Mit der Firma aufs Oktoberfest:Tisch mit Aussicht

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Als der Termin feststand, wollte ich erst absagen. Aber ich bin trotzdem mitgegangen. Und das war gut so.

Protokoll: Eike Schrimm

09:47 Anruf von Kollegin T.. Sie ist heute nicht im Büro. Wir wollen uns um 16.45 vor dem Winzerer Fähndl treffen.

12:01 Mail-Post vom Ehemann: Reiß' dich zusammen. Klar mach' ich. Immer.

16:32 Mit dem Rad geht's auf zur Wiesn. Ich freue mich, aber nicht nur weil ich zwei Stunden vorher das Büro verlassen darf. Nein, ich freue mich auf die Wiesn. Ich habe ja nette Kollegen. Und wenn es doch nicht nett wird, fahre ich halt heim. Zwingt mich ja keiner.

16:48 Drei Minuten schon über der verabredeten Zeit. Kurz vor der Wiesn ist noch genau eine Lücke frei für mein Rad. Kollegin T. ist bestimmt pünktlich und ich nicht. Ich bin aber auch zu doof, hätte doch kurz vor fünf sagen können.

16:57 Ankunft vor dem Zelt. Erstaunlich wenig los. Außerdem ist das Wetter super, trocken und sogar die Sonne lässt sich blicken. Kollegin T. strahlt auch - zum Glück, sie ist nicht sauer, weil ich zu spät bin.

17:00 Technik-Abteilung ist schon da. Natürlich. Auf die is' eben Verlass. Warum heißen drei Tische im Bierzelt eigentlich Box? Es ist doch gar keine Box, eben nur Biertische mit Bierbänken mitten im Zelt. Egal. Eine der drei reservierten Tische ist noch frei. Wir sitzen zu sechst dran. Sehr geräumig.

17.08 Jetzt die erste Maß bestellen. Wo ist die Bedienung?

17:14 Wo ist die Bedienung?

17:19 Wooooo ist die Bedienung?

17:22 Ah, die Bedienung: drei Radler und drei Maß, bitte.

17:24 Habt ihr schon die tolle Aussicht gesehen? Unsere Bank steht direkt am Eingang, das Riesenrad dreht sich im Hintergrund. Aber: "Es zieht" flucht Kollegin T. Da müssen wir durch. Schließlich sind wir auf der Wiesn.

17:25 Das Bier kommt. Wir wollen zahlen, berechnen aber das Bedienungsgeld zu knapp. Die Maß kostet nämlich eine Biermarke und 64 Cent. Die Bedienung ist ein bisschen angefressen und ahnt vage, mit wem sie es am Abend zu tun bekommt.

17.28 Der Mann mit den Brezn kommt vorbei. Drei lässt da - für knapp zehn Euro. Kollegen jammern über den Preis. Als wären sie noch nie da gewesen auf der Wiesn.

17:35 Kein Mensch steht auf den Bänken. Nur ganz vorn bei der Musik, da stehen Besoffene oben. Sonst tote Hose. Aber ist ok, plaudern wir eben über dies und das.

17:47 Jetzt wird es eng und warm, denn weitere fünf Kollegen quetschen sich an den Tisch. Vorbei die großzügigen Zeiten. Links liegt mein Oberschenkel am Oberschenkel von Kollege M. rechts am Oberschenkel von Kollege H. Es wird heiß. Hoffentlich sind meine Brillengläser sauber! Das sieht so ekelig aus, wenn die wieder so speckig sind.

18:01 Musi ist lau. Band reißt niemanden vom Hocker. Dann unterhalten wir uns eben selber und machen Selbstporträts mit der Kamera.

18:17 TV-München-Moderatorin steht plötzlich auf der Bühne. Sie verspricht, dass man in ein paar Minuten live zu sehen ist im Fernsehen. Und das wirkt. Das bis dahin vor sich hindösende Publikum frisst ihr aus den Händen und macht alles, was sie sagt. Wir natürlich auch, wenigstens ein bisschen. Denn wie sieht das aus, wenn das ganze Zelt tobt und nur wir hocken bockig auf den Bänken. Aber wir stehen nicht auf. Noch nicht auf.

18:47 Jetzt ein Hendl. Der Tisch bestellt sieben Stück. Und gleich noch mal fünf Maß dazu.

19:13 Hendl kommen. Gibt's auch Besteck? Kollege T. schlaumeiert: Wer mit Besteck das Hendl isst, legt vor dem Sex die Unterhose zusammen. Na und? Ist doch nicht schlimm. Ich greife zum Besteck. Kollege H. rechts neben mir auch. Und auch Kollege T. macht sich nichts mehr aus seiner Weisheit. Kollegin T. steckt die Erfrischungstücher ein. Ich sage: "Das macht meine Schwiegermutter auch!" Komisch, warum haben diese feucht-parfumierten Dinger eigentlich ein Verfallsdatum?

19:15 Gabel fällt auf den Boden. Macht nichts. Der Kollege H. ist schon fertig. Ich nehme seine.

20:15 Mit dem Hendl im Bauch breche ich mit Kollegin D. aus der Box aus. Ein Wiesn-Rundgang muss schon sein. Das Wetter ist immer noch toll. Jacke kann da bleiben, Bluse reicht. Wir machen Fotos von der bunten-funkelnden Wiesn. Es ist gar nicht viel los. Schön.

20:31 Ich will Karussell fahren. Auch das gehört dazu. Wir nehmen die Wilde Maus. Tolle Fahrt. Schön laut geschrieen die ganze Zeit.

20:43 Zurück im Zelt. "Simply the Best" und die Techniker stehen auf den Bänken. Eigene Abteilung hockt festgetackert auf den Plätzen. Ich quetsche mich wieder zwischen die Kollegen M. und H. Bei Kollege M. färbt sich das Weiß in den Augen rot ein. Aber er kann noch wunderschön geradeaus reden und er steht auch ganz stabil auf der Bank. Denn nun ist es so weit, auch wir müssen hoch. Stehe stocksteif da oben rum. Konnte schon früher nix anfangen mit "life is life". Jetzt wäre ein cooler Moment für die Zigarette. Rauche aber seit 14 Jahren nicht mehr. Dann nehme ich aus Verlegenheit das Radler in der Hand. Das geht ja immer auf der Wiesn. Allerdings müssen jetzt die anderen mittrinken. Mir egal.

21:07 Erlösung: Auf zum WC. Zu dritt. Kollegin T. im Dirndl wird von Millionen Augen angestarrt. Wahnsinn.

21:25 Seit einigen Minuten ist die Musik aus. Die Techniker stehen immer noch auf den Bänken. Ich sage ihnen, dass die Musik aus ist. Sie setzen sich.

22:28 Die Musik schmeißt uns raus mit U2 "i still haven't found what i'm looking for". Gute Sache, denn dazu kann ich mich einigermaßen passend bewegen. Aber es ist eben das letzte Lied. Egal.

23:07 Kollege T. will nicht ohne Bratswurstsemmel nach Hause gehen. Er bekommt sie und bekleckert sich nicht mit Senf. Gratulation und das nach drei/vier Maß.

23:15 Finde mein Fahrrad auf Anhieb.

23:33 Zuhause. Mann schläft. Ich gehe Duschen.

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