Münchner Flughafen:Aus der Bahn geworfen

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40 Flughafen-Nachbarn droht die Zwangsabsiedlung - Airport-Chef Michael Kerkloh hält die dritte Piste aber für unumgänglich.

Dominik Hutter

Inzwischen werden schon die Kinder angesprochen. Ob man nicht aus dem Dorf käme, das sowieso bald abgerissen wird? "Manche Leute machen sich überhaupt keine Gedanken, wie so etwas auf die Menschen wirkt", sagt Agnes Schranner. Seit 2000 lebt die gelernte Krankenschwester in dem weiß gestrichenen Häuschen mit den Naturholz-Fensterläden, ihr Mann ist in Eittingermoos geboren und aufgewachsen.

Der Garten: ein kleines Spielparadies mit Schaukel und Sandkasten für die beiden Kinder. "Wir wollen hier nicht weg", betont Schranner. Im Hintergrund hebt eine Lufthansa-Maschine ab. Paris, Peking oder Paderborn - auf so etwas achtet hier niemand.

Schranner und ihr Mann, der einen Gerüstverleih betreibt, werden immerhin die Wahl haben zwischen Bleiben und Wegziehen - anders als ihre südlichen Nachbarn in Schwaigermoos, deren Grundstücke in wenigen Jahren einfach dem Münchner Flughafen zugeschlagen werden sollen.

Die Frage ist nur: Wie freiwillig kann eine solche Entscheidung sein? Wie laut wird es werden im Schrannerschen Garten, wenn man am Horizont keine Moos-Gehöfte und keine Bäume mehr sieht, sondern nur noch die dritte Start-und Landebahn des siebtgrößten Flughafens in Europa?

Falls der Durchschnittslärm die Grenze von 70 Dezibel überschreiten sollte, muss der Flughafenbetreiber ein Kaufangebot für Haus und Grundstück machen. Schranner will nicht darüber nachdenken, wie die Entscheidung der Familie wohl ausfallen könnte. "Wir wollen die dritte Bahn schließlich verhindern."

Transparent an der Scheune

Von Schranners Haus ist es nicht weit bis zur Ortsgrenze zwischen Eittinger- und Schwaigermoos, die ungefähr den Nordzaun des künftigen Flughafengeländes markiert. An Scheune und Wohnhaus des benachbarten Bauernhofs sind Transparente gegen die dritte Startbahn befestigt, der Pferde-Hof südlich davon gehört bereits der Flughafengesellschaft.

Den Ort Schwaigermoos wird es größtenteils nicht mehr geben, wenn "MUC" seine Kapazität erweitert hat. 41 Menschen, so die Zahlen aus dem Bayerischen Finanzministerium, müssen zwangsabgesiedelt werden, 32 davon aus Schwaigermoos. 32 Nachbarn, mit denen man jetzt noch am Zaun ratscht, Feste feiert oder die man beim Mooswirt trifft.

Nicht weit entfernt von den geduckten Häuschen, den schmalen Dorfstraßen und alten Bäumen liegt eine völlig andere Welt - die des zweitgrößten deutschen Flughafens. Es ist die Welt der blank gewienerten Fußböden, der teuren Unterwäsche- und Sportmodegeschäfte, der klimatisierten Lounges für Geschäftsreisende - eine riesenhafte Struktur in einer sonst sehr kleinteiligen Umgebung.

Für die dort weilenden Flugpassagiere ist das Erdinger Moos wahrscheinlich nur ein Grünteppich, den man bei Start und Landung aus der kleinen Flugzeugluke sehen kann. Als optisches Intermezzo sozusagen: Gerade noch die blau schimmernde Bucht von San Francisco im Blick, dann kurz das Erdinger Moos, und weiter geht es zu den Hochhäusern und Tempeln im schwülheißen Bangkok.

Ein brachliegendes Feld direkt am östlichen Vorfeldzaun, mit der Flur-Nummer 6094/88, Gemarkung Oberding: Von diesem rund 1000 Quadratmeter großen Grundstück soll ein wichtiger Teil des Anti-Startbahn-Kampfes ausgehen. Es ist die letzte von ursprünglich drei Sperrflächen des Bunds Naturschutz im Erdinger Moos. Die beiden anderen, ebenfalls 1973 gekauft, liegen heute unter einem der Terminals und unter der Südbahn. "Als Grundstückseigentümer haben wir eine bessere Position in den Planungsverfahren", erklärt Christian Magerl, der Freisinger Kreisvorsitzende des Bunds Naturschutz. Sprich: als Einwender und vielleicht auch Kläger.

