Obdachlose in München:Steif gefroren auf der Platte

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Rund 200 Obdachlose übernachten trotz klirrender Kälte im Freien - obwohl es genügend Unterkünfte gibt.

Sven Loerzer

Es ist eine bittere Geschichte, eine die zeigt, dass trotz aller Hilfsangebote tragische Vorfälle nie ganz auszuschließen sind. In den eiskalten Nächten des Winters vor zwei Jahren hat sich ein Mann, der unter der Wittelsbacher Brücke nächtigte, beide Beine erfroren. Sie mussten amputiert werden. Der Mann gehörte zu jenen Menschen, die sich trotz jahrelanger Mühe der Straßensozialarbeiter der Teestube "komm" des Evangelischen Hilfswerks nicht in einer Einrichtung für Wohnungslose unterbringen lassen wollen.

Lieber im Freien: Viele Obdachlose ziehen Minusgrade einer Unterkunft vor. (Foto: Foto: ddp)

Dem Mann hatte das lange Straßenleben schon körperlich schwer zugesetzt: "So hart es klingt", sagt Teestubenleiter Anton Auer, "aber dass er sich die Beine abgefroren hat, das hat ihm das Leben gerettet." Erst danach sei er bereit gewesen, in ein Wohnheim zu ziehen. Der Mann war gut ausgerüstet für die Eisnacht, aber er war zu alkoholisiert, um sich die Beine zuzudecken.

Streetworker finden nicht jeden

Etwa 200 Leute nächtigen derzeit draußen, sagt Auer, im Jahresschnitt sind es sonst etwa 600. "Wir haben die meisten Menschen untergebracht." Die Streetworker kennen viele Orte, wo Obdachlose "Platte machen". Und sie schauen bei jenen, die alle Unterbringungsangebote ablehnen, regelmäßig nach, "ob sie einen guten Schlafsack oder eine warme Platte haben". Weil die Streetworker aber nicht jeden finden können, "der irgendwo isoliert Platte macht", seien sie auch auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um helfen zu können (Telefon: 77 10 84).

Eine stark unterkühlte Frau, die nach einer Nacht im Auto in die Teestube kam, musste in ein Krankenhaus gebracht werden. "Je mehr die Leute trinken, desto größer ist die Gefahr - der Körper nimmt dann die Kälte nicht mehr wahr", sagt Auer. So werde es nie gänzlich auszuschließen sein, dass jemand erfriert, etwa unter einer Brücke oder auf einer Parkbank. Viele aber überstehen den Frost in Tiefgaragen, Bauwägen oder beheizten Baustellen.

Wenn die engen rechtlichen Voraussetzungen vorliegen und die Leute nicht mehr fähig sind, ihre Selbstgefährdung zu erkennen, können Streetworker in seltenen Fällen "Zwangsmaßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz" einleiten - nach sechs Wochen in der Psychiatrie führt der Weg meist zurück auf die Straße.

Bis drei Uhr morgens im Schnellimbiss

In der Obdachlosen-Arztpraxis der Benediktinerabtei St. Bonifaz hat die Ärztin Irene Frey-Mann in diesem Winter zwar noch keine Erfrierungen behandeln müssen. Viele Patienten kämen mit "Infekten der oberen Luftwege und eitriger Bronchitis", einige mit "dicken Beinen": Weil die Leute sitzend im Warmen geschlafen hätten, erhöhe sich das Risiko für "offene Beine". Einer ihrer Patienten harre in einem Schnellimbiss-Restaurant aus, bis es um drei Uhr morgens schließt. Gerade Einzelgänger und psychisch Kranke unter den Obdachlosen hielten Unterkunftsangebote oft für nicht annehmbar.

Zusätzlich sind weitere Notquartiere ohne Betreuung geöffnet, etwa wie in St. Bonifaz allabendlich der Speisesaal, wo bis zu 30 Obdachlose in Schlafsäcken auf Isomatten nächtigen können, wie Frater Emmanuel Rotter berichtet. Jeder könne somit einen warmen Schlafplatz erhalten, betont Auer. "Wir haben in München ein hervorragendes Hilfesystem, die Stadt hat viel Geld dafür investiert." Von einer nächtlichen Öffnung der U-Bahnhöfe hält er nichts: "Das würde den Leuten nur dazu verhelfen, länger auf der Straße zu bleiben."

© SZ vom 4.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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