Mobile Briefbörse:Bekenntnisse an Unbekannt

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Mit ihrer "mobilen Briefbörse" macht Angela Dauber Münchner untereinander bekannt. Die festgehaltenen Gedanken dienen zudem als Zeitzeugnis über das Befinden der Münchner im Jahr 2008.

Ulrike Köppen

"Ist das eine Zwiesprache? Es ist doch eine Einsprache, wenn ich jemandem schreibe, den ich nicht kenne und von dem ich keine Antwort erwarte." Den Brief hat in geschwungener Schrift und schwarzer Tinte eine 80-jährige Frau verfasst. Wer möchte, kann ihn lesen, mit nach Hause nehmen und sich zu seinem Empfänger machen.

Die Aktionskünstlerin Angelika Dauber (Mitte) mit ihrer "Mobilen Briefbörse" am Rindermarkt (Foto: Foto: Robert Haas)

Mit 150 weiteren handgeschriebenen Briefen liegt er in einer Mappe auf dem weißen Schreibtisch von Angela Daubers "mobiler Briefbörse" "zwiesprach", mit der sie seit Anfang Juni an den großen Plätzen der Stadt wartet (Orte unter www.zwie-sprach.de) - auf Leser und neue Briefe.

Das Projekt der 61-jährigen Performerin ist Teil des Jubiläumsprogramms, das neben den etablierten Kunst- und Kulturinstitutionen der Stadt auch die freie Szene gestaltet. Bei Angela Dauber ist der 850. Stadtgeburtstag eine Gelegenheit, München über die Handschrift, Gedanken, Schimpftiraden und Bekenntnisse seiner Bürger kennenzulernen. "Liebe(r) Anonyme(r)", "stilleunbekannte", beginnen diese Briefe, das fehlende Wissen um den Empfänger thematisierend. Dennoch kann, wer möchte, eine Antwort bekommen, die Dauber weiterleitet.

"Natürlich ist es schon auch Voyeurismus"

"Hier stehen einige Worte, die mit mir zu tun haben", sagt eine Beobachterin und zeigt auf den Brief, den sie sich ausgesucht hat. "Es sind nur Stichworte, warum sie mich berühren, weiß ich auch nicht." Meist seien es Anknüpfungspunkte an das eigene Leben, die die Leute in den Briefen suchen würden, kommentiert Dauber und berichtet von einem 15-jährigen Mädchen, das einen der wenigen verschlossenen Umschläge gewählt hat - mit einem Brief aus dem polnischen Stettin, aus dem auch ihr Vater stammt.

"Natürlich ist es schon auch Voyeurismus", so Larsen. Und einige Briefe befriedigen diese Art der Neugier sicherlich: Eine Frau berichtet von ihrer "polyamoren Beziehung", in die sie ihre Ehe zusammen mit ihrem Mann verwandelt hat, und ein Mädchen schreibt an ihre Urgroßeltern, die sie nie kennen gelernt hat.

"Mir ist das fast schon zu intim", meint ein Passant, der wissen will, was es mit dem Schreibtisch am Rindermarkt auf sich hat und fragt: "Warum sollte man die privaten Dinge fremder Leute lesen?" Die Antwort gibt er sich gleich selbst: Wahrscheinlich sei es auch nicht anders als im Internet.

Dauber dagegen betont, dass das Projekt nicht als Reaktion auf die Chatroom- und Email-Gesellschaft gedacht sei. Sie trauert der Briefkultur auch nicht nach: "Der nostalgisch-romantische Punkt ist der schwächste Aspekt des Projekts", gesteht sie ein. Vielmehr will sie den direkten Kontakt von Menschen untereinander bewahren - der gerade deshalb entstehe, weil man sein Gegenüber nicht kenne.

"Dieses Nicht-Wissen eröffnet einen sehr privaten Raum, der vielen eine größere Offenheit ermöglicht", sagt sie, denn die Zwiesprache finde nicht nur auf dem Papier statt. "Viele bleiben lange Zeit hier sitzen, sprechen von ihrem Weltzorn, ihrem Ärger über Männer, Frauen und Politik", weiß Dauber.

Auch manchen Alltagsärger kann man in den Briefen nachlesen, wenn zum Beispiel ein Schreiber über die schlechte Moral seiner Mitbürger schimpft, weil aus seinem Fahrradkorb "eine Gurke, eine Paprikaschote und eine Dose Tomaten" geklaut wurden; und das, "obwohl sie mit einem Tuch zugedeckt waren".

Wenn nicht alle Briefe abgeholt werden, werden sie wahrscheinlich im Stadtarchiv gelagert, als Zeitzeugnis über das Befinden der Münchner im Jahr 2008. Bis Ende Juni verwaltet Angela Dauber die Geschichten. Danach seien die Briefe die nächsten 70 Jahre unter Verschluss und erzählen erst den folgenden Generationen über das München der heutigen Münchner.

© SZ vom 09.06.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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