München reagiert auf Terror-Krieg:Schweigen für Amerika

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Tausende Münchner beteiligen sich an den Minuten der Stille - in Betrieben, Schulen und auf den Straßen.

(SZ vom 14.9.2001) - Am Stachus wird es nur zwei Sekunden lang ganz leise. Eher ein Zufall, dass genau zum selben Zeitpunkt eine gnädige Ampelschaltung das Brummen der Motoren abstellt und die Bauarbeiter ihr Bohren unterbrechen.

In der Sonnenstraße, am Stachus, steht das Leben nie ganz still. Und doch wird es am Mittwoch um zehn Uhr ein bisschen stiller. Drei Trambahnen haben angehalten.

S-Bahnfahrer stiegen aus

Peter Ableitner, Fahrer der Linie 16 in Richtung Sendlinger Tor, hat sich aus seinem Sitz erhoben, ist ausgestiegen, hat sich neben sein Fahrzeug gestellt, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet.

Zwei Kollegen bleiben sitzen. Es gibt keine Weisung, wie man sich zu verhalten hat während dieser Gedenkminuten für die Opfer der Terroranschläge. Nur, dass sie eingehalten werden, sei für alle Kollegen "ein Muss" gewesen, sagt MVV-Mitarbeiter Günter Kraus. "Das kommt von Herzen."

Etwas unsicher wirken indes die Fahrgäste. Zwar gab es seit dem Vortag stündlich Durchsagen, warum am Mittwoch alle Trambahnen, Busse, U-Bahnen fünf Minuten pausieren. Doch eine angemessene Haltung zu finden in der Öffentlichkeit, das ist für viele Menschen ungewohnt und schwierig.

Gedrückte Stimmung in den Bahnen

Auch als um zehn Uhr die Linie U 6 in den U-Bahnhof Harras einfährt, scheint es zunächst unwirklich, dass diese sich fünf Minuten lang von ihrem Betrieb abhalten lassen könnte. Sie stoppt, die Türen gehen auf, die Menschen steigen ein - und die Ansage "bitte zurückbleiben" fällt vorerst aus.

Kein Unmut, kein Murren, kein Zischeln, in der Bahn bleibt es ruhig, die Stimmung ist gedrückt.

Verständnis bei Kunden und Passanten

Fünf Minuten durchzuhalten, das ist nicht leicht, wenn man an einer Kasse sitzt und vor einem die Kunden zahlen wollen: Beim Tengelmann im Stachus- Untergeschoss laufen die Fließbänder weiter.

Daneben, in der Müller-Brot- Filiale, lassen Durdija Pavlovic und Anna Tilli ihre Kunden warten. Keiner stört sich daran. "Das ist doch das Wenigste, was wir tun können," sagt Anna Tilli.

Die Vorhalle des Münchner Hauptbahnhofs gleicht zu dieser Zeit einem Kirchenschiff. Reisende und Angestellte hören auf zu reden, zu laufen, einige senken die Blicke zu Boden, andere schauen auf zu dem Großmonitor, der zwei Tage zuvor das brennende World Trade Center gezeigt hatte.

Nur ein junges Ehepaar mit Kind und viel Gepäck reagiert gereizt: "Das ist ja wohl jetzt ein bisschen übertrieben", sagt die Frau, während die Familie Richtung Ausgang läuft.

Verstummen am Flughafen

Auch am Flughafen wird der Terroropfer gedacht. Die Mitarbeiter an den Schaltern erheben sich. 15 Sekunden nachdem die Uhr an der großen Anzeigetafel auf Zehn gesprungen ist, ist auch der letzte Fluggast in der überfüllten Halle verstummt. Viele haben die Hände zum Gebet gefaltet, andere blicken zu Boden, nicht wenigen stehen Tränen in den Augen.

Fünf Minuten Ruhe herrschen auch in vielen Firmen - etwa bei BMW, wo die Bänder um 10 Uhr still stehen. "Wir haben über das Intranet verbreitet, dass die BMW Group das Vorhaben unterstützt", sagt Firmen-Sprecherin Martina Wimmer. "Soweit wir beobachten konnten, haben es die Mitarbeiter angenommen."

In den Schulen versammeln sich Kinder und Jugendliche, um einige Minuten innezuhalten. "Es ist das erste Mal, dass alle Schülerinnen auf einmal in dieser Turnhalle zusammenkommen, und das ausgerechnet zu einem so traurigen Anlass", sagt eine Lehrerin der Realschule in der Damenstift-Straße mit zitternder Stimme über das Mikrophon.

Schüler tragen sich in Kondolenzlisten ein

Anschließend tragen die Mädchen sich - wie an vielen anderen Schulen - schweigend in Kondolenzlisten ein. Auch an den Kindergärten versucht man, der Opfer zu gedenken: "Aber", sagt eine Betreuerin des Kindergartens an der Albrechtstraße, "wir haben gerade viele Dreijährige bekommen - und die begreifen den Sinn des Ganzen natürlich noch nicht so recht".

Am Viktualienmarkt hört man um zehn Uhr die Kirchenglocken nur gedämpft. Obwohl um diese Zeit ohnehin noch nicht viele Kunden gekommen sind, unterbrechen die Standbetreiber ihre Verkaufsgespräche nicht.

Nur einer steht mit vor dem Körper zusammengelegten Händen am Rand seines Standes - fünf Minuten lang. Hinterher sagt Heinrich Schreiner vom Trockenblumenstand Brinkmann: "Das ist so schrecklich, da muss man einfach mitfühlen." Und Rita Schreiner meint: "Da gibt's sowieso keine Worte."

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