Neonazi-Prozess:"Sein Ziel war die Beseitigung der Demokratie"

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Am ersten Prozesstag belasteten die Angeklagten den Anführer der "Kameradschaft Süd", Martin Wiese, schwer. Die Öffentlichkeit wurde vom Verfahren ausgeschlossen.

Von Alexander Krug

"Es war definitiv sein Ziel, die bestehende Demokratie aus den Angeln zu heben." Mit schweren Vorwürfen an die Adresse des Neonazis Martin Wiese hat der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der "Kameradschaft Süd" begonnen.

Mit einiger Verzögerung aufgrund der massiven Sicherheitsvorkehrungen betraten um 10.16 Uhr die fünf Angeklagten den Gerichtssaal durch einen Nebeneingang. Alle befinden sich auf freiem Fuß und erklärten sich bereit, zur Sache Angaben zu machen.

Die Bundesanwaltschaft wirft Monika St., 18, Ramona Sch., 19, Jessica F., 22, Thomas Sch., 18 und Andreas J., 38, Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Die Angeklagten sollen zur rechtsextremistischen "Kameradschaft Süd" gehört haben, die einen Sprengstoffanschlag anlässlich der Grundsteinlegung für das Jüdische Zentrum am 9. November 2003 am St. Jakobs Platz geplant haben soll.

Prozess gegen Wiese wohl im nächsten Jahr

Der mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe, Martin Wiese, 28, sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Sein Prozess wird voraussichtlich erst nächstes Jahr beginnen. Wiese war gestern dennoch Hauptthema der Aussage von Jessica F., die als einzige vor dem Ausschluss der Öffentlichkeit Stellung bezog.

Die Auszubildende (Handelsfachwirtin) war im Sommer 2002 zu der Gruppe gestoßen, als Wiese gerade dabei war, sich als neuer Anführer zu profilieren. "Er sagte, dieses Parteiensystem bringe nichts. Man müsse diese Demokratie beseitigen".

Wiese habe den "nationalsozialistischen Staat eins zu eins übernehmen" wollen. Dazu habe er zunächst die Strukturen der "Kameradschaft Süd" verändert und die so genannte "Schutzgruppe" (SG) nach seinen Vorstellungen umgestaltet und straff organisiert. "Die SG war seine Eliteeinheit."

Auf paramilitärischen Übungen in Waldstücken bei Lohhof oder Mühltal hätten die Mitglieder des inneren Zirkels, zu dem alle Angeklagten bis auf Andreas J. gehört haben sollen, mit Softair-Pistolen Krieg gespielt. Wer "Fehler" machte, oder "abgeschossen" wurde, musste Liegestützen machen. Die SG sollte später Zellen im In- und Ausland bilden, "kleine Stützpunkte", wie die Angeklagte sagte.

Wiese habe geplant, die SG mit scharfen Waffen auszurüsten, sagte Jessica F. Da sei sie erstmals "in Grübeln" gekommen. Kritik habe Wiese nicht geduldet, viele hätten Angst vor ihm gehabt. "Er war cholerisch und spontan in seinen Entscheidungen", so die 22-Jährige. Wer einmal in der SG war, konnte nicht einfach aussteigen.

Wiese habe mit "Sanktionen" für diesen Fall gedroht "und es war klar, dass er es ernst meint". Er habe auch damit geprahlt, "gute Kontakte" zur Polizei zu haben und so jederzeit informiert zu sein über bevorstehende Razzien, und er wisse auch, wann und wie er abgehört werde.

Seit einem Jahr ein "normales Leben"

Jessica F. gelang nach eigener Aussage der Ausstieg, als sie eine Lehrstelle bekam. "Ich habe zu ihm gesagt, jetzt ist definitiv Schluss." Sie führe seit einem Jahr ein "normales Leben" und wolle mit den Leuten nichts mehr zu tun haben.

Auch Monika St. ist ausgestiegen, wie ihre Anwältin Daniela Schwarzmeier erklärte. Die 18-Jährige soll einst vorgeschlagen haben, sich am Marienplatz mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen zu wollen.

Die Verteidiger von Monika St., Ramona Sch. und Thomas Sch., stellten nach der Aussage von Jessica F. den Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen. Nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) überwiege der "Persönlichkeitsschutz" der jungen Angeklagten das Informationsinteresse der Allgemeinheit.

Außerdem befürchteten die Angeklagten "Repressalien" aus der rechten Szene. Nach eingehender Beratung folgte der Strafsenat dem Antrag, um eine "offene und freie" Aussage der Angeklagten zu erleichtern und später "soziale und berufliche Schwierigkeiten zu vermeiden". Zur Urteilsverkündung wird die Öffentlichkeit voraussichtlich wieder zugelassen.

© SZ vom 7.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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