood, in abseitiger Lage, wahrscheinlich gleich neben dem, in dem die Mondlandung gedreht wurde.

Der Weg des Geldes

Das Münchner Filmfest bietet einen kleinen Crashkurs in Sachen Las Vegas, jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit gegen 22 Uhr, im Open Air Kino am Gasteig. Der historische Überblick begann natürlich bei Lewis Milestone und dessen originalem "Ocean's 11", den Steven Soderbergh dann mit seinem Remake so populär machte, dass man Las Vegas auch in Europa kennenlernte.

In Barry Levinsons "Bugsy" konnte man die Gründung der Stadt als Geschäftsbasis für Warren Beatty verfolgen, nach einem Drehbuch des großen James Toback, mit Dialogen, die funkeln wie Rückspiegel im Scheinwerferlicht. In "Casino" hat Martin Scorsese sein Ostküsten-Terrain verlassen, um zu zeigen, wie das mit dem Gewinnen in Las Vegas vor sich geht: In einer langen Sequenz sieht man den Weg des Geldes, vom Spieltisch in die Zählräume, und von dort in die Aktentaschen unauffälliger Männer, die es wieder in der Wirklichkeit abliefern, in Kansas City zum Beispiel.

Am Dienstag kommt man der Wahrheit über Las Vegas schon verdammt nahe, denn da läuft Tim Burtons "Mars Attacks!", und wenn irgendjemand dauerhaft in Las Vegas Quartier bezieht, dann können das nur die Außerirdischen sein - oder Annette Bening, die immer wieder in Las-Vegas-Filmen auftaucht, aber wo kommt eigentlich Annette Bening her? Eine Frage für Johnny Depp, den einzigen, der Hunter S. Thompsons ehemalige Rolling-Stone-Story "Fear And Loathing in Las Vegas" halbwegs adäquat umsetzen konnte. Seinen Anwalt an der Seite, den Kofferraum voll bewusstseinserweiternd Substanzen, behält er die Außerirdischen fest im Blick, liefert sich Las Vegas aus und überlebt.

Wayne Kramer zeigt am Donnerstag mit "The Cooler" die Geschichte eines ehemaligen Spielers, der sechs Jahre im Shangri-La arbeiten muss, um seine Schulden abzubezahlen. Er hat die seltene Fähigkeit, durch seine bloße Gegenwart soviel Unglück zu verbreiten, dass die Gewinner aus ihren Glücksträhnen fallen. Bis dann Maria Bello zum ersten Mal mitkommt in sein Bett, und Sex ändert alles, sogar in Las Vegas. Als Abschluss der Reihe gibt es "Lucky You", einen Spielerfilm mit Eric Bana, der, was Filmanfänge angeht, weltweit unter den besten zehn liegen müsste, aber auch am Pokertisch die Versprechen des Genres einhält.

Man kann also auf dem Filmfest sieben Tage lang einen Blick auf jenes altmodische Amerika des Entrepreneurs werfen, das sich in Las Vegas, oder in den Filmen über Las Vegas, so unverstellt zu erkennen gibt wie nirgends sonst - Unternehmergeist, kriminelle Energie, Stillosigkeit, Rausch und Gewalt mitten in der Wüste. Und niemand sehnt sich so sehr nach diesem Las Vegas zurück wie Las Vegas selbst. Immerhin verkauft sich die Wüstenmetropole inzwischen wieder als "Stadt der Sünden".

© SZ vom 24.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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