Münchener Medienmarathon:Zähe Typen aus der U-Bahn

Lesezeit: 3 min

Marathon-Urkunden sind begehrt: Münchens Veranstalter haben den Schummlern den Kampf angesagt

Von Christina Warta

Es gibt ja die seltsamsten Menschen heutzutage, deshalb gibt es neuerdings auch springende Marathonläufer. Vermutlich, so schrieb ein Teilnehmer des Medienmarathons München 2003 in seinem Brief, sei sein Fuß so hoch über der Zeitkontrollmatte geschwebt, dass das Signal des Chips nicht registriert wurde. Der Mann ging in Verteidigungshaltung, hatten ihn doch die Veranstalter einige Wochen nach dem Münchner Lauf angeschrieben mit der höflichen Bitte um Erklärung, warum eine bestimmte Kontrollmatte seinen Chip nicht registriert hatte. "Da muss er schon drüber gesprungen sein wie ein Hürdenläufer", sagt Marathon-Organisator Gernot Weigl. Denn die Kontrollmatten erfassen den Chip, der normalerweise am Schuh befestigt wird, bis in Hüfthöhe.

Geht man davon aus, dass ein Marathonläufer bei Kilometer 32 nicht einfach mal lustig in die Luft springt, bleibt nur eine andere Erklärung: Der Mann hat die Kontrollmatte gar nicht überlaufen, sondern den Weg abgekürzt - also geschummelt. 58 Läufer wurden nachträglich aus den Ergebnislisten des Marathons 2003 gestrichen, weil man es im Organisationsbüro als erwiesen ansah, dass sie nicht die gesamten 42 Kilometer gelaufen waren. Mit der steigenden Zahl der Marathon-Schummler steht München nicht allein da, auch andere Veranstalter klagen über das Problem. Wenn am kommenden Sonntag in München wieder der Marathon stattfindet (10 Uhr, Olympiapark), wollen es die Veranstalter den Abkürzern diesmal möglichst schwer machen.

Entlarvt werden die Betrüger dank der elektronischen Zeiterfassung, die bei großen Marathons, aber auch bei kleineren Volksläufen längst üblich ist. Die Läufer befestigen einen Computerchip an ihrem Schuh, der ein Signal an die auf der Strecke ausgelegte Kontrollmatten sendet. So wird sekundengenau nicht nur die Laufzeit ermittelt, sondern auch die Durchgangszeiten bei zehn Kilometern und der Halbmarathon-Distanz. Nachdem einige Zuschauer Gernot Weigl darauf aufmerksam gemacht hatten, dass manche Marathonläufer an der Giselastraße nicht in die Leopoldstraße abbiegen, sondern lieber in die U-Bahn-Station traben, ließ der Organisator im Norden des Englischen Gartens 2003 eine geheime Kontrollmatte auslegen.

Verdächtige Zwischenzeiten

Und die Falle schnappte zu: Einige Läufer passierten gar keine der drei ausgelegten Matten, andere verpassten einen oder zwei Kontrollpunkte. In detektivischer Kleinarbeit fischten Weigls Mitarbeiter alle Läufer unter den 10 335 Teilnehmern heraus, bei denen die Zwischenzeiten fehlten oder unrealistisch waren. "Wenn ein Hobbyläufer die zweite Marathonhälfte sehr viel schneller läuft als die erste, dann stimmt was nicht", sagt Weigl. "Einer war in der zweiten Hälfte 45 Minuten schneller als in der ersten."

Die Erklärungen der Ertappten sind eher drollig denn ernst zu nehmen. Einer gab an, seinen Schuh verloren zu haben und trotzdem weitergelaufen zu sein. Ein anderer erklärte, er habe einem dringenden Bedürfnis nachgeben müssen und deshalb offensichtlich just vor der Matte die Strecke verlassen, aber erst hinterher wieder betreten. Ein besonders höflicher Schummler zweifelte die Zuverlässigkeit der elektronischen Matten an und bat, man möge ihm diesmal die genaue Lage mitteilen, "damit ich meinen Laufplan den Kontrollmatten anpassen kann". Und auch Betrüger bleiben ungern allein: Ein Paar war innerhalb von zwei Sekunden über die Startlinie und praktisch ebenfalls gleichzeitig über die Ziellinie gerannt, doch die anderen Kontrollstellen hatten die beiden, ebenfalls im Gleichschritt, verpasst. Dreistester Fall war der einer zehnköpfigen Laufgruppe aus dem Fränkischen: "Vier waren ehrlich", sagt Weigl. Die anderen sechs Vereinskollegen bogen gemeinsam von der offiziellen Strecke ab - und flogen auf.

Bleibt die Frage, was jemand von einem Marathon hat, den er eigentlich gar nicht gelaufen ist - schließlich nehmen die meisten Menschen diese Strapaze auf sich, weil sie sich selbst etwas beweisen wollen. "Ich versteh"s nicht", sagt Gernot Weigl ratlos, "das ist doch eine Blamage bis zum Geht-nicht-mehr, wenn man da erwischt wird." Auch seine Briefe an die ertappten Schummler haben keine Erhellung gebracht: Die meisten haben gar nicht geantwortet, der Rest behauptete, unschuldig zu sein - und reagierte empört. "Einige Briefe waren schon sehr massiv", sagt Weigl.

Einen Marathon zu laufen ist eben angesagt. Mit dem Prädikat "Marathon-Finisher" lässt sich nicht nur im Freundeskreis gut protzen, es vermittelt auch in Bewerbungen um eine neue Arbeitsstelle den Eindruck einer besonders zähen Persönlichkeit. Doch anders als etwa im Tennis, wo man nur dann schummeln kann, wenn es sich spontan ergibt, gehört im Marathon ein Mindestmaß an Planung dazu: Wo verläuft die Strecke, wo fährt welche U-Bahn? "Der Streckenplan, den jeder Starter bekommt, ist dafür fast ideal", sagt Ursula Moses, im Medienmarathon-Team für die Pressearbeit zuständig. Rot ist der Streckenverlauf eingezeichnet, blau sind die U-Bahnen markiert, auf der Rückseite informiert ein S- und U-Bahn-Plan über die passende Verbindung zwischen Kilometer 6 und Kilometer 13.

Immens viel Arbeit

Manche Veranstalter, in Hamburg zum Beispiel, haben dennoch kein sonderlich großes Interesse daran, die Betrüger ausfindig zu machen: Es verursacht immens viel Arbeit, außerdem fürchtet man, das Läuferpublikum zu vergraulen und sich damit selbst um Startgeld-Einnahmen zu bringen. In München nimmt Gernot Weigl trotzdem den Kampf gegen die Betrüger auf. "Wir laufen durch das historische Marathontor ins Olympiastadion ein, das muss man sich 42 Kilometer lang verdienen", sagt er. "Das ist zwar ein Volkslauf, aber wir wollen trotzdem faire Bedingungen für alle." Dieses Jahr wird es noch mehr geheime Kontrollmatten geben, außerdem haben sich die Organisatoren noch ein paar andere Tricks überlegt, wie sie die Schummler erwischen. Ausplaudern wollen sie die vorher allerdings nicht.

© SZ vom 06. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: