Münchner Originale:Kein Pardon für die Drehorgelfrau

Lesezeit: 3 min

Seit 17 Jahren spielt Edith Sahrhage Leierkasten auf dem Viktualienmarkt, zur Freude der Standbesitzer und Passanten. Jetzt will ihr die Polizei das Orgeln verbieten.

Von Bernd Kastner

Edith Sahrhage ist eine Wiederholungstäterin. Seit 17 Jahren. Das muss jetzt ein Ende haben, sagt die Stadt, sagt die Polizei. Frau Sahrhage versteht das alles nicht.

Ihr Tun störe niemanden, sagt sie, alle seien traurig, dass sie nicht mehr drehen und orgeln darf nach all den Jahren, in denen das Verbot immer schon gegolten hat. Warum wird plötzlich durchgegriffen? Edith Sahrhage ist die Drehorgelspielerin vom Viktualienmarkt.

1987 erfüllt sie sich ihren Kindheitstraum: Für 10.000 Mark kauft sie eine Drehorgel, ihr Hausmeister bastelt ein kleines Wagerl, und seither orgelt sie mal hier, mal dort. Am Tierpark zum Beispiel, und am Viktualienmarkt.

Ganz am Anfang, sagt sie, beklagen sich die Geschäftsleute nebenan, weil der Leierkasten so laut ist. Das versteht Edith Sahrhage, lässt sich einen Schalldämpfer einbauen, und alles ist gut. Die Ladenleute freuen sich, die Standlbesitzer auch, und vor allem die Passanten und Touristen.

Ein Münchner Original

Edith Sahrhage, vor 70 Jahren in Berlin geboren, steigt zum Münchner Original auf. Ihr Repertoire reicht von Mozart bis zur Moritat, sie schafft es in drei München-Bücher, in zwei Filme über die Stadt, und in unzählige TV-Beiträge.

Wie sie da steht am Rande des Viktualienmarkts am Petersberg, mit schwarzem Anzug und Melone, weißen Handschuhen und roter Weste, manchmal auch im schwarzen Dirndl - stilecht. Sie sagt, das Orgeln ist ihr Hobby, sie macht es nicht fürs Geld, auch wenn sie die zwanzig, dreißig Euro freuen, die an einem Samstagvormittag zwischen zehn und zwölf zusammenkommen.

16 Jahre lang schauen die Polizisten zu. Bis zum 9. Februar 2002. Sie orgelte wieder, eine junge Beamtin erspäht sie, ermahnt sie. Wissen Sie, fragt die Drehorgelfrau die Polizistin, welcher Tag heute ist? Faschingssamstag! Egal, sie wird aufgeschrieben.

Es geschieht weiter aber nichts. Ein Jahr später kommt Polizist S. vorbei, er vermerkt in seinem Büchlein die nächste ungehörige Tat, und an Weihnachten 2003 wird Frau Sahrhage erneut aktenkundig.

Vor ein paar Wochen zückt Polizist S. abermals den Stift - und dann kommt Post vom Baureferat. Ein Bußgeldbescheid, vier Untaten sind aufgelaufen. Die Polizei schickt ihr einen Anhörungsbogen, will zum Beispiel den "ausgeübten Beruf zur Tatzeit" wissen.

Edith Sahrhage vergisst diesen Tag ihres Gesetzesbruches nie, aber aus ganz anderem Grund: "Die Täterin", antwortet sie wahrheitsgemäß, "wurde zur Tatzeit Urgroßmutter eines echt Münchner Kindls." Ihre Tat kostet 50 Euro plus 12,50 Euro Gebühren plus 5,60 Euro Auslagen. Welch Glück, es hätten laut Ordnungswidrigkeitengesetz auch 1000 Euro werden können.

Paragraph 7 gibt es gar nicht

Das Baureferat verweist unter anderem auf Paragraph 7 der "Hausarbeits- und Musiklärmverordnung". Dass dieser Paragraph gar nicht existiert, ist noch niemand in der Verwaltung aufgefallen. Die Verordnung besteht nur aus fünf Paragraphen.

Beschlossen hat sie der Stadtrat, und in der Rathaus-Information verteilen sie ein Flugblatt an alle Straßenmusiker. In dem sind die "Spielregeln" des Straßenspiels gelistet. "Obwohl sich Stadt und Stadtverwaltung", heißt es da, "grundsätzlich freuen" über das Spiel, könne nicht alles toleriert werden.

Dann ist von "Erlaubnissen" die Rede, die für zehn Mark (!) in der Rathaus-Info zu haben sind, aber maximal für einen Tag pro Woche und Musikant. Das Direktorium der Stadt "bedauert", dass man "ein bisschen Bürokratie in eine an sich schöne und begrüßenswerte Sache bringen" müsse.

Und dann kommt zur "Sache" das große Aber: "Die Benutzung besonders störender Musikinstrumente ist nicht gestattet." Es folgt eine Liste von verbotenen Instrumenten in der Fußgängerzone, von der Posaune bis zum Schlagzeug. Drehorgel inklusive.

Frau Sahrhage schreibt an den Stadtrat: Sie störe doch niemanden. Sie hofft, irgend jemanden muss es doch geben, der ihr beisteht. Der Oberbürgermeister vielleicht, schließlich hat der, als er noch nicht Oberbürgermeister war, aber werden wollte, ihr die Hand geschüttelt und sie geduzt, und später hat die SPD sie 25 Mal engagiert, meist für den Wahlkampf.

Orgeln für Schily

Und meist draußen auf der Straße, einmal hat sie auch für Herrn Innenminister Schily georgelt. Aber kein Politiker antwortet der Leierkastenfrau, die sich der "unerlaubten Sondernutzung" öffentlichen Grundes schuldig gemacht hat.

Die Drehorgelfrau lässt sich nicht einschüchtern, stellt sich wieder auf ihren Stammplatz. Doch ihr Instrument schweigt, sie stellt ein Schild vor sich hin: "Meine Orgel bleibt heut still, weil es die Stadt München will." Viele Passanten sprechen sie an, schimpfen auf Stadt und Polizei.

Edith Sahrhage ist glücklich ob des Rückhalts, sammelt Unterschriften, und die Leute spenden auch Kommentare: "Wir wollen dich nicht verlieren!" "Eine Gemeinheit, dass sie nicht mehr spielen darf." "München ohne Herz." "Ein echter Blödsinn." Und einer schreibt: "Edith, spiel weiter, ich spreche mit Ude."

Ob Ude hören will? Vor ein paar Tagen ist erneut der Polizist S. vorbeigekommen. So, hat er zur Leierkastenfrau gesagt und sie aufgeschrieben, das ist eine vorsätzliche Wiederholungstat. Edith Sahrhage sagt, sie werde ihre Tat wiederholen.

© SZ vom 16.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: