Neue Synagoge:Klotz am Platz

Lesezeit: 3 min

Neubauten haben es in München immer schwer, denn sie sind ungewohnt.

Christian Ude

Wer um die Baustelle spaziert, wird bei den Passanten auch kritische Stimmen vernehmen: Wie eine Schuhschachtel sehe das aus, ein richtiger Kasten sei das, ganz unpassend für die Münchner Altstadt, und überhaupt sei die Bebauung viel zu massiv, ausgerechnet hier auf diesem einstmals weiten Platz.

Neubauten haben es in München immer schwer, denn sie sind nun einmal neu - und damit ungewohnt, also anders als üblich, als seit jeher erwartet. Und dann ist ja auch noch die Nutzung reichlich ungewohnt, denn eine repräsentative, prominente Synagoge hat es lange nicht gegeben in dieser Stadt.

Veränderungen stehen nicht hoch im Kurs

Das Bauvolumen des Gemeindezentrums ist auch tatsächlich beachtlich groß ausgefallen, weil ein solch großes Bauprogramm unterzubringen war: Das Rabbinat, der Saal, die Sozialräume, die Schule, der Hof auf dem Dach, der Kindergarten, das koschere Restaurant. Diese Bebauung ist für den Jakobsplatz, einem der letzten großen Freiflächen der Altstadt, schon eine gewaltige Veränderung - und Veränderungen, egal welcher Art, stehen zur Zeit nicht hoch im Kurs.

Bleiben wir also zunächst bei den Äußerlichkeiten der Bauwerke. Der Jakobsplatz war vor der Kriegseinwirkung nie ein eingefasster Platz mit einer leeren Mittelfläche, sondern war stets mit verschiedenen Bauwerken bestückt. Hier wird also ein historischer Urzustand wieder hergestellt, auch wenn sich mancher an die sechs Jahrzehnte der von Bussen verparkten Brachfläche gewöhnt hat.

Die Synagoge ist, auch wenn sie sich formstreng an geometrische Grundmuster hält, alles andere als Serienware des Beton-Glas-Stahl-Zeitalters: Der Sockel mit seinen eindrucksvollen Felsverschalungen erinnert an den ersten Tempel in Jerusalem, der Aufbau hat mit seiner Transparenz etwas zeltartiges und erinnert an Provisorien in der Diaspora.

Erst nächstes Frühjahr fertig

Vor allem aber ist ein Sakralraum von unglaublicher Intensität entstanden, vergleichbar der ebenfalls quaderförmigen Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen, die auch erst das Kopfschütteln der Nachbarschaft überwinden musste, ehe sie zur Pilgerstätte von Architekturliebhabern wurde. Das städtische Museum neben der Synagoge wirkt zwar im oberen Bereich sehr verschlossen, was für Ausstellungsräume einfach zweckmäßig ist, öffnet sich aber im Erdgeschoss in faszinierender Weise zum Platz hin und zu den anderen Bauten dieses Ensembles.

Den Platz sollte man erst beurteilen, wenn seine Gestaltung abgeschlossen ist, also im kommenden Frühjahr. Dann wird es hier viele städtebauliche Situationen mit hoher Aufenthaltsqualität und interessanten Perspektiven geben.

Bei allem, was uns im Vorbeigehen auffällt, anregt, stört oder begeistert, sollten wir aber doch bereit sein, vor den Fragen des Städtebaus und der Architektur die historische Bedeutung dieses Projektes zu würdigen. Noch vor wenigen Jahren haben sich die wenigsten vorstellen können, dass einmal ausgerechnet in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" das größte jüdische Bauvorhaben Europas realisiert werden sollte.

Das schien auch und besonders den Juden unvorstellbar, die zwar nach dem Zusammenbruch der Nazi-Gewaltherrschaft und dem Ende des ZweitenWeltkriegs hier ihr Quartier nahmen, aber doch stets in dem Bewusstsein lebten, nur auf der Durchreise zu sein, zu einem anderen Land, in dem man ernsthaft wieder Wurzeln schlagen konnte.

Das abgeschiedene Hinterhofdasein hat ein Ende

In München, der Stadt des Hitler-Putsches, des Braunen Hauses und des Völkischen Beobachters, der Stadt, in der Joseph Goebbels im Alten Rathaussaal zu reichsweiten Pogromen aufrief, in der das erste KZ geplant wurde und in der die Deportation tausender jüdischer Bürger so unbeanstandet über die Bühne ging, schien dies gänzlich unmöglich zu sein. Entsprechend provisorisch und zurückgezogen spielte sich jüdisches Leben im Nachkriegs-München ab.

Schon die Vorausberichterstattung ausnahmslos aller Münchner Medien hat jetzt deutlich gemacht: Mit der Eröffnung der neuen Synagoge Ohel Jakob und des Jüdischen Zentrums auf dem Jakobsplatz hat das abgeschiedene Hinterhofdasein des Münchner Judentums ein Ende, hat das Judentum in der Stadt einen völlig neuen Stellenwert, hat der interreligiöse Dialog früher unvorstellbare Impulse erhalten.

Mit dem 9. November 2006 beginnt im Verhältnis zwischen der nicht-jüdischen Mehrheit und der jüdischen Minderheit unserer Stadt, aber auch im Selbstverständnis Münchens als Stadt der Weltoffenheit und Toleranz und als Gemeinwesen, das sich seiner historischen Verantwortung stellt, ein neues Kapitel der Stadtgeschichte, für das wir nur dankbar sein können.

Das Zentrum am Jakobsplatz ist fraglos die Krönung des Lebenswerks der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde und Münchner Ehrenbürgerin Charlotte Knobloch, die als Kind vor nationalsozialistischem Terror fliehen musste und doch später die Kraft fand, die Hand zur Versöhnung zu reichen, mit Beharrlichkeit für das Projekt zu arbeiten und bei der Grundsteinlegung zu sagen, dass dies jetzt wieder ihre Heimat sei.

© Der Autor ist Oberbürgermeister der Stadt München - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: