München TV:Das Spar-Programm aus Schwabing

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Wenige Mitarbeiter, bezahlte Beiträge und nachts Erotik-Filmchen: Wie München TV mit begrenztem Etat Lokalfernsehen macht.

Michael Ruhland

Der Tag im Sender fängt für Monika Eckert um neun Uhr mit einer guten Nachricht an. Sie muss ihren Beitrag für die Nachrichtensendung "München heute" nicht alleine drehen. Alleine hieße: Den gut zehn Kilogramm schweren Rucksack mit der Kamera auf den Rücken schnallen, die längliche Umhängetasche mit dem Stativ über die Schulter schwingen (nochmals rund fünf Kilo), in die Tiefgarage zum Auto eilen, während der Fahrt per Handy Termine vereinbaren, bestätigen, verschieben, Parkplatz suchen, wieder Packesel spielen und dann in den diversen Dienstzimmern und Hotellounges sich möglichst entspannt geben.

Kamera ab - aber erst angeschleppt und aufgebaut: München-TV-Redakteurin Monika Eckert (Mitte) und ihre Praktikantin Ursula Trischler bereiten ein Interview mit Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle vor. (Foto: Foto: Heddergott)

Es soll ja keiner merken, wie sich dünne Schweißrinnsale ihren Weg vom Nacken zum Rücken bahnen, während die Reporterin ihre Kamera im Büro des Kreisverwaltungsreferenten oder des Geschäftsführers des Bayerischen Einzelhandelsverbandes auf das Stativ schraubt, Scheinwerfer installiert, Lichttests macht. Denn nach diesen Präludien beginnt erst die eigentliche Arbeit. O-Töne einholen, Interviews führen, den Interviewten am Schluss noch für die spätere Anmoderation des Beitrags an seinen Schreibtisch setzen oder dynamisch durch eine Drehtür gehen lassen.

Eine Frau für Alles

Wie gesagt: Heute hat Monika Eckert, Redakteurin beim Lokalfernsehsender München TV, Glück - ihr assistiert eine Praktikantin, die dankbar ist, wichtige Handgriffe zu lernen. Ursula Trischler, 21 Jahre alt, wird dann, mit etwas Fortüne, als Volontärin später selbst durch München düsen und ein Stoßgebet zum Himmel beten, dass das Stop-and-Go in der Sonnenstraße bloß nicht zu lange dauert. "Was wir an Zeit vertrödeln, weil in München andauernd Stau ist", sagt Eckert, als in der Brienner Straße wieder einmal nichts vorwärts geht. Anfangs sei sie manchmal panisch geworden, wenn der Terminplan wegen dummer Staus oder nicht erreichbarer Gesprächspartner durcheinander geriet.

Der Beitrag muss ja in der Redaktion noch geschnitten und vertont werden. Und um 18 Uhr geht die Nachrichtensendung los. Spätestens dann müssen - je nach Wichtigkeit der Nachricht - zwischen zwei und fünf Minuten digital im System stehen. Mit zunehmender Routine habe sich auch die Nervosität gelegt. ,,Es ist zum Glück noch nie passiert, dass gar nichts ging'', sagt sie.

Thema vorschlagen, recherchieren, Fragen überlegen, die eigenen Interviews mit der Kamera aufzeichnen, am Schneidetisch bearbeiten, im Tonstudio die einleitenden Texte aufsprechen - was früher Redakteur, Kameramann, Cutter im Teamwork machten, ist eine Ein-Mann- oder bei München TV noch öfter eine Eine-Frau-Sache geworden. VJ, Videojournalist, nennt die Branche den neuen Berufsstand. Anforderungsprofil: Multitalent im Multimediazeitalter. Man könnte auch sagen: Kosteneinsparer im Zeitalter des Wir-müssen-immer-effizienter-und-billiger-werden.

Nun ist es nicht so, dass sich Monika Eckert oder Ursula Trischler beklagten. Im Gegenteil: "Bei keinem Sender kann man schneller so viel machen", sagt die Praktikantin. Auch Eckert lobt die gute Schule, die der Lokalsender für diejenigen sei, die sich auf die Hinterbeine stellen könnten: "Vieles hier ist learning by doing. Als Praktikant muss man schon selber initiativ werden."

Ab und an gebe es schon mal einen Kameramann, der einen Kurs gebe. "Sprechunterricht", findet die junge Redakteurin, die Volontariate bei Radio Gong in Regensburg und dann bei TV München gemacht hat, "sollte schon jeder nehmen."

Der Chefredakteur Jörg van Hooven weiß, dass er dem jungen Team einiges abverlangen muss. Das Redaktionsbudget ist klein, die Erwartungshaltung der neuen Gesellschafter groß. Vor einem Jahr übernahmen sieben Unternehmen aus der Medienbranche das Ruder beim Lokalfernsehen: Helmut Markworts Medienpool TV, Studio Gong, Focus TV (mit Markwort als Geschäftsführer), der Münchner Zeitungsverlag des Merkur-Verlegers Dirk Ippen, die Neue Welle-Antenne Bayern der Familie Oschmann sowie die Augsburger RT.1 GmbH und Franz Georg Strauß' Werbegesellschaft M 2 Media. Diese sieben hatten sich bei der Neuausschreibung der Sendelizenz durch die Bayerische Landesanstalt für Medien (BLM) nach längerem Gerangel um Anteile und Auflagen durchgesetzt.

Vorausgegangen war ein Katz-und-Maus-Spiel, das der frühere Mehrheitsgesellschafter des Lokalsenders TV München, der österreichische Bauunternehmer Hanno Soravia, mit der BLM getrieben hatte. Soravia, der auch noch in Berlin und Zürich Lokalfernsehen betrieb, verstieß regelmäßig gegen die Programmauflagen und ließ schon mal ein Berliner Basketballspiel über die Münchner Bildschirme flimmern. Als immer undurchsichtiger wurde, wer eigentlich im Hintergrund die Fäden zieht, stellte die BLM Ende 2004 ein Ultimatum. Soravia sollte die Geldgeber von TV München offen legen - er weigerte sich. Den Medienwächtern blieb nichts anderes übrig, als dem Sender die Lizenz zu entziehen. Daraufhin ließ Soravia den Laden gegen die Wand fahren und meldete im Februar 2005 Insolvenz an.

Zwei gewichtige Münchner Medienmacher gewannen daraufhin die Neuausschreibung: Focus-Chefredakteur Helmut Markwort und Dirk Ippen, der Merkur-Verleger. Während Ippen sich im Hintergrund hält, verkündet Markwort gerne, wie viel ihm an einem "hochlokalem Fernsehen" gelegen ist (siehe Interview). Und er mischt sich aktiv in die Programmgestaltung von München TV ein.

Erstmals schwarze Zahlen

Chefredakteur Jörg van Hooven beteuert zwar, dass er und sein Team nicht gegängelt würden. Doch ist ihm der Erfolgsdruck, der auf seinen Schultern lastet, anzumerken. Hooven ist nicht neu beim Sender. Schon einmal, unter der Ära des Fernsehmagnaten Leo Kirch, übernahm er die Führung des Lokalsenders, nachdem er zuvor den Chefposten bei Pro 7 und Sat 1 innegehabt hatte. Nach Kirchs Pleite stieg Hooven im Jahr 2002 aus, im Nachhinein betrachtet ein weiser Entschluss: Ihm blieb das Soravia-Desaster erspart.

Die aktuelle Vorgabe der Gesellschafter ist deutlich: Erstmals in seiner zwanzigjährigen Geschichte soll der Münchner Lokalsender schwarze Zahlen schreiben. Und zwar möglichst bald durch eigene Werbeeinnahmen. Nach knapp einem Jahr Vollbetrieb - München TV begann im Spätsommer mit den von der BLM geforderten drei Stunden lokalem Programm - soll das ehrgeizige Ziel der neuen Gesellschafter nicht mehr weit entfernt sein. "Wir liegen in der Entwicklung über unseren Planungen", sagt der Geschäftsführer von München TV, Michael Tenbusch. Zahlen rückt er nicht heraus, doch besteht kaum ein Zweifel daran, dass seine Devise "Wir passen die Ausgaben den Einnahmen an" die gesamte Senderpolitik bestimmt. Wen interessiert da noch, dass die Medienzentrale dem Sender in der Lizenzvereinbarung "ein jährliches Budget von 5,3 Millionen Euro" und "einen Personalstand von mindestens 60 Stellen, davon mindestens 30 im redaktionellen Bereich" vorgeschrieben hat?

"Stichprobenartig" beschäftige sich die Medienzentrale mit dem Sender und seinen Aktivitäten, sagt der Präsident der BLM, Wolf-Dieter Ring. Er attestiert München TV "insgesamt eine positive Entwicklung". Besonders die Nachrichtensendung "München heute" und der lokalpolitische Talk "Stadtgespräch" zeugten von Kompetenz.

