Mit dem Bus in die Heimat:Einmal Balkan und zurück

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30 Stunden Fahrt für ein Wochenende in der Heimat: Auf dem provisorischen Busparkplatz Hansastraße floriert das Geschäft mit Gastarbeitern.

Marco Eisenack

Freitag, 12.30 Uhr, Hansastraße: Männer wuchten einen Kühlschrank aus dem Kofferraum, eine Frau zerrt zwei Waschmittelkartons vom Rücksitz. Wäscheständer, Heizöfen, Winterreifen landen in den Bäuchen der rund dreißig wartenden Busse. Ein Mann hievt den glänzenden Kotflügel eines Autos in den Bus. Die Fahrgäste der "Balkanlinien", so nennt man die Busse in der Stadtverwaltung, haben viel Gepäck.

Fahrt in die Heimat - für ein Wochenende. (Foto: Foto: Robert Haas)

Freitags von 11 bis 16 Uhr ist der kahle Platz hinter den Werkstatthallen an der Hansastraße der größte Busparkplatz der Stadt. Bis zu 80 Busse stehen hier gleichzeitig für Wochenendheimfahrer bereit, seit das frühere Provisorium an der Arnulfstraße einem Neubaugebiet weichen musste.

Später kam es an der Marsstraße zu einem "großen Tohuwabohu", wie es in der Stadtverwaltung heißt, bei dem es auch einen Ansturm der Reisenden auf die Toiletten der dortigen Schule gegeben habe.

So sah sich die Stadt gezwungen, für die so genannten grauen Verkehre die Fläche an der Hansastraße anzubieten, sagt Peter Geck, Abteilungsleiter im Kreisverwaltungsreferat. "Wir bringen die Busse nicht weg. Die sind auch nicht bereit, die offiziellen Busparkplätze zu nutzen." Deshalb habe den Platz bereitgestellt.

Ein System für Insider

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) übernahm die Verwaltung, stellte vier Dixi-Klos auf und nutzt die kahle Fläche seither als Einnahmequelle.

"Vom Überschuss finanzieren wir soziale Projekte", sagt BRK-Pressesprecher Gisbert Frühauf. Bei jährlich etwa 4000 Bussen, die je 17 Euro zahlen, und zusätzlichen Parkgebühren für jeden Pkw kommt für die Abteilung "Parkplatzbewirtschaftung" der Rot-Kreuz-Betriebe einiges zusammen.

Nicht wegen der Kosten - die sind höher als bei den regulären Park&Ride-Stationen - sondern wegen der spontanen und langen Haltezeiten steuern die Fahrer weiterhin das Provisorium an der Hansastraße an, das so schon längst zur Institution wurde. Der am Freitagnachmittag auf Hochtouren laufende Heimreiseverkehr funktioniert nach einem System, das sich in Jahrzehnten aus einem wenig reglementierten Angebot und schwankender Nachfrage herausgebildet hat.

Für Außenstehende ist es nicht zu durchschauen. Routen? Abfahrtszeiten? Preise? Auf die wichtigsten Fragen finden Busreisende hier keine Antworten. Die notwendigen Informationen gibt es nur mündlich. Die Reiseveranstalter, die meist persönlich das Fahrgeld kassieren, sind erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen.

Kein Wartehäuschen, kein Kiosk, kein Dach zum Unterstellen. "Wir sind mitten in Deutschland, aber der Busbahnhof ist schlechter als in Bosnien", empört sich ein Mann mit grünem Lodenmantel über die vielen Pfützen. Ein Fahrer pflichtet ihm bei: "Die Leute machen mit ihren Schuhen die Busse total dreckig." Die 17 Euro Parkgebühr sind ihm zu teuer. "Wofür?", mischt sich eine ältere Frau ein. "Hier liegt Müll rum, und im Winter wird nicht mal gestreut."

BRK-Pressesprecher Frühauf weist die Kritik zurück. Bei Glätte schicke man einen Streudienst, und einmal wöchentlich werde geputzt. Auch am geplanten Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) an der Arnulfstraße soll das Rote Kreuz verdienen. Wenn die futuristische Halle, wie vorgesehen, im Frühjahr 2009 fertig ist, wird die BRK-Abteilung "Parkplatzbewirtschaftung" den Verkehr an 30 Terminals organisieren.

30 Stunden Fahrt für ein Wochenende in der Heimat

Von den Busfahrern, mit denen man schwer ins Gespräch kommt ("keine Namen"), wollen viele nicht in den neuen ZOB umziehen. "Wir machen keinen Linienverkehr, wir organisieren Heimfahrten", sagt ein kroatischer Fahrer. Man reagiere auf die Nachfrage vor Ort und ändere gegebenenfalls die Routen. "Die Tickets sind exklusiv nur über mein Handy zu bekommen", sagt ein anderer Mann, der das Gespräch abbricht, als er gefragt wird, ob man ihn vor seinem Bus fotografieren dürfe.

