Nutzung des öffentlichen Raums:Horror Vacui

Betonwüste, Verkehrsknotenpunkt oder Dauerbaustelle: In München und Umgebung gibt es eine Menge Plätze, die brachliegen. Sinnvolle Konzepte fehlen. In Bildern.

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(Foto: ANGELIKA BARDEHLE)

Betonwüste, Verkehrsknotenpunkt oder Dauerbaustelle: In München und Umgebung gibt es eine Menge Plätze, die jedoch brach liegen. Sinnvolle Konzepte fehlen. Der Ratzingerplatz in Obersendling ist zweifellos einer der hässlichsten Plätze ganz Münchens. Bis 1990 fuhr hier die 16er Tram, die dann von der U-Bahn ersetzt wurde. Seither gammelt das Areal vor sich hin - Ödnis, so weit das Auge reicht. Die Planungen für eine West-Tram zwischen Romanplatz und Ratzingerplatz sind zwar im Gange. Doch ob und wann das Projekt realisiert wird, ist unsicher. Ebenso steht in den Sternen, ob eine Tram den Platz wirklich beleben würde. Pläne, ihn neu zu gestalten, gab und gibt es viele, etwa mit einem Ärztehaus und einem Einkaufszentrum. Doch wer hier regelmäßig vorbeikommt, glaubt nicht wirklich daran, dass sich irgendwann etwas ändern wird. Immerhin haben Graffiti-Sprayer dort ihren Spaß. Vielleicht sollte man die Brache einfach so lassen, wie sie ist - und zum Outdoor-Museum umwidmen. Lonely-Planet-Traveller, die eh immer auf der Suche nach Ausgefallenem sind, würde es freuen. Sie kennen auch einen Platz, der dringend neues Leben bräuchte und haben eine Idee, wie er künftig aussehen könnte? Schreiben Sie uns: themen-region@sueddeutsche.de

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(Foto: N/A)

Will man ein Musterbeispiel dafür sehen, wie man einen historischen Platz gründlich verhunzt, gehe man zum Max-Joseph-Platz vor der Oper und der Residenz. Hier ist nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe alles falsch gemacht worden, was geht. Das Standbild des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph hat man zwar belassen, immerhin. Ansonsten wurde an diesem zentralen Platz endlos herumgebastelt. Als die Stadt "autogerecht" werden sollte, unterhöhlte man ihn mit einer Tiefgarage nebst schneckenförmiger Zufahrt. Als der Verkehr zu viel wurde, beruhigte man ihn, indem man den Platz von der Residenzstraße abklemmte. Dann kam die radlgerechte Stadt mit rot gefärbten Radwegen, auf die sich Kampfradler bewegen, als gäbe es keine Fußgänger, Taxis und Trambahnen. Kurzum: Dieser Platz ist "für a Fünferl a Durchanand'", wie man in München sagt, aber kein Platz. Man müsste ihn komplett neu ordnen. Möglicherweise ergibt sich da aber mit den Olympischen Winterspielen 2018 eine Perspektive. Statt am Wittelsbacherplatz künstliche Skirampen aufzubauen, könnte man ja die Tiefgaragenzufahrt am Max-Joseph-Platz zur Wettkampfstrecke für den Abfahrtslauf erklären: Die Autos wären weg, und Olympia wäre auch aufgeräumt. Da könnte man sogar einen grünen Oberbürgermeister dafür begeistern.

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(Foto: EBE)

Gisela Sammet, Inhaberin der Schule für orientalischen Tanz am Herzogplatz in Zorneding, trotzt der Betonwüste ringsum. "Kara-Wansa-Kreiserei" steht auf einem Schild an der Eingangstür. Vor vielen Jahren hatte hier, im Parterre, eine Bank ihre Filiale. Statt der aktuellen Wechselkurse und Kreditangebote sind nun in der Auslage Plüschkamele und Tanzkostüme arrangiert. Ein wenig erinnert das an einen Basar, doch anders als ein Markt im Orient, wirkt der Herzogplatz in etwa so quirlig wie die Fußgängerzone eines Kurorts aus der Retorte mit entsprechender Gewerbemischung - Fußpflege, Salon für "Beauty und Nails", Pflegedienst, Bäckerei und Apotheke. Die überwiegende Zahl der Läden steht trotz andauernder Wiederbelebungsversuche leer. Nach Feierabend verschwinden die vom S-Bahnhof kommenden Pendler rasch in ihren Häusern. Der "Dorfkrug", wo man sich sein Bier abfüllen lassen konnte, hat längst zu. Der Zeitschriftenladen hat dichtgemacht, Boutique und Pizzeria gaben nach einem Wasserschaden auf. Der betroffene Flachbau wird plattgemacht. Die Häuser, meist mehrstöckig, sind in der lieblosen Trabantenstadt-Ästhetik der siebziger Jahre erbaut. An keinem Punkt findet das Auge einen Ankerplatz. Sechseckige Pilze und Bänke bieten Schutz und Schatten, doch kaum ein Passant sieht einen Grund, länger zu verweilen. Bäume, Beete und ein aus grobem Gestein zusammengewürfelter Brunnen "möblieren" den Platz, der meist wie ausgestorben daliegt, wenn sich nicht gerade ein paar Jugendliche auf eine Zigarette treffen. Nachdem auch der Supermarkt zugesperrt hat, warten die Gemeinde im Landkreis Ebersberg und Anwohner auf rettende Ideen.

