Nach Fujitsu-Debakel:Selbst ist das Klinikum

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Alles auf einen Blick: ein Arzt am Rechner. (Foto: Catherina Hess)

Warum nicht gleich so? Der Fujitsu-Konzern scheiterte daran, die EDV der städtischen Krankenhäuser zu modernisieren. Die bastelten sich daraufhin ihr eigenes System. Das ist nicht nur billiger und umweltfreundlicher, sondern auch viel effizienter.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Auch in diesem Ende liegt ein neuer Anfang, und was für einer: Wer nach dem Desaster, das der Technologiekonzern Fujitsu in den städtischen Kliniken hinterlassen hat, eine ruinierte Computerlandschaft und frustrierte Mitarbeiter erwartet hätte, wäre überrascht. Aus eigener Kraft hat die Klinik-GmbH in Rekordzeit ein mustergültiges Computersystem aufgebaut, das sich vor allem an den Bedürfnissen der Ärzte, Schwestern und Verwaltungsmitarbeiter, aber gerade auch der Patienten und ihrer einweisenden Ärzte orientiert. Hier könnte Fujitsu lernen, dass nicht Technik interessant ist, sondern was man damit machen kann - und da führen vor allem Gespräche mit Menschen zum Ziel.

"Warum nicht gleich so?" Auf diese Frage kann Gerald Götz keine Antwort geben. Der 55-jährige Wirtschaftsingenieur wurde ziemlich genau vor einem Jahr als neuer Leiter für das Technologiemanagement zur Klinik-GmbH geholt. Es war seine erste Amtshandlung, das viele Millionen Euro teure Projekt von Fujitsu mit dem hochtrabenden Namen "Komet" endgültig zu stoppen - dessen Strahlkraft war da längst zur Düsternis geworden. Der Konzern war 2010 damit beauftragt worden, die Datenverarbeitung in den städtischen Kliniken zu verbessern, doch die waren mit den Ergebnissen höchst unzufrieden. Bezahlt haben sie dafür bislang nichts. Zwar forderte Fujitsu 4,6 Millionen Euro, doch das wurde im August vom Landgericht München I in erster Instanz abgewiesen - die Urteilsbegründung ließ es an Deutlichkeit nicht mangeln, von einem "gravierenden Fehlschlag" war unter anderem die Rede.

"Technologen laufen Gefahr, sich nicht für den Nutzer zu interessieren - dann driftet alles rasch auseinander", so analysiert Götz, was anfangs schief gelaufen war. Er kam von den Sana Kliniken, der viertgrößten privaten Klinikgruppe Deutschlands. Ihm liegt es mehr, vom Chefarzt bis zur Pflegekraft alle nach ihren Bedürfnissen zu befragen, als in technischen Superlativen zu schwelgen.

Mit dem Know-how der hauseigenen IT-Fachleute wurde dann das Computersystem so angelegt, dass alle Verarbeitungsprozesse ins Rechenzentrum verlegt wurden. Die herkömmlichen Computer unter den Schreibtischen werden an den etwa 6000 Arbeitsplätzen immer weniger. Bald werden auch die letzten 2000 eigenständigen Rechner gegen sogenannte Thin Clients ausgetauscht sein. Diese kleinen Kästchen bilden die Benutzerschnittstelle zum Hauptsystem. "Nun können alle Arbeiten mit elektronischen Daten endgeräteunabhängig und an jedem beliebigen Arbeitsplatz in unseren Kliniken durchgeführt werden", sagt Götz. "Unsere Chef- und leitenden Oberärzte sind sogar in der Lage, von zu Hause aus auf alle klinischen Daten wie Röntgenbilder oder Befunde zuzugreifen, um so die diensthabenden Kräfte nachts oder an Wochenenden optimal zu unterstützen. Die nächtlichen Fahrten ins Klinikum, um ein Röntgenbild zu beurteilen, gehören der Vergangenheit an."

Die neue Ausstattung finanziert sich auch noch selbst: Die Thin Clients haben nur knapp ein Zehntel des Energiebedarfs herkömmlicher PCs - mit der Kostenreduzierung beim Strom können die Anschaffungen bezahlt werden. Der Umwelt dient es auch: Auf diese Weise werden laut Klinikum jährlich Kohlendioxid-Emissionen von etwa 1,7 Millionen Tonnen gespart.

Die Stadtkliniken legen Wert darauf, alle Server- und Netzwerkkomponenten selbst zu betreiben. "Trotz des Personalaufwands, um alles in unserem Einflussbereich halten zu können, ist dieses neue Konzept um die Hälfte günstiger als konventionelle Mietleitungen", sagt IT-Leiter Götz. Die zwei Datencenter in Bogenhausen und Schwabing sichern sich gegenseitig ab. Von dort aus sind beispielsweise auch neue Softwareversionen binnen 60 Minuten an mehr als 5000 Arbeitsplätze verfügbar.

Die Anwender sind offenbar begeistert. Das zeigt ein Gespräch mit Walter Eichinger, 43, Chefarzt der Herzchirurgie in Bogenhausen. "Für Herzpatienten brauchen wir im Vorfeld Untersuchungsergebnisse von den zuweisenden Kliniken oder Arztpraxen", sagt er. Früher wurden die Filme von Herzkatheter-Untersuchungen und Ultraschallbilder auf CD gebrannt und durch Boten geliefert. Heute haben Eichinger und sein Team sofort Zugriff darauf, weil sie mit immer mehr Krankenhäusern und großen Arztpraxen in Oberbayern über das Portal ihres Computersystems direkt kommunizieren können. Im Gegenzug können autorisierte Ärzte von außerhalb sich jederzeit über die Therapie der von ihnen eingewiesenen Patienten informieren. "Und auch wir können innerhalb unserer Häuser auf Knopfdruck jederzeit und überall alle relevanten Bilder und Daten einsehen", begeistert sich der Spezialist für die Rekonstruktion von Herzklappen in minimalinvasiver Technik.

Eichinger spürt die Auswirkungen des IT-Service sogar im Operationssaal: Seit März sei durch die Verknüpfung mit anderen Kliniken im Umland die Zahl der Zuweisungen um das Dreifache gestiegen. Der Professor ist inzwischen so begeistert, dass er sogar höchstpersönlich seine Kollegen in anderen Häusern über die neuen Möglichkeiten informiert: "Diese Entwicklung mitzuerleben, ist sehr spektakulär."

© SZ vom 02.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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