Münchner Fußgängerzone:Das betonmöblierte Wohnzimmer

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Die Münchner Fußgängerzone hat eine Umgestaltung bitter nötig. Zur Geschichte und Ästhetik des Wohnzimmers der Münchner.

Roland Pawlitschko

Von Flanieren kann nicht die Rede sein. Wer untertags von einer beschaulichen Seitenstraße in die Münchner Fußgängerzone schlendert, gerät unweigerlich in einen unaufhörlich fließenden Strom von hyperaktiv kreischenden oder stier dreinblickenden Menschen. Gestört lediglich von grauer Stadtmöblierung, Cafés und Betonschlünden aus dem Untergrund scheinen die Massen einen von immergleichen Waren- und Modehausketten gesäumten Kanal zu durchfließen. Wer einen sperrigen Kinderwagen schiebt oder gar unvermittelt stehenbleibt, wird gnadenlos aus dem Weg gespült.

Kleine Abkühlung im Stachusbrunnen am Karlsplatz in München. (Foto: Foto: Heddergott)

Das ist in München nicht anders als in Madrid, Amsterdam oder Gütersloh. Zwischen den vornehmlich Naturstein oder Glas gewordenen Abbildern des Konsumterrors gibt es zwar gelegentlich architektonisch anspruchsvolle Gebäude, die aus diesem unerträglichen Gewirr herausragen wie Leuchttürme. Vergeblich hingegen sucht man zwischen Stachus und Marienplatz gut gestaltete Straßenräume.

Monotonie und Trostlosigkeit auf der Flaniermeile

Die Planung und Errichtung dieser Fußgängerzone stammt aus der Zeit der für München bis heute über alle Maßen prägenden Olympischen Spiele. Als autofreie Einkaufsstraße ging sie aus einem Wettbewerb hervor, den der Architekt Bernhard Winkler bereits im Jahr 1968 für sich entscheiden konnte. Anschließend galt sie einige Zeit als eine der bundesweit größten ihrer Art. Viele werden angesichts der kaum zu überbietenden Monotonie und Trostlosigkeit der "Flaniermeile" überrascht sein, dass es hierfür überhaupt je ein dezidiertes Gestaltungskonzept gab. Dass die Grundzüge dieser Planung bis heute nicht nur erhalten geblieben sind, sondern auch im Stadtrat nach wie vor das Maß aller Dinge darstellen, wurde im Dezember 2007 erneut bekräftigt. Im Protokoll einer öffentlichen Sitzung des Bauausschusses heißt es: "Grundsätzlich ist aber bei allen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten darauf zu achten, dass der architektonische Entwurf bewahrt bleibt."

Von welchem architektonischen Entwurf ist hier noch mal die Rede? Doch nicht etwa von den Drahtgitterstühlen, die erst vergangenen März anlässlich der 850-Jahrfeier erneuert wurden - das alte Modell "Offenburg" wurde gegen das ebenso schmucke wie vandalensichere Modell "München" ausgetauscht. Oder von den drögen Pflanzbehältern in Form von betonierten überdimensionalen Sechskantmuttern. In der für die siebziger Jahre typischen kreativen Freude an den Kombinationsmöglichkeiten grundgeometrischer Formen werden diese bis heute willkürlich und ohne jegliche Entsprechung zur Pflasterfläche abwechselnd einzeln, paarweise oder in Kleingruppen angeordnet.

Am Richard-Strauss-Brunnen bei der Kirche St.Michael staunen Passanten über ausufernde Sechskantcluster, gesäumt von mit Stahlseilen fixierten Drahtgitterstühlen. Bereitwillig wird dieses Angebot zum Sitzen angenommen. Die büschelweise wuchernden bunten Blumen im Nacken scheinen dabei nicht zu stören. Andere Sitzgelegenheiten gibt es aber ohnehin nicht. Nebenbei dienen die tonnenschweren Pflanztröge zur Aufnahme von Kleinabfällen, Hundeurin oder Zigarettenkippen und stehen sinnbildlich für die unbändige Sehnsucht des Menschen nach einem kleinen Stück Natur, nach einem "möblierten" Wohnzimmer im Freien. An anderer Stelle wiederum festigen die Blumenkübel mittels kleiner Palmen einmal mehr den Status Münchens als nördlichste Stadt Italiens und werden daher gerne von Touristen mit ins Bild genommen.

