Metallica-Konzert:Das Böse-Buben-Gefühl

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James Hetfield müsste man sein. Dann wäre man Sänger, Rhythmusgitarrist und Chef von Metallica.

Von Jochen Temsch

Man verdiente einen ordentlichen Anteil an den 40 Millionen Dollar, die dieses Spitzen-Unternehmen der Schwermetallbranche im Jahr erspielt. Man flöge im Privatjet, klärte seine Egoprobleme mit einem psychologischen Berater.

James Hetfield in Aktion (Foto: Foto: dpa)

Bei Sonnenuntergang stünde man auf einer gigantischen, mit schwarzen Stoff-Fetzen behängten Bühne, gegen die selbst Robbie Williams" mehrstöckiges Tourneepodest wie eine Hundehütte aussieht - weshalb man das Showgebäude nicht wie sonst üblich bescheiden in die Kurve, sondern eindrucksvoll längs ins Olympiastadion bauen muss. Man stellte sich breitbeinig vor 30 000 Zuschauer, würde dabei gefilmt und auf eine Videoleinwand übertragen, und wenn das Gesicht ganz nah herangezoomt wäre, grinste man - und rülpste mit ein paar tausend Watt Verstärkung ins Mikrofon. Man gäbe den jubelnden Zuhörern das gute alte Böse-Buben-Gefühl: Rock"n"Roll!

Aber es war nur ein kurzer Anflug von Rüpelhaftigkeit, den sich Hetfield in München gestattete. Früher gebärdete er sich viel wilder auf der Bühne, rotzte, spuckte und fluchte permanent. Im Vergleich dazu machte er jetzt den Eindruck, er habe außer seiner Entziehungskur auch einen Benimmkurs absolviert. Das zottelige Bühnentier mimt inzwischen Bassist Robert Trujillo - mit einer Irrheit, wie man sie sonst nur vom Schlagzeugmonster der Muppet-Show kennt. Dabei tun Hetfield und Kollegen alles, um den Ruf der Sattheit und Selbstzufriedenheit abzuschütteln, den die Band nach Mainstream-kompatiblen Charterfolgen, einem von eingefleischten Anhängern verabscheuten Symphonie-Projekt, internen Zwistigkeiten und langer Funkstille ereilte.

Das aktuelle Album ¸¸St. Anger" ist ein Statement. Mit bewusst primitiver Anmutung, heruntergestimmten Gitarren und blechernem Schlagzeugsound geht es zurück zu den Speedmetal-Wurzeln der frühen achtziger Jahre. Ins Olympiastadion übertrug Metallica das neue, alte Konzept fulminant.

Die Fans erlebten großzügige zweieinhalb Stunden lang ein mitreißendes, auch nostalgisches Fest des Edelstahl-Rocks. Von der Eröffnungsnummer ¸¸Blackened" bis ¸¸Seek and Destroy" zum Schluss: ein hervorragend abgemischtes, wenn auch lärmschutzbedingt viel zu leise dargebotenes Best-of-Programm aus mehr als zwanzig Jahren Bandgeschichte.

Sorgsam machte Metallica einen Bogen um das gedrosselte Songmaterial der Spätwerke ¸¸Load" und ¸¸Reload". Stattdessen: volle Kanne. Fliegende Bierbecher. Mitgrölen. Haare schütteln. Gitarrenriffs wie überhitzte Kreissägen. Ein Bass wie ein Betonmischer. Die Klangästhetik eines durchstartenden Düsenflugzeugs. Der Privatjet für alle.

© SZ vom 15.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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