Musikgeschichten:Die Liebe vom Sebastianseck

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Heute wäre Freddie Mercury 60 Jahre alt geworden. In München führte der Frontmann von Queen ein Leben - und fand dort eine gute Freundin und seine "Liebe hoch drei".

Klaus Raab

Wenn man Freddie Mercury sucht, muss man bei Ambacher klingeln. "Sechster Stock", wird Peter Ambacher dann durch die Sprechanlage sagen, mit einer roten Schildmütze die Tür zu seinem Apartment am Aralbellapark öffnen und wenn man auf einem der rot gepolsterten Stühle Platz genommen hat: "Es war eine aufregende Zeit damals, ich habe sie sehr genossen." Dann wird er lachen und die Gedanken, die er nicht öffentlich machen will, zusammenfassen unter der Rubrik: "um Gottes Willen."

Als Queen-Sänger verehrte ihn die ganze Welt: Freddie Mercury (Foto: Foto: AP)

Ambacher gehörte zur Clique um den Leadsänger von Queen. Ambachers Wohnung ist in der Nähe des Arabellahauses, in dem zwischen 1979 und den mittleren 80er Jahren Queen im Musicland-Studio Alben aufnahm. Hier entstanden Songs wie "Another one bites the dust" und "Crazy little thing called love" - insgesamt drei Queen-Alben und Mercurys Soloalbum "Mr. Bad Guy". Doch das Studio existiert längst nicht mehr. Nichts davon ist geblieben, nichts erinnert daran. Was sollte man hier noch über Mercury finden?

Man findet in der Gegend nur den Pragmatismus, den aneinander gereihte Mehrparteienhäuser ausstrahlen. Es ist ein unfrisierter Ort, den man ohne Zuspitzung langweilig nennen kann; selbst Leute, die hier wohnen, sagen, dass er sich dadurch auszeichne, dass es nicht weit in die Stadt sei. Der Arabellapark ist die Antithese zum glamourösen Verwandlungskünster Freddie Mercury.

Bis Peter Ambacher die Tür öffnet. Sein Apartment zeugt, eingerichtet mit Leopardenfellstühlen und einer Spiegelwand, von der Extravaganz und Verwandlungskunst, die zu seinem Beruf gehört und die auch Mercury als Musiker auszeichnete. Ambacher ist Travestiekünstler und weltweit der Einzige, der sich "Miss Piggy" nennen darf. Er hat die Erlaubnis von Jim Henson, dem Erfinder der Miss Piggy aus der Muppet-Show.

Lieblingsnummer Schwanensee

Früher arbeitete er in der Kneipe Frisco in der Blumenstraße. Dort habe er oft mit den Frisco Girls, seiner Travestiegruppe, Schwanensee getanzt. "Freddie sagte immer Schweinensee", erzählt Ambacher mit gespieltem englischem Akzent. "Das war seine Lieblingsnummer." Das Frisco hatte damals die Lizenz, bis vier Uhr zu öffnen.

"Das Frisco war das einzige Bums, wo man noch rein konnte, wenn alle anderen schließen mussten. Das war Gold wert", erinnert sich Fridolin Steinhauser, der Wirt der Teddy Bar. Mercury, der eigentlich Farroukh Bulsara hieß, war Stammgast im Frisco. Morgen wäre Mercury 60 geworden.

Steinhauser ist ein Bär von Mann. Sein Lokal in der Hans-Sachs-Straße führte er schon zwischen etwa 1982 und 1986. Damals lebte der Sänger in London und auch in München, erst in der Stollbergstraße, dann in Fußnähe zu Frisco und Teddy Bar in der Pestalozzistraße. "Hier in der Teddy Bar war er nur an Fasching", erzählt Steinhauser, "das war die Faschingshochburg."

Immerhin, es gibt sie noch. Auch der Ochsengarten in der Müllerstraße, den Steinhauser gepachtet hat und den Mercury oft besucht haben soll, hat der Zeit getrotzt. Doch Steinhausers Läden sind Ausnahmen. Wo das Frisco war, zum Beispiel, ist heute das Padres.