Ring verhehlt aber nicht, dass der BLM auch manches missfalle, was dem Zuschauer Objektivität suggeriert, letztlich aber reine Werbung ist. Ring spricht von "rechtlichen Grauzonen". Die Grauzone heißt bei München TV "Unternehmens TV". Statt gewöhnlicher Werbespots werden bezahlte Berichte und Reportagen zum Beispiel über Flughafen-Shopping oder den neuen München-Stadtführer der SZ gezeigt.

Die Intention, nämlich Produkte und Marken zu verkaufen, bleibt die gleiche, nur dass das unter einem journalistischen Deckmäntelchen passiert. Das ist nicht verboten, nur sollte der Zuschauer aufgeklärt werden, dass es sich um eine Art Dauerwerbesendung handelt. Augenblicklich gibt es lediglich einen Hinweis zu Beginn der jeweiligen Sendung. "Wir müssen schauen, dass der Zuschauer nicht an der Nase herumgeführt wird. Die Kennzeichnung reicht so nicht aus", bemängelt Ring. Künftig soll dauerhaft ein Logo "Unternehmens TV" eingeblendet werden, fordert er. Geschäftsführer Tenbusch und Markwort, der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung, haben bereits eingelenkt.

Alles andere als begeistert ist der BLM-Präsident über die Pläne der Gesellschafter, demnächst ab Mitternacht erotische Videoclips zu zeigen. "Ich hatte eher erwartet, dass die neuen Gesellschafter dieser Versuchung widerstehen", sagt Ring. Immerhin hatte Markwort vor einem Jahr getönt, darauf zu verzichten. Verbieten kann man derartiges Schmuddel-TV nicht. Der Fernsehausschuss hat einen Antrag von München TV am 12. Juli bereits genehmigt - unter der Auflage, dass sie die "freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen" durchlaufen - will heißen: nicht pornographisch sind. In Kürze, gibt Markwort zu, werden auf München 2, dem zweiten Fernsehkanal von München TV, von Mitternacht bis fünf Uhr Erotik-Videoclips laufen.

Videos von den Zuschauern

Auf derlei Entscheidungen hat Chefredakteur Jörg van Hooven keinen Einfluss. Er sitzt in seinem kleinen Zimmer im vierten Stock des neuen Bürokomplexes in der Marcel-Breuer-Straße in der Parkstadt Schwabing, vom Großraumbüro der Redakteure und Volontäre trennt ihn nur eine Glaswand. Hooven ist ein hoch aufgeschossener Mann mit einer sehr bedachten, fast väterlichen Art zu sprechen. Er könnte für viele im Team tatsächlich der Vater sein, den Altersdurchschnitt schätzt er auf "Mitte bis Ende 20". 15 Volontäre und sechs Praktikanten, sagt er, arbeiteten derzeit bei München TV, insgesamt seien es im Haus "um die 50" Mitarbeiter. "Es wird sehr viel verlangt von den Leuten", sagt der Herstellungsleiter Hansgeorg Lichte. Und schiebt mit Blick auf die Videojournalisten nach: "Alles kann man eigentlich nicht können." Deshalb sei klar, dass manchmal die Qualität ein wenig leide.

Hooven und Lichte glauben dennoch fest an die Zukunft des Münchner Lokalfernsehens. Gerade haben sie eine neue Sendung entwickelt, die sich "Mikss" nennt, München-Internet-Kult-Stars-Sport. Zielgruppe: 12- bis 25-Jährige. Hooven spricht begeistert von einem "interaktiven Format", Jugendliche können live mit der Moderatorin Natalie Kaschuge chatten, Sms-Botschaften schicken, zwischendurch werden Musik-Videoclips eingespielt. "Es ist immer ein bisschen try and error", sagt Lichte. Der Versuchsballon soll im September in den Münchner Himmel steigen. Die Zuschauer sind aufgerufen, eigene Handy- oder Videofilme zu schicken, die Mikss dann sendet. "Im Merkur gab's die besten Fotos vom Bär Bruno", erinnert Hooven. Und die seien von den Lesern gekommen.

Es könnte also sein, dass eines Tages der Stress für Monika Eckert und Ursula Trischler rapide abnimmt. Dann, wenn die Nachrichtensendung "München heute" komplett von den Zuschauern bestritten wird.

© SZ vom 28.08.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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