Münchens "Kameradschaft Süd":Der Wille zur Tat

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Von einer "neuen Dimension des rechten Terrors" und der "Gefahr einer Braunen Armee Fraktion" sprachen Politiker und Ermittler, als im September 2003 in München eine Gruppe von Neonazis verhaftet wurde. Sie wollte Anschläge auf jüdische Einrichtungen verüben. Am Mittwoch hat Generalbundesanwalt Kay Nehm gegen die ersten Mitglieder der "Kameradschaft Süd" Anklage erhoben. Analysen von Annette Ramelsberger.

Sie fühlten sich als Elite. Eine rechtsextremistische Elite, die sich diszipliniert trainierte für den Kampf ums Vierte Reich. Die sich regelmäßig traf zur ideologischen Schulung. Die Nachwuchs rekrutierte. Die den politischen Gegner ausspionierte.

Die sich so konspirativ verhielt, dass sie ihre Termine und Treffpunkte nur mit Codewörtern durchgab. Und die innerhalb ihrer "Kameradschaft Süd" auch einen eigenen Namen hatte: Schutzgruppe (SG). Eine Elite mit einem ganz besonderen Ziel: Sie wollte, so sieht es Generalbundesanwalt Kay Nehm, mit Sprengstoffanschlägen die demokratische Ordnung in Deutschland beseitigen.

Der erste Anschlag sollte die Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum am Münchner Jakobsplatz treffen: jenem Ort, an dem am 9. November 2003 der Bundespräsident, der bayerische Ministerpräsident und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland versammelt waren.

Hätten sie ihren Anschlag ausführen können, dann - so steht es in der 79 Seiten langen Anklage des Generalbundesanwalts - wäre "eine Vielzahl" von Menschen bei der Feier gefährdet gewesen. Die Angeschuldigten hätten den Tod von Menschen in Kauf genommen.

Mit der Festnahme der Mitglieder der rechtsextremistischen "Kameradschaft Süd" im September vergangenen Jahres kam die Polizei dem Anschlag zuvor. Fast acht Monate nach dem Zugriff erhebt der Generalbundesanwalt nun die erste Anklage - wegen Mitgliedschaft in einer rechts-terroristischen Vereinigung.

Angeklagt werden zunächst die vier jüngsten Mitglieder der "Schutzgruppe", drei junge Frauen sowie ein junger Mann, der den bayerischen SPD-Fraktionschef Franz Maget ausspioniert hatte. Sie alle sollen sich vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht in München verantworten. Die Anklage gegen den Chef der Gruppe, den bundesweit bekannten Rechtsradikalen Martin Wiese, 27, und seinen Vize Alexander Maetzing, ebenfalls 27, soll im Frühsommer folgen.

Zündfähiger Sprengstoff

Ob die "Schutzgruppe" den Anschlag wirklich hätte ausführen können, ist strittig, aber für die Schuldfrage zweitrangig. "Man muss von einer ernsthaften Anschlagsvorbereitung ausgehen", sagt ein Ermittler. "Der Wille war da, das ist das Entscheidende."

Alle Mitglieder der Gruppe hatten dem Vorschlag ihres Anführers Wiese zugestimmt, einen Anschlag auf die Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum zu begehen. Und als ihnen klar wurde, dass ihre Vorbereitungen für den 9. November auffliegen könnten, war der Wille zur Tat so ausgeprägt, dass sie sofort nach anderen Zielen suchten. "Ein terroristisches Brainstorming", nennt das ein Fahnder.

Eine der Angeklagten, die heute 18 Jahre alte Monika St. aus Baldham bei München, schlug bei dem Treffen der "Schutzgruppe" in Wieses Wohnung sogar vor, sich als Selbstmordattentäterin auf dem Marienplatz inmitten der Landeshauptstadt in die Luft zu sprengen.

Wiese und seine Leute waren zwar nie in der Kanalisation unter dem Jakobsplatz gewesen, wo sie die Bombe deponieren wollten. Sie hatten auch noch nicht ausgekundschaftet, wie sie dorthin gelangen könnten. Sie hatten ja auch noch Zeit bis zum 9. November. "Das war alles noch im Kopf", sagen die Ermittler. Doch der Sprengstoff, den sie benutzen wollten, war nicht virtuell: 1,2 Kilogramm TNT hatten sich Wiese und seine "Schutzgruppe" besorgt, ausgekratzt aus einer alten Panzerfaust in den Wäldern nahe der polnischen Grenze.

Wieses Vize Maetzing versteckte den Sprengstoff in einer Sporttasche an seinem Arbeitsplatz in einer Schreinerei, wo das Material nach der Verhaftung der Gruppe sichergestellt wurde. Das bayerische Landeskriminalamt überprüfte das TNT später: Es war zündfähig.

Vom Frühjahr 2003 an beschaffte sich die Gruppe zudem sechs Pistolen von einem Waffenhändler in Brandenburg, der nun wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung angeklagt ist.

Wiese und seine Kameraden waren auch keineswegs zu dumm für den Anschlag, wie zwischenzeitlich in Münchner Polizeikreisen vermutet wurde. Sie hatten sich vorher bei Szene-Anwälten sogar Rechtsrat eingeholt, wie sie sich im Fall einer Entdeckung verhalten sollten.

Auch heute noch stehen sie zusammen. In den Vernehmungen gab es höchstens Teilgeständnisse, niemand hat gegen die anderen ausgepackt. Noch immer fühlen sie sich als rechte Elite, wie Briefe aus der Haft belegen.

"Sehr langfristig angelegt" war die Strategie der Gruppe, sagen die Fahnder. Und klar auf ernsthafte Gewalt gerichtet. Bei Schießübungen in den Wäldern bei München, zu denen sich die "Schutzgruppe" an Wochenenden regelmäßig traf, sagte ihr Anführer Wiese laut Vernehmungsprotokoll: Jetzt sei das alles noch ein Spiel, später werde das ernst. Ein anderes Mitglied, Monika St., filterte an ihrem Arbeitsplatz im Postscheckamt Informationen über missliebige Personen aus dem Computer.

Sie hätten genauso der Grundstock für eine Datensammlung werden können wie die handschriftlichen Aufzeichnungen über den Tagesablauf von SPD-Fraktionschef Franz Maget und dessen Sohn, die der Nachbarsjunge Thomas Sch. anlegte.

Nicht bestätigt hat sich bei den Ermittlungen hingegen der Verdacht auf ein bundesweites braunes Netzwerk - auch wenn Wieses Truppe mit der rechten "Fränkischen Aktionsfront" Zeltlager veranstaltete und enge persönliche Kontakte nach Brandenburg pflegte.

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