Und wo damals eine Wand war, "damit niemand hineinschauen konnte", wie ein Barkeeper sagt, ist heute ein Fenster. Die kleine Bühne, auf der die Frisco Girls tanzten, kann man noch sehen, aber sonst, und nicht nur hier, ist alles anders als zu Mercurys Zeiten: die meisten Orte, die schwule Gemeinschaft und der Umgang mit ihr. Über Freddie Mercury zu reden heißt, über eine andere Zeit zu reden.

Schwule als Störung der öffentlichen Ordnung

"Man war ja nicht gerade schwulenfreundlich", sagt Fridolin Steinhauser. Der Münchner CSU-Politiker Peter Gauweiler hat damals Homosexualität wie eine Störung der öffentlichen Ordnung behandelt.

Die Konsequenz war, dass sich Lesben und Schwule abschotteten. "Die Kneipen", erzählt Peter Ambacher, "waren eigentlich Clubs. Man musste klingeln, wenn man hinein wollte." Dem Queen-Sänger kam das entgegen. "Auf die Art konnte er in München ganz privat sein."

Meist kam er mit Peter Freestone, seinem Assistenten, den alle Phoebe nannten. "Das war sein Spezi, ein lustiges Viech", sagt Steinhauser. "Er war eine rechte Hand, der hat von Bezahlen bis Aufpassen alles übernommen", erzählt Ambacher. "Er hat immer gesagt: "Bitte nicht die Presse rufen!" Aber das hätte eh niemand gemacht. Freddie war einer von uns."

Die 2002 gestorbene Barbara Valentin - hier mit Rainer Werner Fassbinder - spielte nach Mercurys Tod die "trauernde Witwe" (Foto: Foto: ddp)

Das Privatleben des Stars ist so tatsächlich einigermaßen privat geblieben. Daran liegt es wohl, dass vielen zuerst die 2002 gestorbene Schauspielerin Barbara Valentin einfällt, wenn es um Freddie Mercury geht.

Nur eine Freundin

"Die Valentin war eine Freundin von ihm, mehr aber auch nicht", weiß Ambacher, "die hat nur nach seinem Tod in Interviews die trauernde Witwe gespielt." Mercury habe sich manchmal verleugnen lassen, wenn sie auf der Suche nach ihm im Frisco angerufen habe. Nachprüfen lässt sich das freilich nicht.

"Freddies wirkliche Liebe hoch drei", sagt Ambacher, "war Winnie." Winfried Kirchberger führte das Sebastianseck am Sebastiansplatz, und Mercury soll ihm hier einmal Rosen durchs Fenster geworfen haben. Kirchberger ist zwei Jahre nach Mercury gestorben, auch er hatte Aids. Heute befindet sich an gleicher Stelle ein französisches Bistro. Wenn die Erinnerung Orte bräuchte, um zu existieren, hätten Freddie Mercury und München fast nichts mehr miteinander zu tun.

Doch es gibt Dokumente, die das Gegenteil beweisen; und die zeigen, was gemeint sein könnte, wenn Freddie Mercury zugeschrieben wird, er habe ein exzessives Partyleben geführt. "Die Mutter aller Parties" - so wird sie in einer englischen Fernsehdokumentation genannt - fand im Mrs. Henderson in der Müllerstraße statt, dem heutigen C-Club.

"Die Männer durften nur im Fummel kommen", erinnert sich Ambacher, "alles war schwarz und weiß. Und ich war Prinzessin Anne." An diesem Abend, es war Freddie Mercurys 39. Geburtstag, wurde das Musikvideo zum Song "Living on my own" gedreht, und es wurde so wild und schmutzig, dass die BBC das Video lange nicht zeigte.

"Das war eben Freddie", sagt Ambacher, er sagt auch: "Er hat gern gefeiert, und dann richtig, aber im Grunde war das ein ganz filigraner, schüchterner Mensch." Davon gibt es natürlich keine Videoaufnahmen.

© SZ vom 04.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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