Misshandlung in Milbertshofen:Sühne für die jungen Täter

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Zwei 13-Jährige haben im Münchner Stadtteil Milbertshofen eine Seniorin über Stunden brutal misshandelt. Die beiden Kinder sind strafunmündig - doch die Tat bleibt für sie nicht ohne Folgen.

S. Loerzer und S. Wimmer

Strafe müssen die beiden 13 Jahre alten Jungen, die eine wehrlose alte Frau über Stunden brutal misshandelt haben sollen, nicht fürchten, denn Kinder sind erst im Alter von 14 Jahren strafmündig. Angesichts der schrecklichen Folgen für das Opfer ist nun erneut die politische Diskussion darum entbrannt, ob die Altersgrenze angemessen ist.

Die Junge Union Bayern fordert, für schwere Gewaltverbrechen die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre herabzusetzen. Diese Altersgrenze soll "nur für Taten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit" gelten, so der Vize-Landesvorsitzende Karlheinz Roth. "Durch ihre Tat beweisen die Täter eine perfide Reife, der die Gesellschaft begegnen muss." Dagegen setzt der Chef der Münchner SPD, Hans-Ulrich Pfaffmann, auf Prävention statt Strafe: "Kinder kommen nicht als Sadisten auf die Welt. Wir müssen deutlich mehr für die Prävention tun, um solche Gewaltexzesse zu verhindern."

Aus fachlichen Gründen hält Stadtjugendamtschefin Maria Kurz-Adam "überhaupt nichts" vom Absenken des Strafmündigkeitsalters. "Bei 13-Jährigen haben wir es entwicklungspsychologisch mit Kindern zu tun und nicht mit vorzeitiger Reife", betont die Psychologin, die auch vor Verallgemeinerungen warnt. Es gebe "sehr wenige extreme Einzelfallkonstellationen im Hinblick auf den Störungsgrad des Kindes und den Belastungsgrad der Familie".

Auch wenn Kindern keine Strafe droht, bleibt ihre Tat für sie und ihre Eltern nicht ohne Folgen: Denn die Jugendhilfe besitzt eine breite Palette von Hilfsangeboten bis hin zu Zwangsmaßnahmen, um die Entwicklung von Kindern zu korrigieren. Bei leichteren Fällen wie etwa Ladendiebstahl reagiert das Jugendamt mit Beratungsangeboten, bei Gewaltdelikten "werden wir hartnäckiger", sagt Kurz-Adam. Die schweren Misshandlungen im aktuellen Fall zeugten von "extremer Wut, die immer auch eine Wurzel in tiefen Kränkungen hat".

In Fällen wie diesem schalten sich Sozialpädagogen ein, um die häusliche und die schulische Situation zu klären und die nötige Unterstützung bei der Erziehung zu vermitteln. Das fängt mit ambulanten Angeboten an, etwa der sozialpädagogischen Gruppenarbeit, und reicht bis hin zur Herausnahme des Kindes aus der Familie und der Unterbringung in einem Heim.

Dies geschieht dann, so Kurz-Adam, "wenn die Situation so schwierig ist, dass die Eltern nicht mehr damit zurecht kommen und wir eine Einrichtung brauchen, aus der das Kind nicht entweichen kann, um mit ihm pädagogisch arbeiten zu können". Um über Ursachen des auffälligen Verhaltens Aufschluss zu erhalten, werden Kinder - wie jetzt einer der beiden 13-Jährigen - in der Kinder- und Jugendspsychiatrie der Heckscher Klinik geschlossen untergebracht.

Eine geschlossene Unterbringung war wohl ohnehin schon beim Familiengericht beantragt worden, weil der seit 2004 beim Jugendamt bekannte Junge sich allen anderen pädagogischen Angeboten entzogen hat. Durch Gewalttaten war er aber offenbar nicht aufgefallen.

Gäbe es das geplante geschlossene Heim in der Scapinellistraße schon, das bis zu 14 Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren für drei Monate aufnehmen soll, um weitere Hilfemöglichkeiten zu klären, wäre der Junge wohl dort vorübergehend untergebracht worden. Auf diese Weise können Kinder ebenso wie die Gesellschaft vor weiteren Taten geschützt werden, bis das Kind in der Lage ist, Hilfe anzunehmen. Je nach Entwicklungsfortschritten wird die geschlossene Unterbringung nach und nach gelockert.

Bei strafunmündigen Kindern ermittelt die Polizei, ob strafmündige Personen beteiligt sind und die Eltern ihre Fürsorge- oder Erziehungspflicht verletzt haben. Die polizeilichen Erkenntnisse gehen bei schweren Delikten unverzüglich an die Jugendhilfe. Damit sich die Pädagogen schnell einschalten können, gibt es seit 2007 die "Frühintervention bei Erst-/Zweitauffälligkeit mit Aggressionsdelikten".

So wird nun bereits in der Polizeidienststelle den Sorgeberechtigten ein schriftliches Beratungsangebot der regional zuständigen Erziehungsberatungsstelle ausgehändigt und parallel dazu das Jugendamt verständigt.

Die Zahl der gewalttätigen Minderjährigen, die die Polizei in ihrer Statistik erfasst hat, ist alarmierend: Zwar ist im Zehnjahresvergleich von 1999 bis 2008 die Anzahl der tatverdächtigen Kinder (bis 13 Jahre) bei der Gewaltkriminalität, zu der auch Delikte wie Sachbeschädigung oder Bedrohung gehören, um 2,6 Prozent gesunken.

Signifikant erhöht

Im Bereich der gefährlichen und schweren Körperverletzungen jedoch stechen die unter 14-Jährigen heraus: Hier hat sich der Anteil der Tatverdächtigen um 18,7 Prozent in den letzten zehn Jahren signifikant erhöht. Von 185 Kindern im Bereich Gewaltkriminalität waren 159 wegen Körperverletzungsdelikten aufgefallen. Bei den Jugendlichen ist der Anstieg mit 36,5 Prozent noch gravierender.

"Wir führen das auf den Medienkonsum, Gewalt in der Familie, Erziehungsdefizite und bei Familien mit Migrationshintergrund auch auf Männlichkeitsgehabe zurück", sagt Frank Hellwig vom Dezernat für Jugendkriminalität. Und: Mehr als ein Drittel der Gewalttäter stehe unter Alkoholeinfluss, "das ist ein großes Problem", so der Kriminaldirektor.

Um jugendliche Intensivtäter eventuell noch abfangen zu können, hat die Polizei im September 2000 das "Proper-Programm" eingeführt. Jugendliche, die innerhalb eines Jahres fünf Straftaten oder mehr begehen, darunter ein Gewaltdelikt, werden auf der Liste geführt.

Das heißt, ein Sachbearbeiter bei der Polizei und einer bei der Staatsanwaltschaft kümmern sich immer um ein- und denselben Kandidaten. Der Polizist hält Kontakt mit dem Jugendlichen, führt "Gefährderansprachen" durch, das heißt, er erklärt dem Intensivtäter seine Situation, zeigt ihm die Konsequenzen auf. Die Informationen über den Jugendlichen laufen auch beim Jugendamt auf, dort werden Sozialarbeiter aktiviert. Bleibt der Täter längere Zeit unauffällig, wird er aus der Liste gestrichen.

98 Jugendliche stehen zur Zeit auf dieser Liste, darunter einer unter 14 Jahren. Die Gesamtzahl sei in den letzten Jahren konstant geblieben, sagt Frank Hellwig.

© SZ vom 12.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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