Oktoberfest in Daressalam:Nyungu limevunjwa - Ozapft is!

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Alles in Butter soweit, aber dann scheitert es am Senf. Als Enrico Ssewalula sich seine Weißwurst holt, ist er plötzlich da, der unverzeihliche Fehler: Der Senf fehlt. Warum die Wiesn in Daressalam eine Strandn und das hakuna matata ist.

Von Klaus Raab

"Weißwurst ohne Senf", weiß Daniel, ausgerechnet ein gebürtiger Berliner, "das ist wie ein Auto ohne Benzin".

Enrico also, der arme, unwissende Wurstfreund, geht Senf holen, kommt mit Ketchup zurück, und als endlich alle Deutschen am Tisch ihren Senf dazugegeben haben und zufrieden sind mit der Ausübung ihrer Fresskultur und Enrico anfängt, mit Messer und Gabel seine Weißwurst zu bearbeiten, ist sie kalt.

Eine gute Stunde später hat er die Wurst verzehrt und den Schock verdaut und steht auf einer Bierbank, zusammen mit Cecilia, Medzio, Daniel und Leanne. Oktoberfest in Dar es Salaam, das heißt erstens: October Fest. Und zweitens: dass 48 Biergarnituren ausreichen.

October Fest in Dar es Salaam heißt desweiteren, dass die Mass in zwei Halben ausgeschenkt wird und die Halbe den halben Münchner Preis kostet; dass die Wiesn eigentlich eine Strandn ist, weil sie direkt am Indischen Ozean stattfindet, am Ufer der Oysterbay; und dass der Strandn-Hit "Jambo bwana" heißt, was schief übersetzt in etwa "Servus Oida" bedeutet und ein fast schon Volksgut zu nennendes tansanisches Lied ist, gegen das der "Anton aus Tirol" nicht anstinken kann und dessen Textzeile "Hakuna matata" der niederbayerische Sänger mit "scheiß wurscht" wiedergibt.

Na servus also: Es geht um die Wurst in Daressalam, der heimlichen Hauptstadt Tansanias, um die Wurst, um die Brezn, ums Hendl und ums Bier. Und damit um die Frage, ob Löwenbräu oder Serengeti Lager in Tansania die bessere Wahl ist. Wenn man genauer drüber nachtrinkt, ist das allerdings halbwegs hakuna matata. Nur mit dem Franziskaner Weißbier hat Medzio seine matata, also ein Problemchen: Er füllt sein Weißbierglas so ausschließlich mit Schaum, dass man es fast schon wieder als Kunst bezeichnen könnte.

Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, und bayerische Lebensart will ebenfalls schluckweise erlernt sein. O'zapft is jedenfalls. Nyungu limevunjwa - auf Kiswahili. Die Band spielt derweil "Ein Prosit der Gemütlichkeit", was bei einigen Besuchern aus Tansania phonetisch als "Nairobi der Gemütlichkeit" ankommt.

Aber hakuna matata. Wurschtegal. Die Wiesn: Sie ist international und interkulturell. Und sie steckt nur dann in einer Krise, wenn jemand behauptete, sie stamme aus Mönchengladbach. Das geht auch in Nairobi nicht durch. Doch dass es auch in Nairobi eine Wiesn gibt, geht in Ordnung. Oder in Daressalam.

Vor drei Wochen spielte die Band Gams n'Edelweißes aus Niederbayern das Lied "Nairobi der Gemütlichkeit" noch im Zelt der Fischer Vroni auf der Münchner Theresienwiese. Eine original Wiesn-Band also, die da ihre dreieinhalb Tonnen Equipment und zwölf Mann inklusive Lichtmann und Ehefrau nach Daressalam schaffte, um in Tansania zu fischervronen.

Gabi Menacher, die Managerin, findet Afrika und die Idee mit dem Oktoberfest dortselbst "hammermäßig". Auch wenn der Wiesn-Hit "Ab in den Süden" hier nicht so recht ankommen mag beim Publikum. Das ist der Unterschied zwischen München und Daressalam: Abgesehen davon, dass den Text eh nur wenige verstehen, versteht man in Tansania auch nicht, was man viel weiter im Süden wollen sollte. Südpol ist blöd.

Ted Heinrich wollte in diesem Jahr alles "so authentisch wie möglich" machen; aber gegen Geschmacksunterschiede ist kein Kraut gewachsen. Ted Heinrich aus Nürnberg, der seit sieben Jahren in Daressalam lebt und fürs Fest einen bayerischen Filzhut trägt, welcher das Dirndl seiner Frau außerordentlich gut ergänzt, ist Organisator des tansanischen Oktoberfestes.

Die Gründungsidee beruht auf ein paar original Münchner Paraden von Oli Kahn in der Nationalmannschaft und ein paar original tansanischen Bieren, also auf einen tansanischen Fernsehabend mit Eurosport-Programm und daraus resultierendem Heimweh. München ist in Daressalam vor allem dank des FC Bayern bekannt, weniger durch die Wiesn, und es geschah eben während eines Deutschlandspiels bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2002, dass die in Daressalam lebenden Deutschen beschlossen, ihr eigenes Oktoberfest zu veranstalten. Vier Monate später fand es erstmals statt.

Nach der "roten Null", die vergangenes Jahr am Ende buchhalterisch verblieb, scheint es diesmal auch mit dem guten Zweck hinzuhauen, der hinter dem Fest steht und es zu einer noblen Geste gegenüber Straßenkindern macht, sich noch eine Halbe reinzustellen.

In erster Linie ist die Wiesn hier natürlich ein Besäufnisanlass für die wazungu, für die Weißen, die 80 Prozent der Besucher ausmachen; ein Fest, das eher elitär ist schon wegen des Standorts neben den Nobelboazn am Slipway, einer Art Maximilianstraße von Daressalam, der die Maximilianstraße aber übertrifft, was die Preise im Verhältnis zur durchschnittlichen Kaufkraft anbelangt; ein Fest, das zur festen Institution im Jahresplan der tansanischen Metropole werden will, so wie die Wahl zur Miss Tanzania und das Ziegenrennen.

Um die Missstände des Landes geht es da nicht vorrangig. Doch die Demonstration von ein wenig sozialem Bewusstsein spielt immer eine wichtige Rolle in Tansania, auch im Unterhaltungsprogramm. Die Moral beginnt schon in der Hitparade: "Pombe, Pombe" heißt ein bei der Jugend sehr beliebter Song, übersetzt so viel wie "Bier, Bier", je nach Gebrauch auch "Alkohol, Alkohol", das Ergebnis ist jedenfalls das selbe. Es ist ein Sauflied mit erhobenem Zeigefinger, das den Spagat versucht, die Bierwirtschaft anzukurbeln und zugleich vor den negativen Wirkungen des Alkohols zu warnen. Etwas krumm in deutsche Verhältnisse übersetzt: ein bisschen wie Grönemeyer, und ein bisschen DJ Ötzi.

Die Band probiert's schließlich nochmal mit "Ab in den Süden". Der Sänger singt den Refrain vor und ruft "Jetzt you", aber mitsingen kann keiner. Gegen Mitternacht, hat die Bierwirtschaft über die Moral gesiegt, und die Moral der Strandn ist an dem Punkt, an dem sie bei der Wiesn schon deutlich früher ist: mit ein paar Besuchern von den Bierbänken gefallen.

Aber wenn man genauer drüber nachtrinkt, ist das eigentlich hakuna matata. Noch ein Nairobi der Gemütlichkeit. Na servus, bwana. Und jetzt: you.

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