Moosacher Findelkind:Raquel sucht ihre Mama

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Das kleine Mädchen, das in der Borstei ausgesetzt wurde, ist wohlauf - doch von der Mutter fehlt jede Spur. (Foto: Stephan Rumpf)

Ärzte und Krankenschwestern am Klinikum Dritter Orden kümmern sich derzeit um das Baby, das vor einer Woche in der Borstei ausgesetzt wurde. Noch hoffen alle, dass die Mutter sich meldet - doch bis jetzt fehlt von ihr jede Spur.

Von Anne Goebel

Es ist vor allem der Name, der viele hoffen lässt. Raquel heißt das Mädchen, das am vergangenen Mittwoch einen Tag nach seiner Geburt in einem Wohnhaus in der Borstei ausgesetzt wurde. Dass die Mutter ihr Kind nicht anonym zurückließ, kann auf eine Bindung hindeuten, die zwischen der Frau und ihrer kleinen Tochter bestand - trotz der anschließenden Verzweiflungstat.

Die Polizei hat bisher keine einzige Spur zu der Unbekannten. Dennoch will noch niemand ausschließen, dass Mutter und Kind wieder zusammenkommen. Womöglich habe die Frau sich aufgrund einer schwierigen Lebenssituation akut überfordert gefühlt und könne das "Geburtstrauma" wieder überwinden, heißt es aus dem Sozialreferat. Und auch der behandelnde Arzt des Mädchens äußert, wenn er den Zustand des ausgesetzten Säuglings beschreibt, so etwas wie vorsichtige Zuversicht. "Das Kind war gut versorgt. Es war angezogen, es war gepflegt. Es hatte einen Namen."

Doch das sind Spekulationen, vielleicht auch Ausdruck von Ratlosigkeit über eine schwer vorstellbare Tat - und bis auf weiteres wacht Jochen Peters über das Wohl der Neugeborenen. "Dem Baby geht es gut", sagt der Chefarzt der Kinderklinik am Klinikum Dritter Orden. Nachdem Raquel vor einer Woche in einem Hauseingang in der Borstei gefunden worden war, wurde sie direkt in das Krankenhaus an der Menzinger Straße gebracht.

Man habe sofort eine gründliche Untersuchung des Mädchens vorgenommen, sagt Peters, mit besonderem Augenmerk auf mögliche Infektionen. "Wir kennen weder die Schwangerschafts- noch die Geburtsumstände", auch die Vorsorgeuntersuchung unmittelbar nach der Entbindung habe ja nicht stattgefunden. Das Baby - seinem Aussehen nach von der Polizei als "mitteleuropäisch" beschrieben - habe trotz einer leichten Unterkühlung keine Auffälligkeiten gezeigt, so Peters.

Er gehe von einer "Termingeburt" aus, es liege also keine Entbindung vor dem errechneten Zeitpunkt vor, die ein höheres Risiko für das Kind bedeuten würde. Raquel werde auf der Neugeborenenstation rund um die Uhr überwacht und vom Team der zuständigen Krankenschwestern gewickelt, gepflegt und gefüttert. Sie achteten darauf, das Kind viel auf den Arm zu nehmen, mit ihm zu sprechen, es zu berühren. "Man nähert sich dem Kind so, wie es eine Mutter auch täte", sagt Jochen Peters. "Aber die biologische Mutter kann all das nicht ersetzen".

Juristisch ist das Mädchen "vom ersten Tag an in der Obhut des Stadtjugendamts", sagt Frank Boos, Pressesprecher des Sozialreferats. Er betont, dass die "Wahrung des Kindeswohls an oberster Stelle steht". Für das Schicksal des Babys, das eine Hausbewohnerin in eine Decke gewickelt in einem Weidenkorb fand, gibt es mehrere mögliche Szenarien.

Sollte die Mutter nicht mehr auftauchen, wird für das Kind eine Familie gesucht, die die sogenannte Bereitschaftspflege übernimmt. Man sei bereits in Gesprächen, da diese Familie Raquel nach dem Aufenthalt in der Klinik zu sich nehmen werde. Das Jugendamt verfüge über einen "seit Jahren bestehenden Pool" geeigneter Personen, die "Kleinstkinder in Krisensituationen sofort aufnehmen können", erklärt Boos.

Das nachfolgende Adoptionsverfahren, über das ein Vormundschaftsgericht entscheidet, sei in der Regel "nach ein bis anderthalb Jahren notariell abgeschlossen". Sollte sich die Mutter erst nach diesem Zeitpunkt melden und ihr Kind bei sich haben wollen, sei ihre "verwandtschaftliche Beziehung gelöscht", so Boos. Falls die Mutter des Mädchens vor Ablauf der Frist ihre Rechte geltend macht, muss ihre "Erziehungsfähigkeit und Belastungsfähigkeit" durch ein "ausführliches psychologisches Gutachten" sichergestellt sein.

Für Professor Jochen Peters und seine Station bleibt der Umgang mit Raquel eine ungewöhnliche Erfahrung. "Das Ereignis bewegt alle", sagt der Mediziner. "Man sieht so ein Neugeborenes und fragt sich, was muss wohl dahinterstehen, dass eine Mutter sich nicht zutraut, es zu versorgen." Er hoffe, Raquels Mutter wisse, dass sie "alle erdenkliche Unterstützung erfahren wird, wenn sie sich meldet".

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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