Nur 70 bis 80 Euro kosten die Fahrkarten - hin und zurück - in Städte, die man oft nur aus den früheren Kriegsberichten der "Tagesschau" kennt. Drei- bis viermal jährlich fahren Gastarbeiter zu ihren Verwandten, schätzt eine ältere Frau, die gerade ihre Nachbarin zum Bus bringt.

Väter, die ohne Anhang in München jobben, würden oft mehrmals im Monat nach Hause fahren - freitags hin und sonntags zurück. 30 Stunden Fahrt für ein Wochenende in der Heimat. Aber seit das Geld knapper wird, fahren die meisten hier nur noch ein paar Mal im Jahr.

Der weiße Litas-Bus fährt nach Petrovac. In der ersten Reihe sitzt eine Frau, die aussieht, als wolle sie nur kurz ein paar Stationen mit der S-Bahn fahren. Sie fährt die Strecke seit mehr als 30 Jahren. "Ich finde Busfahren besser als Fliegen." Warum? "Es ist billiger." Die Frau hat sich den Platz hinter dem Fahrer ergattert. So habe sie einen guten Blick auf den Fernseher.

Am liebsten sieht sie Viedeos mit Volksmusikshows aus der Heimat. Um 16 Uhr fährt der Bus ab. Morgens um fünf soll er an der serbischen Grenze sein, wenn alles gut geht. "Die Straßen sind gut. Wir fahren den Korridor 10, da kann man bis nach Asien fahren", sagt der Busfahrer Dordevic Dobrica. Wenn die Räder des Reisebusses auf der zwölfstündigen Fahrt mal still stehen, dann nicht wegen Baustellen oder Staus, sondern wegen des neuen Rauchverbotes. Alle zwei Stunden gibt es eine Raucherpause.

Nach anfänglicher Skepsis lächelt der stolze Buskapitän und lädt zum Kaffee in seinen Sitzreihen. Er will Vorurteile gegen die Balkanlinien ausräumen: "Wenn wir nicht ordentlich rasiert sind, gibt es eine Abmahnung. Krawatte und Anzug sind sowieso Pflicht", erklärt er. Die im Eingangsbereich auf den Armaturen liegenden Plastikbecher, offene Tüten und das Durcheinander in der Kühlbox stören ihn nicht.

Der uniformierte Kfz-Pilot demonstriert auf dem unwirtlichen deutschen Parkplatz ungezwungen serbische Gastfreundschaft, zieht ein selbstklebendes Etikett aus dem Handschuhfach und klebt es auf einen Honigtopf, der so groß ist, dass man Sandburgen damit bauen könnte. "Akazienhonig, von meinen eigenen Bienen", sagt der Busfahrer stolz.

Verborgenes Ziel

So auskunftsfreudig zeigt sich an diesem Nachmittag sonst keiner. "Balkanlinien fahren oft so genannte graue Verkehre", sagt KVR-Abteilungsleiter Peter Geck. Die Busse haben zwar meist die nötige Genehmigung deutscher Behörden - aber nur für bestimmte Routen. Die realen Routen verlaufen meist anders.

Ein Mann mit Brille und feinen Schuhen geht von Bus zu Bus. An seiner Seite zwei Frauen, die nicht so gekleidet sind, als würden sie sich auf 15 Stunden Busfahrt vorbereiten. Als zwei Polizisten hinzutreten, ist allen klar: Eine der monatlichen Routinekontrollen der Regierung von Oberbayern.

Für Kilian Lankes von der Abteilung Personenbeförderungsrecht sind Verstöße gegen Lenkzeiten und Linienverkehrsrecht schwer nachzuweisen. Und wenn ein VW-Transporter mit sechs Männern beim Losfahren aufgehalten wird, ist es ebenfalls kaum zu beweisen, dass am Steuer ein kommerzieller Busfahrer sitzt.

Ein Bus hält das Ziel seiner Reise hinter einem Pappschild verborgen. Als der altersschwache Diesel samt Fahrgästen vom Platz rollt, ist das Reiseziel hinter der Windschutzscheibe noch immer verklebt. Ein anderer Bus kündigt offen die Route "München - Istanbul" an. Bei Lankes erregt das besonderes Interesse.

Auf dem Landweg beträgt die Fahrtdauer 36 Stunden. Er würde gerne die Papiere für die Fährbuchung ab Brindisi sehen. Aber weder Fahrer noch Passagiere lassen sich blicken. Man muss flexibel sein in diesem Geschäft.

© SZ vom 23.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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