Musikalisches Hollywood:Das Geheimnis des Septakkords

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Klarinettist Woody Allen begeistert im Prinzregententheater - trotz seiner Musik.

Von Oliver Hochkeppel

Was war das bloß am vergangenen Samstagabend? Da gab es einen Veranstalter, der sich mit einer Presseerklärung für die horrenden Eintrittspreise rechtfertigen musste, obwohl er sogar draufzahlt.

Nicht wirklich gut, aber dabei verdammt gut: Woody Allen mit Band in München. (Foto: Foto: dpa)

Da füllte sich das edle Prinzregententheater bis zum letzten Platz mit einem prominent durchsetzten Publikum, das ähnlichen Ereignissen sonst höchstens zufällig im Biergarten beiwohnt; und da spielte eine Band, die hiesigen Vertretern des Oldtime Jazz wie der Allotria Jazz Band oder der Veterinary Street Jazz Band kaum das Wasser reichen konnte.

Eine Audienz - kein Konzert

Es war kein Dixieland-Konzert, was sich da abspielte, es drehte sich noch nicht einmal um Musik - es war vielmehr eine Audienz. Woody Allen ging wieder einmal öffentlich fremd. Amerikas - zumindest im alten Europa - berühmtester Filmkomiker spielte Klarinette.

Das ist nun keine Sensation, denn der Mann, der mit dem "Stadtneurotiker", mit "Manhattan", "Bullets Over Broadway", "Radio Days" und 32 anderen Filmen ein eigenes Komödiengenre schuf, hat oft genug gesagt, er könne sich eher vorstellen, keine Filme mehr zu machen als ohne Musik zu leben.

Und wenn es vor 20 Jahren noch ein Geheimtipp war, dass er jeden Montag im New Yorker "Michael's Pub" spielte, dann war das spätestens seit der Oscar-Verleihung von 1978, der Allen seiner Klarinette zuliebe fern blieb, ein offenes Geheimnis. Inzwischen sind die seit 1997 ins "Café Carlyle" verlagerten Auftritte eine in jedem Reiseführer verzeichnete Touristenattraktion.

Sogar einen Dokumentarfilm über Allens Musikleidenschaft gibt es: "Wild Man Blues". Kaum einer hat es so wie Woody Allen verstanden, bei seinem Publikum ein Gefühl von intellektueller Verbundenheit, von Seelenverwandtschaft inmitten des absurden Alltagstreibens zu vermitteln.

"Ihr habt uns verdorben. So gut sind wir gar nicht"

Bei kaum einem anderen Künstler ist deshalb der Wunsch der Verehrer so ausgeprägt, ihm in persona zu begegnen, und sei es nur, wenn er gerade Klarinette spielt.

Es war also ein Glücksfall für die Fangemeinde, dass der 69-Jährige entgegen der Gewohnheit, sein geliebtes New York nur im Notfall zu verlassen, seinen neuesten Film in London dreht. Und dass er sich obendrein - vielleicht um seine Gewissen zu beruhigen, dass sich stets meldet, "wenn ich nicht zwei Stunden am Tag übe" - eine Minitournee durch drei deutsche Städte für seine New Orleans Jazz Band zusammenstellen ließ.

Jedenfalls waren seine Anhänger fest entschlossen, die seltene Gelegenheit zu einer ihrem Idol angemessenen Huldigung zu nutzen. Jubelstürme schon beim Einzug von Woody Allen, der die hohen Erwartungen auch optisch voll erfüllt: flatterndes Hemd über dem schmächtigen Oberkörper, Hornbrille - alles wie man es aus seinen Filmen kennt; wilde Akklamation, als er Stadt und Einwohner rühmt und verspricht, man würde nun spielen "so gut wir können".

Eifriger Szenenapplaus bei jedem Solo eines der sieben Musiker; standing ovations und Blumenwürfe beim Abschied; und wütend widersprechender Applaus bei Allens Schlussbemerkung: "Ihr habt uns verdorben. So gut sind wir gar nicht."

Fast eine Parodie

Damit hat er übrigens Recht. Musikalisch gesehen war dieser Abend im Dominantseptakkord mit seinen altertümlichen Stomps, Rags und Marches, mit einem schräg aus dem Ruder gelaufenen "O Tannenbaum", dem unvermeidlichen "Saint Louis Blues" und Rausschmeißern von Schlage eines "Till We Meet Again" bestenfalls ein netter Freizeitspaß.

Mit der unverbrüchlichen Lust von Hobbymusikern, die genau wissen, dass Offbeat-Jazz vom Swing aufwärts zu schwer für sie ist, mühte sich Bandleader Eddy Davis am Banjo um Authentizität, setzte Trompeter Simon Wettenhall - der beste Instrumentalist - seine Soli und versprühte Pianistin Cynthia Sayer noch dann gute Laune, wenn sie ihre Begleiter bei einer Gesangseinlage ungeplant auf die Quint zwang.

Allen, dem auf den Boden blickenden, mal heftig aufstampfenden, dann wieder mit verschränkten Beinen dasitzenden Mittelpunkt des Ganzen, merkte man die Verehrung für seine großen Vorbilder George Lewis und Sidney Bechet (nach dem er sogar eine seiner Adoptivtöchter benannt hat) an. Aber eben auch das fehlende Talent, ihnen nachfolgen zu können.

Da zahlt man gerne

Mit atemloser Flucht ins Stakkato und einem unschön quäkenden Ton lieferte Allen fast eine Parodie der Jazz-Klarinette ab, die als Soundtrack eher zu Mack-Sennett-Slapstick passen würde als zu seinen eigenen Filmen. Manchmal wünschte man sich, er würde mehr Ansagen machen und dafür weniger spielen. Doch einerlei. Für das viele Geld durfte man immerhin aktiv an einer modernen Form der Heiligenverehrung teilnehmen.

So wie man sich dereinst vom der Nähe zu Auserwählten oder deren Überresten einen Übergang des Glücks versprach, so überhöhte hier die Aura des genialen Außenseiters den tristen Alltag. Als Cineast konnte man es auch ganz praktisch sehen: Wenn das Geld, das Allen mit seinem Hobby verdient, dabei hilft, dass seine Filme - anders als die beiden letzten - in Deutschland wieder einen Verleih finden, dann gibt man seinen Obulus gerne.

© SZ vom 2.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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