Muslimische Kinder:Schule als Schutzraum

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Wie sich das Leben muslimischer Kinder verändert hat.

Georg Etscheit

(SZ vom 2.11.2001) - Den Höllentag des 11. September haben die Kinder in guter Erinnerung. "Das werde ich in meinem Leben nicht vergessen", sagt das Mädchen mit den schwarzen Augen und dem dunklen Teint. Die 14-Jährige ist Schülerin an der Willy-Brandt-Gesamtschule im Münchner Norden. Ihren Namen will die Tochter iranischer Eltern nicht preisgeben. Sie hat Angst. Auch ihr Klassenkamerad Kamil berichtet von großer Unruhe, die in ihm aufstieg, als er die ersten Schreckensbilder im Fernsehen sah: "Da waren die Bilder vom World Trade Center und vom Pentagon, und bald kamen auch die ersten Verdächtigungen, dass der Terrorist Bin Laden dahinter stecken soll. Den kannte ich bis dahin gar nicht."

Als der 14-jährige Türke hörte, dass radikale Moslems für die Schreckenstaten verantwortlich sein sollten, habe er sich heftige Sorgen gemacht. "Ich habe gedacht, dass wir vielleicht rausgeschmissen werden, dass wir zurück in die Türkei müssen." Kamil kennt die Heimat seiner Eltern nur von den Besuchen bei seinen Großeltern in den Sommerferien.

Entsetzen und Angst

Entsetzen mischte sich mit Angst vor der eigenen Zukunft - als Ausländer, als Muslime in Deutschland. "Man hat das Misstrauen auf der Straße sofort gespürt", sagt eine 16-jährige Marokkanerin aus der neunten Realschulklasse. Es sind vor allem die muslimischen Mädchen, ob verschleiert oder nicht, die in den ersten Tagen nach den Anschlägen den Hass mancher Münchner hautnah zu spüren bekamen.

"Mich hat in der U-Bahn auf dem Nachhausewege in älterer Mann angepöbelt", berichtet eine andere 14-jährige muslimische Schülerin, Tochter einer Türkin und eines Italieners. "Ihr Moslems seid an allem Schuld!", habe der Mann gerufen und gar nicht mehr von ihr abgelassen. Seither geht sie nur noch in einer größeren Gruppe auf die Straße.

Welche Spuren haben die Anschläge an den Münchner Schulen hinterlassen? Hat sich das Verhältnis zwischen deutschen und muslimischen Schülern verschlechtert? Sind die Bemühungen um Integration zurückgeworfen worden? An der Willy-Brandt-Gesamtschule sind fast 40 Prozent aller Schüler Ausländer; 30 Nationalitäten sind hier vertreten. Und von denen stellen die Muslime mit Abstand die größte Gruppe: 263 von 920 Schülern beten zu Allah, nicht zum Gott der Christen, studieren den Koran, nicht die Bibel. Das sind vor allem türkische Muslims, aber auch Araber, Marokkaner, Iraner.

Kampf der Kulturen kein Thema

Der befürchtete Kampf der Kulturen - an der einzigen Münchner Gesamtschule scheint er kein Thema zu sein. Für die meisten muslimischen Kinder und Jugendlichen ist die Schule in dieser Zeit der Verunsicherung sogar eine Art Rückzugsraum, ein Ort, an dem man sich sicher fühlen kann. "Hier habe ich noch keine blöde Bemerkung gehört, ich bin fast froh, wenn ich in die Schule komme", sagt die 14-jährige Tochter iranischer Eltern. Die Ereignisse des 11. September "sind für uns alle ein Einschnitt" gewesen, meint Schulleiter Stefan Dehne. Probleme zwischen Muslimen und Deutschen habe es bislang jedoch an seiner Schule nicht gegeben. Auch der Vorsitzende des Elternbeirates, Reinhard Peter Bogen, spricht von einem "guten Miteinander", an dem die Terroranschläge nichts geändert hätten.

Bogen führt das auch auf die schulinternen Initiativen zurück: Erst in diesem Jahr war eine Gruppe von Münchner Schülern zu Besuch in der vom großen Erdbeben 1999 zerstörten türkischen Stadt Düzce. Dort wohnten die Schüler in türkischen Familien, konnten Sitten und Wertvorstellungen ihrer Gastfamilien studieren und auch das Elend der Erdbebenopfer. "Das Beste ist, wenn man eine andere Kultur persönlich erleben kann", sagt die Deutsch-Lehrerin Andrea Östereicher, die den Austausch organisiert hatte.

Entwarnung gibt auch Günter Gramsamer, Direktor des Staatlichen Schulamtes in München: "Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich das Verhältnis zwischen deutschen und muslimischen Schülern in irgendeiner Weise verändert hat. Unsere Schulräte sind an allen Schulen unterwegs, da hätte ich etwas hören müssen." Stadtschulrätin Elisabeth Weiß-Söllner hat andere Beobachtungen gemacht. Es habe durchaus Veränderungen gegeben seit dem 11. September, und zwar "nicht zu Gunsten der Muslime und solcher Schüler, die wie Muslime wirken". Allenthalben sei eine "größere Fremdheit" zwischen den muslimischen und deutschen Schülern zu beobachten.

Business as usual

Das Kultusministerium hatte den Schulen nach den Anschlägen frei gestellt, auf welche Weise sie sich der neuen Lage annehmen. CSU- Kultusministerin Monika Hohlmeier empfahl lediglich, "mit den Schülerinnen und Schülern in altersgemäßer Weise das Gespräch über diese menschenverachtenden Anschläge und über Grundsätze von Frieden, Freiheit, Menschenwürde und Toleranz zu suchen". An der Willy-Brandt-Gesamtschule kommen die Schreckenstaten vor allem im Ethikunterricht zur Sprache, wo die Muslime fast unter sich sind. Ansonsten herrscht in den Klassenzimmern "Business as usual".

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