München im Second Life:"Ohne Nackerte!"

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Ein Münchner bastelt wider allen Unkenrufen die bayerische Landeshauptstadt im Second Life nach. Vor allem kulturelle Events sollen dort stattfinden. Wir waren schon mal drin. Mit virtuellem Rundflug und Bildergalerie.

Franziska Seng

Nun findet sich im Netz also auch eine geklonte bayerische Landeshauptstadt, neben blinkenden Raumstationen, Dschungellandschaften und verträumten Mittelalterwelten. Stefan Weiß und die Mitarbeiter seiner Agentur "in-world professionals" haben in der dreidimensionalen Internet-Parallelwelt des "Second Life" fast die komplette Münchner Innenstadt aus dem virtuellen Boden gestampft.

(Foto: Foto: in-world professionals)

Als eines jener künstlichen Paradiese, in die jeder, der über eine schnelle Internetverbindung verfügt, vom heimischen Rechner aus eintauchen kann: Einfach die Software runterladen, sich einen Avatar basteln, einen virtuellen Doppelgänger, und los geht das Hopping über die etwa 8000 Inseln, auf denen sich das "Zweite Leben" im Netz abspielt.

Dort ist vieles wie im echten Leben: Man kann shoppen gehen, seinem Avatar schicke Kleider und Autos spendieren, Leute treffen, in Clubs abtanzen oder versuchen, reich zu werden. Gehandelt wird mit der "Second Life"-Währung, dem Linden-Dollar.

Der Tauschwert von einem realen Euro beträgt etwa 395 Linden-Dollar. Doch stellte sich heraus, dass sich im "Second Life" nicht nur die bunten und glamourösen, sondern auch die bitteren Seiten der Realität widergespiegelt finden: Handel mit echter Kinderpornographie, zahlreiche Bordell-Inseln, auf denen das scheinbar einzige lukrative Gewerbe der neuen Welt betrieben wird.

Die Vision großer Unternehmen hingegen, mit virtuellen Niederlassungen markante Gewinne zu erzielen, hat sich bisher nicht erfüllt. Auch von der singulären Erfolgsgeschichte der Anshe Chung, die seit Jahren mit "Second Life"-Immobilien handelt und angeblich millionenschwere Gewinne in realen Dollars einfährt, können die meisten der Business-Avatare nur träumen.

Stefan Weiß verfolgt ohnehin ein anderes Konzept: "Was wir mit München im ,Second Life' schaffen wollen, das ist ein Ort für Kultur und Lebensfreude." Bayerische Tradition und Münchner Lebensart stünden im Vordergrund. "Nackerte wird es allerdings im virtuellen München keine geben", fügt er schmunzelnd hinzu. "Isar und Eisbach haben wir weggelassen."

Kultur und Lebensfreude? Ein häufig wiederkehrendes Argument von "Second Life"-Kritikern lautet, man sei in den unendlichen Weiten der Inselwelt oft galaktisch einsam, fände über weite Strecken nur gähnende Leere vor. Dagegen sollen nicht nur touristisch wirksame Klischees wie Hofbräuhaus, Blasmusik und Lederhosen helfen, auch kulturelle Institutionen und Veranstaltungen sollen im virtuellen München einen festen Platz haben.

Wenn alle Baulücken in der digitalen Innenstadt geschlossen sein werden, sollen auf einer Bühne im Marienhof regelmäßig Konzerte oder Theateraufführungen stattfinden, nach Vorbildern wie dem "Second Life"-Auftritt der Musikgruppe Juli oder der "Wonderland"-Performance der Berliner Schaubühne. Ähnlich wie die Dresdner Gemäldegalerie, die mit ihren Alten Meistern seit kurzem im "Second Life" zu bestaunen ist, könnten sich auch die Münchner Museen eine virtuelle Existenz aufbauen.

Barockes Basteln

"München ist das anspruchsvollste Bauprojekt im ,Second Life"', so Stefan Weiß. "Jedes Gebäude ist originalgetreu nachgebaut, allein am Neuen Rathaus haben zwei Mitarbeiter drei Wochen lang gearbeitet!". Wer sich für Architektur interessiert, dem bieten sich im "Second Life" ungewöhnliche Perspektiven.

So muss etwa der Mies-van-der-Rohe-Fan nicht mehr nach Plano, Illinois, fahren, um die Räumlichkeiten des "Farnsworth Hauses" von innen erleben zu können. Im "Second Life" steht eine maßstabsgetreue Kopie, der Avatar darf durch das Glashaus wandeln oder sich ungestraft in einen der Barcelona Chairs lümmeln.

Genauso eröffnen sich einem Münchner Flaneur neue architektonische Aussichten: Die virtuellen Flügel des Avatars machen es möglich, auf einem der Zwiebeltürme der Frauenkirche zu landen und über die Dächer der Stadt zu blicken oder sich auf dem Balkon des Neuen Rathauses niederzulassen, um Details der neugotischen Fassade zu studieren. Auch die prächtigen historischen Räumlichkeiten des Alten Rathauses werden im "Second Life" zu besichtigen sein.

Eigentlich war München im "Second Life" als kleines Referenzprojekt von Weiß' Agentur gedacht. Mittlerweile sind vier feste und 60 freie Mitarbeiter mit dem Bau der virtuellen Stadt beschäftigt, darunter Landschaftsgärtner, Modedesigner und Instrumentenbauer, als Experten für die Bepflanzung, die Dirndl und Lederhosen, die es in den Trachtengeschäften geben wird, sowie für die Musikinstrumente der "Second Life"-Blaskapelle.

Dazu gebe es begeisterte Avatare, die zum Spaß Bauarbeiten an den Gebäuden übernähmen, freut sich Stefan Weiß. "Im Grunde kann jeder mithelfen, die Stadt aufzubauen. Vor allem beim aufwendigen Innenausbau der Kirchen freuen wir uns über Unterstützung." Wer sich also berufen fühlt, die Nachfolge der Meister Cosmas Damian und Egid Quirin Asam anzutreten, der kann am Rechner das Kleinod St. Johann Nepomuk nachbasteln.

Oberbürgermeister Christian Ude als Avatar?

Vor allem eins will Stefan Weiß mit seinem Projekt erreichen: fest in der städtischen Kultur verankert sein, mit einem Bein auch im realen München stehen. "Unser Angebot richtet sich nicht nur an Touristen, die sich einen ersten Eindruck von der Stadt machen möchten, sondern auch an Münchner, die Lust haben, ihre Heimat von einer neuen Seite kennenzulernen. Deswegen bemühen wir uns auch um eine möglichst enge Zusammenarbeit mit der Stadt."

Sein größter Traum: "Oberbürgermeister Christian Ude kommt zur offiziellen München-Eröffnung ins ,Second Life'. Einen Avatar basteln wir ihm natürlich." Über dem Schreibtisch des Informatikers hängt eine Abbildung des alten Münchenmodells aus dem Stadtmuseum, gebaut von Jakob Sandtner. "Wenn unser jetziges Projekt gut ankommt, finden sich sicher einige Sponsoren. Dann können wir uns auch an die nächsten München-Projekte machen, etwa das Holzmodell Sandtners im ,Second Life' begehbar zu machen."

© SZ vom 8.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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