Musiktheater:Zitatenreigen

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Händels Oratorium "Saul" gelingt am Theater Regensburg dank bewusst gesetzter Stereotype und barocker Versatzstücke

Von Rita Argauer, Regensburg

Als Maria mit dem Jesus-Kind unter dem absolutistischen Sonnenkönig auf einem Thron in die höfische Barockgesellschaft hineinfährt, kippt die Inszenierung von Händels "Saul" das erste Mal ins Parodistische. Südamerikanischer Katholizismus ist nichts gegen diese Ausstattung, die wie das aufziehbare Tableau Vivant einer Spieluhr auch noch zu Bewegung in der Lage ist; na klar, und gesungen wird auch. Und zwar ziemlich toll von diesem Chor, der gleichzeitig das massengefällige und auch massengefährliche Volk ist und in der Musik aus Unisono-Passagen und sich immer wieder verzweigenden Stimmen genau diese unstete Gefährlichkeit eines machthörigen Volkes abzubilden vermag.

Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier widmete sich Händels Oratorium schon 2011, das Theater Regensburg hat die Inszenierung nun übernommen. Gleich Sofia Coppolas Film "Marie Antoinette" haut Steier dabei mit den Versatzstücken des Barocktheaters um sich, ohne jemals Zweifel daran zu lassen, dass man sich in der Gegenwart befindet. Und diese Theatertricks lassen die Figuren schön stereotyp und künstlich erscheinen. Fast in Brecht'scher Manier wird also das Theater als Theater ausgestellt - was dem mahnenden Inhalt dieser an theatralen Effekten nicht armen Musik einen schönen Fokus verleiht.

Das glückt herrlich bei Davids erstem Auftritt. Nach der Mutter Maria darf er auf gleiche Weise auf die Bühne fahren - auf einem riesigen Pferd sitzt ein blond gelockter Jüngling und weist demütig sämtliches Lob von sich. Countertenor Yosemeh Adjei schafft es, die Figur zwischen comic-hafter Überzeichnung und liebenswerter Sanftheit zu platzieren, was die Ahnung vom Macht- und Herrscherhunger Davids düster über dem überdrehten Setting schweben lässt. Ähnlich vielschichtig gestaltet auch Anna Pisareva ihre Michal: Sie gibt ihrer Stimme Drama und Naivität, lässt die Figur durch die verschiedenen Aspekte menschlich werden, ohne dass dies geziert wirkte.

Das passiert der Inszenierung leider ab und zu: Wenn etwa die Zwischenspiele durch die Bühnenhandlungen des Chors - das saufende Volk, das lynchende Volk, das jubelnde Volk - mit allzu plumpen Bewegungen und Geräuschen dargestellt werden. Oder die beiden Neid-Figuren (Saul wurden zwei piesackende Teufelchen an die Seite gestellt, die ihn zu seinen Verfehlungen verleiten) ihr Opfer in zu oft gesehenen Bewegungen verführen. Wo Steier zu Beginn durch strenge Chorchoreografie die Stereotypie ganz bewusst einsetzt und als erzählerisches Mittel nutzt, unterläuft ihr das im zweiten Akt unfreiwillig: Die ungeplanten Klischees nehmen der Handlung ihre Kraft.

Das Philharmonische Orchester Regensburg unter der Leitung von György Mészáros setzt die Theatralität der Musik jedoch bewusst ein, ohne sie schwerem Pathos auszusetzen. Das gelingt Steiers Inszenierung dann wieder im letzten Bild. Die Landschaft hat sich gewandelt: Das kulissenreiche Barocktheater ist einer kühl-industriellen Containerlandschaft gewichen. Doch David thront an gleicher Stelle wie vorher Saul als Sonnenkönig und nimmt die Macht und die Huldigung des Volkes entgegen, während die Neid-Teufelchen auf ihren Einsatz warten. Die Geschichte wiederholt sich, wenn nicht reflektiert und erinnert wird: In der Spiegelung der Konstellation von Schluss- und Anfangsbild und der Verschiebung des äußeren Settings schafft es Steier, diesen Mechanismus mahnend abzubilden.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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