München - eine persönliche Betrachtung:Am siebten Tage aß der Herr eine Weißwurst

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Warum die Münchner ein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein an den Tag legen, als werde die Stadt bereits im Alten Testament erwähnt.

Kurt Kister

München und die Süddeutsche Zeitung in der Sendlinger Straße - das ist ein Paar, dem es gut miteinander geht. Nun wird bald eine Art Fernbeziehung daraus, wenn die Redaktion im Herbst in das neue Hochhaus zieht, nach Steinhausen weit im Osten der Stadt. Kurt Kister, stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, nahm diese schmerzliche Trennung zum Anlass, über München und das Münchner Wesen zu sinnieren. Der folgende Text stammt aus der Rede, die er am Mittwoch bei der Präsentation des SZ-Buches "München - Die Geschichte der Stadt" gehalten hat.

Am siebten Tage aber ruhte der Herr und aß vor der Mittagsstunde eine Weißwurst an der Furt des Isarflusses. Er dachte: Hier frommt es mir, hier will ich eine Stadt bauen. (Foto: Foto: Marco Einfeldt)

Meine Großmutter, die eine nur in Maßen weltgewandte Frau war, erzählte gerne folgende Geschichte, von der sie stets behauptete, sie habe sich auch tatsächlich so zugetragen. Ein Landsturmmann, aus München stammend, habe 1870 einige französische Turko-Soldaten, möglicherweise auch Zouaven, bewachen müssen, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Die Gefangenen, Moslems allemal, hätten ihr Gebet verrichtet, worauf der Landstürmer seinen Kameraden gefragt habe: "Wos hoda gsogt, der Turko?" Der Kamerad darauf: "Allah is groß, hodda gsogt." Der Landstürmer: "Gäh, Schmarrn, Allach is doch ned groß. Minga is vui gressa!"

Der Münchner Minderwertigkeitskomplex

In dieser kleinen Geschichte steckt so viel über München und die Münchner, dass ich sie selbst erfunden hätte, hätte sie denn meine Oma nicht erzählt, die aber leider schon lange tot ist. Zum Beispiel hat der Münchner als solcher einen Minderwertigkeitskomplex. Seine Stadt nämlich ist jung, gerade mal 850 Jahre. Allach dagegen existierte als Ahaloh schon im Jahre 774 und sogar Pasing, heute ein urban-peripherer Greislichkeits-Satellit, wurde erstmals 763 erwähnt - fast 400 Jahre früher als München. Historisch kann München mit Städten wie Augsburg, Regensburg oder Straubing schon gar nicht mithalten.

Dafür legen die Münchner, die sich für alteingesessen halten, also alle, deren Münchner Wurzeln vor 1972 zurückreichen, ein Selbstbewusstsein an den Tag, als werde München bereits im Alten Testament erwähnt - etwa so: "Am siebten Tage aber ruhte der Herr und aß vor der Mittagsstunde eine Weißwurst an der Furt des Isarflusses. Er dachte: Hier frommt es mir, hier will ich eine Stadt bauen." Das besondere Münchner Selbstbewusstsein zeichnet nicht nur Fuhrknechte und im Schumanns trinkende Insolvenzbetrüger aus, sondern auch und gerade die Oberbürgermeister dieser Stadt - völlig egal, ob sie Jahrhundertwerke zu verantworten haben wie den Mittleren Ring und die U-Bahn oder nur für zu kurze Hochhäuser verantwortlich sind und nicht zur Meisterfeier des FC Bayern kommen.

Die Kaum-Alternden

Schon im Alten Testament steht, dass der Münchner OB immer ein Sozialdemokrat sein muss, es sei denn, er heißt Kiesl, woran sich aber nicht einmal mehr der Kiesl gerne erinnert. Ebenfalls festgehalten ist, dass ein Münchner OB, dem seine Stadt zu Kopf gestiegen ist und der deswegen in die Bundespolitik wechselt, mit dem SPD-Vorsitz nicht unter drei Jahren bestraft wird. Immerhin aber haben frühere OBs ganz genau gewusst, wie man "Pflicht" schreibt, wohingegen München im 21. Jahrhundert von Menschen regiert wird, die Pflicht so buchstabieren: M-Y-K-O-N-O-S.

Letzteres, Mykonos also, ist ein großartiges Stichwort auch für München. Nein, es soll jetzt nicht die Rede sein vom südlichen Charakter Münchens. Wer heute offiziell oder privat sagt, dass München die nördlichste Stadt Italiens sei, gar dass München leuchte, der muss zur Strafe entweder drei Jahre lang Monika Hohlmeiers Dossiers ordnen oder eine Cocktail Lounge in Steinhausen betreiben, Letzteres lebenslang. Mykonos ist deswegen ein gutes Stichwort, weil es an jenes Lebensgefühl erinnert, das diese Stadt beherrscht, in der Sechzigjährige das Sagen haben, die wie fünfzig aussehen, sich wie vierzig fühlen und wählen, als wären sie dreißig.

München ist ganz unzweifelhaft die Hauptstadt der Kaum-Alternden, deren Teint nach der Methode Müller-Wohlfahrt mykonesisch bleibt, weil sie sich dies wegen einer proaktiven Einkommensverwaltung nach der Methode Zumwinkel leisten können. In keiner anderen Stadt Deutschlands hätte Oliver Kahn der größte Philosoph werden können und Uli Hoeneß der bedeutendste, möglicherweise sogar der ehrlichste Spitzenmanager.

Der Föhn und die U-Bahn-Schläger

Eigentlich hat München ja alles, was es verdient, zumindest aber, was es braucht: Christian Ude und die Schneckenpost zum Flughafen, den Föhn und die U-Bahn-Schläger, die spezifisch Münchner CSU und die Autobahn nach Starnberg. Außerdem hat München auch noch den Bayerischen Rundfunk, Maria Furtwängler und den Focus sowie, natürlich, die Süddeutsche Zeitung. Zwischen der SZ und der Stadt besteht eine treffliche Symbiose, was man schon daran sieht, dass der Oberbürgermeister einmal SZ-Redakteur war und viele SZ-Redakteure das Gefühl haben, sie sollten eigentlich Oberbürgermeister oder wenigstens Bundeskanzler, zumindest aber Parteivorsitzender sein, und zwar nicht der CSU.

Jedenfalls geht es der Stadt gut mit der SZ, und der SZ geht es gut mit der Stadt - ungefähr noch drei oder vier Monate lang. Im Herbst zieht die SZ dann in die Gegend von Straubing.

© SZ vom 14.06.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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