Zu jeder italienischen Piazza gehört auch ein veritabler Brunnen. Also formieren unzählige bogenförmig aus dem Boden spritzende Fontänen am Stachus eine riesige Wasserhalbkugel. Bernhard Winkler konnte allerdings nicht ahnen, dass sich dort einige Jahre später eine der weltweit umsatzstärksten McDonald's-Filialen befinden würde. Und weil zur Beseitigung des dort gern abgelagerten Abfalls noch immer keine Taucheranzüge eingesetzt werden, staken Hunde, Kinder und Tauben zur sommerlichen Abkühlung eben zwischen Getränkebechern, Pappschachteln und aufgeweichten Pommes frites umher.

Inszenierte Langeweile

Beleuchtet wird dieses traurige Schauspiel allabendlich von 37, inzwischen immerhin energietechnisch modernisierten Doppelkreiselleuchten. Wurden sie hier in einer schwungvollen Kurve symmetrisch rund um den Brunnen angeordnet, so treten diese analog zu den Pflanztrögen anderswo vorzugsweise in Reihen oder lustigen Kleingruppen auf. Wie schon die Sechskantmuttern zeugen auch die vier übereinander aufgespießten Glasschüsselhälften von der Faszination an der Geometrie. Und tatsächlich: Ist der Funke erst einmal übergesprungen, würde man wirklich gerne wissen, wie diese Laternen wohl mit drei, vier oder noch mehr Kugeln oder sogar in unterschiedlichen Maßstäben aussähen.

Zur Ehrenrettung des vorolympischen Entwurfes sollte man an dieser Stelle einen Augenblick innehalten und vor dem inneren Auge das Ambiente einer Gartenschau der siebziger Jahre passieren lassen. Doch wozu das Konzept der inszenierten Langeweile wiederbeleben? Im hyperaktiven Einkaufsrummel der konsumgierig umherirrenden Menschen wirkt dieses Konzept nur leichenblass und bestenfalls provisorisch.

Höchste Zeit für einen Ideenwettbewerb

Zwangsläufig kommt die Frage auf, ob es nicht auch ganz andere, zeitgenössischere und den Bedürfnissen der Menschen angepasste Lösungen geben könnte. Nicht unbedingt auf Basis der polygonalen Kioske, hinter deren kantiger grauer Edelstahl-Glas-Konstruktion sich meterweise volkstümliche Bierkrüge und Zinnteller befinden. Nein. Gemeint sind vielmehr stadträumliche Ansätze, die den funktionalen wie gestalterischen Bedürfnissen des 21.Jahrhunderts gerecht werden.

Wie wäre es beispielsweise mit einem differenzierten, baukünstlerisch durchwirkten Hintergrund, vor dem die aufdringlichen Kommerzfassaden zum Nebenschauplatz würden. Räumen, die nicht als zubetonierte Kanäle empfunden und zudem auch wesentlich besser in jenes Bild einer Millionenstadt passen würden, die sich gerne mit den architektonischen Pretiosen von Frei Otto, Coop Himmelb(l)au oder Herzog & de Meuron schmückt. Nach der Überarbeitung der Stachus-Passage wäre es höchste Zeit für einen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung der Fußgängerzone. Man würde sich wundern, was hier alles möglich wäre. Im Protokoll jener Bauausschusssitzung vom Dezember 2007 heißt es hierzu lapidar: "Eine Notwendigkeit, die heutige Gestaltung der Münchner Fußgängerzone grundsätzlich in Frage zu stellen, ist nicht gegeben."

© SZ vom 11.09.2008/jh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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