Magerl kennt das Moos sehr genau - auch von früher, als in dem ehemaligen Feuchtgebiet noch Torf gestochen wurde und dort zahlreiche seltene Vögel zu Hause waren. Noch heute ist der begeisterte Ornithologe, der über die Vogelwelt des Erdinger Mooses promoviert hat, oft mit dem Fernglas unterwegs. Seit langem zählt der grüne Landtagsabgeordnete zu den profiliertesten Flughafengegnern. Auch diesmal will er wieder in den Ring treten.

Die andere Seite im Bahn-Kampf hat ihre Büros in einem Komplex aus Glas und Stahl an der Nordallee. Dort arbeitet Michael Kerkloh, der gerade erst zum Airportmanager des Jahres gewählte "MUC"-Chef. "Natürlich kann ich die Sorgen der Anwohner verstehen", betont Kerkloh, der selbst nicht allzu weit weg wohnt.

Aber es gibt eben auch die Interessen des Flughafens, der sich als nationale, wenn nicht europäische Verkehrsdrehscheibe sieht. Und die der Millionen Fluggäste, die von hier jedes Jahr in den Urlaub oder zur Geschäftsreise starten.

Für Kerkloh geht es vor allem ums große Ganze, den Standort Deutschland. Es geht um Arbeitsplätze, um die Rolle der Luftfahrt als eine der wenigen noch stark wachsenden Wirtschaftsbranchen und natürlich um die Position des Flughafens selbst, der sich in kurzer Zeit in die europäische Spitzenliga vorgearbeitet hat.

55 Langstreckenziele werden inzwischen von München aus angeflogen - São Paulo ebenso wie Miami, Los Angeles, Tokio, Hongkong, Peking oder Shanghai. Von solchen Zielen träumen, mit Ausnahme der Frankfurter Kollegen, andere deutsche Flughafenmanager vergebens.

Mit dem Erreichten ist es für Kerkloh aber noch nicht getan - und diesen Konflikt werden der Flughafen und sein Umland vermutlich nie gütlich ausräumen können. Die zahlreichen Bürgerinitiativen finden, dass "MUC" auch mit den bestehenden zwei Bahnen noch wachsen kann und dass die Fluggast-Prognosen angesichts steigender Kerosinpreise sowie der wachsenden Konkurrenz in Zürich, Wien oder Nahost nicht zu halten sind.

Kerkloh hingegen verweist auf jene fünf Stunden pro Tag, an denen er jetzt schon keine zusätzlichen Flüge mehr annehmen kann. Ohne die dritte Bahn, so seine These, werde der derzeit noch stark wachsende Flughafen - die Rate ist die fünfthöchste der Welt - sehr rasch den Sinkflug einleiten. Samt allen Konsequenzen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Auch Münchens Lufthansa-Chef Karl-Ulrich Garnadt hat den Bürgerinitiativen bereits unmissverständlich klar gemacht: Ohne dritte Bahn stellt die Lufthansa ihr südliches Drehkreuz in Frage.

"Die Grenze ist erreicht"

Agnes Schranner kann über solche Aussagen nur den Kopf schütteln. "Eigentlich sollte hier nur ein Ersatzflughafen für München-Riem hin", ärgert sie sich. Von einem europäischen Drehkreuz sei nie die Rede gewesen. Der Bund Naturschutz findet zudem den Preis viel zu hoch, den man für die buchstäblich hochfliegenden Träume zahlen müsste: über 300 Hektar Land zusätzlich versiegelt, der letzte zusammenhängende Rest des Erdinger Mooses verlärmt, Grundwasserabsenkungen auf immer größeren Flächen - und alles nur, um noch mehr Klimakiller in die Atmosphäre zu schicken. "Die Belastbarkeitsgrenze ist erreicht", erklärt Magerl.

In Eittingermoos und Schwaigermoos wird bereits getuschelt - wer wohl schon Haus und Grund verkauft hat und für wie viel. "Hier wird eine ganze Dorfgemeinschaft zerrissen", warnt Schranner. Immerhin: Vor wenigen Tagen wurde erst einmal mit einem großen Dorffest das neue Feuerwehrhaus eröffnet. Klar, dass es deshalb schon blöde Bemerkungen gab, berichtet Schranner. Einige Leute hätten doch glatt gefragt: "Wofür braucht ihr denn das überhaupt noch?"

© SZ vom 2.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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