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(Foto: DAH)

Wenn das Gespräch auf das Thema Neue Mitte Karlsfeld komme, "macht sich hier sowieso nur noch jeder lustig", sagt eine Anwohnerin. Auf einer ehemaligen Schafwiese mitten im 18.000 Einwohner-Ort Karlsfeld im Landkreis Dachau wollte die Hamburgische Immobilien Handlung HIH Geschäfte, Cafés, Bücherei, Büros und Wohnungen errichten. 2009 stoppte HIH das 80 Millionen Euro-Projekt. Investor und Gemeinde waren sich in die Haare geraten, wie weit die Unterstützung einer Kommune für so ein Projekt reichen müsse. Einig sind sich die beiden Seiten bis heute nicht. Dass aus dem Zentrum noch was wird, glaubt im Ort kaum einer mehr. Alternativvorschläge gab es schon, als im heißen Juli 2009 die Nachricht vom vorläufigen Aus kam. Man müsste nur die mit Beton ausgespritzte Baugrube mit Wasser füllen und schon hätte man ein Freibad. Der Karlsfelder Künstler Wolfgang Seehaus spann die Idee noch weiter. Er schlug einen "maritimen Streichelzoo" vor - mit Delphinen. Oder einen Dino-Park mit hydraulischen Plastikmonstern, er fertigte sogar eine Skizze dazu an. "Es wäre eine richtige Attraktion in Oberbayern."

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(Foto: Robert Haas)

Der Isartorplatz dürfte an die Größe des Stachus herankommen. Doch kein Münchner käme auf die Idee, in dem, was sich vor dem Isartor abspielt, einen Platz zu sehen. Das hat natürlich Gründe: Wollte ein Fußgänger von der Ludwigsbrücke kommend auf dem direkten Weg durch das alte Stadttor spazieren, er müsste erst einmal die an dieser Stelle acht Fahrspuren des Altstadtrings illegal überqueren. Das ist ungefähr so, als würde man in Paris versuchen, einmal quer über den Kreisverkehr am Triumphbogen zu flanieren. Passanten werden, so sie auf der rechten Straßenseite Richtung Innenstadt unterwegs sind, in den Untergrund geschickt; auf der linken Seite muss man minutenlang warten, bevor man Grün bekommt. Das Isartor, im Niemandsland wie einst das Brandenburger Tor, nehmen die wenigsten überhaupt wahr. Touristen, die vom Deutschen Museum kommen, fragen einen schon mal, wie sie in die Innenstadt kommen und welche U-Bahn sie zum Marienplatz nehmen müssen. Das sagt alles über die städtebaulich verhunzte und leider völlig verschenkte Situation. Dabei ist das der Ort, an dem Heinrich der Löwe 1158 die erste Brücke über die Isar bauen ließ und München überhaupt erst möglich machte. Einen besseren Grund kann es nicht geben, um dem Isartor und den Münchnern einen schönen Platz zu schenken.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Die Architekten, die vor zwei Jahren mit Ideen für den Echinger Bürgerplatz wetteiferten, hatten zumindest gleich einen Namen für das Unbehagen, das viele auf dem über 3000 Quadratmeter großen Areal überfällt: "Horror Vacui" haben sie es genannt, die Abscheu vor der Leere. Leer ist er schon, der Platz. Quasi baumlos, in einer Ecke mit wenig, aber dafür fast antiquarisch anmutendem Spielgerät bestückt und ganz am Rand, ein kleiner Plätscherbrunnen. Dazwischen dehnen sich ungeniert und ungehindert die Betonplatten aus. Es ist nicht so, dass der Gemeinderat nicht willens wäre, etwas zu tun, allein: Er weiß nicht was. Auch der Ideenwettbewerb hat nichts gebracht. Neun schicke Entwürfe, vom Überbauen des Platzes mit - schon klar - Ladenzeilen, bis hin zur bloßen Kosmetik war alles dabei. Monatelang waren die Vorschläge ausgestellt, auf dass der mündige Bürger seinen Beitrag leiste. Zum Schuss aber stellte Bürgermeister Josef Riemensberger doch wieder nur eine Tendenz zur Nichtbebauung fest. Passiert ist immer noch nichts, aber jetzt überlegt man, ob der Bürger nicht selbst über seinen Platz bestimmen soll - per Bürgerentscheid. Sie kennen auch einen Platz, der dringend neues Leben bräuchte und haben eine Idee, wie er künftig aussehen könnte? Schreiben Sie uns: themen-region@sueddeutsche.de

© SZ vom 18.4.2011/schub/fjk/bae/gsl/ruh/av - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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