Mutmaßlicher Kinderschänder:Shantis Suizidversuch

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Der mutmaßliche Kinderschänder Oliver Shanti hat in Stadelheim versucht, sich umzubringen. Er überlebte die Überdosis.

Christian Rost

Seit August muss sich Ulrich S. alias Oliver Shanti wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verantworten. Dem laufenden Verfahren vor der 20. Strafkammer am Münchner Landgericht wollte der ehemalige Musikproduzent und mutmaßliche Sektenguru nun offenbar ein Ende setzen. In der Krankenabteilung der Haftanstalt Stadelheim unternahm er einen Selbstmordversuch.

Der durch die Krebserkrankung abgemagerte Oliver Shanti im Glaskasten im Verhandlungssaal des Landgerichts. Den Mundschutz trägt er inzwischen nicht mehr. (Foto: Foto: ddp)

Der Angeklagte hatte Medikamente gegen seine Krebserkrankung gehortet. Am 26. Oktober nahm er eine Überdosis. Der Suizidversuch wurde rechtzeitig entdeckt, Shanti behandelt. Der Versuch sei "ernst gemeint" gewesen, lautet das Ergebnis einer psychiatrischen Untersuchung. Inzwischen ist der Angeklagte wieder verhandlungsfähig, ein Gutachter schränkte den Prozessablauf kaum ein. Shanti könne täglich bis zu sechs Stunden an den Sitzungen teilnehmen.

So sitzt er am Mittwoch wieder in seinem Glaskasten im Saal 177 des Münchner Landgerichts. Einen Mundschutz trägt der kranke, um 100 Kilo abgemagerte Mann inzwischen nicht mehr, wohl aber den weißen Ganzkörperanzug. Der Stoff und die Glaswände sollen Prozessteilnehmer und seine Bewacher vor einem multiresistenten Keim schützen, den sich Shanti während seiner Behandlung im Krankenhaus gegen Lymphdrüsenkrebs eingefangen hat.

Über Mikrophon und Lautsprecher ist der Angeklagte mit dem Saal verbunden, in dem eine Zeugin Platz nimmt und den Mann schwer belastet. Die 42-Jährige ringt während ihrer Aussage um Fassung. Ihr Sohn, sagt sie, sei von Shanti über Jahre hinweg in Portugal missbraucht worden.

Der 60-Jährige ist des 314-fachen Missbrauchs von Kindern angeklagt. Vier Jungen und zwei Mädchen sind ihm laut Staatsanwaltschaft zum Opfer gefallen. Er selbst bestreitet die Taten und sieht sich als Opfer eines Komplotts. Stumm und reglos hört er sich die Mutter eines der beiden jungen Männer an, die das Missbrauchsverfahren gegen ihn ins Rollen gebracht haben. Die 42-jährige Büroangestellte lebte Anfang der neunziger Jahre in Deggendorf in einer Wohngemeinschaft. Sie war als Waise aufgewachsen und "deshalb immer auf der Suche nach einer Familie, einer Gemeinschaft". Dadurch kam sie in Kontakt mit Mitgliedern der Landkommune "Sattva", die Shanti 1981 im Bayerischen Wald gegründet haben soll.

Die Frau schloss sich der sektenähnlichen Gruppe an und arbeitete bald auch für die Firma am Schliersee, die Shantis Esoterik- und Entspannungsmusik verlegte.

16 Stunden am Tag habe sie gerackert, den Lohn von 1500 Mark "für die Gruppe" ausgeben müssen. Einmal in der Woche kaufte sie für alle Lebensmittel ein, für sich selbst habe sie kein Geld zurückbehalten dürfen. Shanti unterdessen habe "ständig Geld" aus der Firma gezogen. Von seiner Residenz in Portugal aus soll er regelmäßig angerufen und in forschem Ton fünfstellige Beträge angefordert haben. "Selbst als der Verlag eigene Rechnungen nicht mehr begleichen konnte."

Den Umzug nach Schliersee hatte die Frau zunächst als Befreiung empfunden - ihr 1985 geborener dunkelhäutiger Sohn sei in Niederbayern rassistischen Attacken ausgesetzt gewesen. 1995 verlor sie ihren Sohn jedoch an Shanti, der auf einer Finca in Portugal Anhänger und viele Kinder um sich scharte.

In Schliersee zeigte man der Mutter Bilder von der Anlage, die ein Paradies vorgaukelten. Auch sie schickte schließlich ihren Sohn hin. "Ich dachte, dort geht es ihm gut." Doch erst zwei Jahre später durfte sie ihn besuchen, insgesamt nur fünfmal in fünf Jahren. Auf die Nachfrage von Richter Stephan Kirchinger sagt die Frau, ihr sei nichts Besonderes aufgefallen in der portugiesischen Kommune. Viele Buben seien da gewesen, ja, und Shanti habe in einem Wohnwagen am Pool gehaust, ständig von einem Lakaien umgeben. Auch von dessen Homosexualität habe sie gewusst, aber einen Verdacht wegen Missbrauchs? Nein, den habe sie nie gehabt. Und selbst wenn sie etwas geahnt hätte: Damals sei Shanti unantastbar gewesen, "eine hochgeistige Person, die über Sexualität steht".

Der Bruch kam im Jahr 2000, als der Guru ihren Buben plötzlich nach Bayern zurückgeschickt habe. "Aufrührerisch" sei er unter den anderen Kindern gewesen, so die Begründung aus Portugal. Selbst als die Mutter dann von ihrem Kind von den sexuellen Übergriffen Shantis erfuhr und aus der Gemeinschaft flüchtete, dauerte es eine Weile, bis sie klare Gedanken fassen konnte. Die Sektenzeit hatte sie verblendet. "Ich musste zuerst alles loslassen, woran ich geglaubt habe." Der Prozess dauert an.

© SZ vom 5.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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