Mahmut Yilmaz:Vom Münchner zum Asylbewerber

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Seit 27 Jahren lebt ein türkischer Kurde an der Isar, jetzt soll er gehen, weil er als Sicherheitsrisiko gilt.

Von Bernd Kastner

Mahmut Yilmaz soll zurück in seine Heimat. Das wäre weiter nicht außergewöhnlich, unzählige Ausländer werden Jahr für Jahr ausgewiesen. Doch Yilmaz' Heimat ist München. Hier lebt der Kurde aus der Türkei seit 27 Jahren, hier lebt seine Familie, hier sind seine vier Kinder aufgewachsen, zwei von ihnen sind hier auch geboren. Gehen soll er vor allem, weil ihm Sympathie zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen wird, und weil er 1996 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.

Mahmut Yilmaz darf das Stadtgebiet nicht mehr verlassen, darf nicht mehr arbeiten und wird mit Essenspaketen zwangsversorgt. (Foto: Foto: Alessandra Schnellnegger)

Die hat er zwar längst abgesessen, er kam mit guter Sozialprognose früher frei, doch die Behörden und Gerichte bleiben hart. Yilmaz' letzte Hoffnung ist nun eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe und ein Asylantrag. Der deutsche Staat betrachtet ihn als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland - er selbst aber fürchtet politische Verfolgung bei einer Rückkehr in die Türkei.

17 Jahre ist Mahmut Yilmaz alt, als er 1981 seinem Vater nach Deutschland folgt. Der ist 1969 als Gastarbeiter gekommen. Mahmut besucht zunächst eine Berufsschule, findet ein Jahr später Arbeit beim Wienerwald. 1989 kommen seine Frau und seine beiden Kinder nach, damals sind sie drei und vier Jahre alt. 1991 kommen Zwillinge zur Welt. Der Vater hat fast immer Arbeit, mal angestellt, mal als Selbständiger. Bis 1995 verläuft das Leben der Yilmaz in geordneten Bahnen. Einmal kommt er mit dem Gesetz in Konflikt, wird zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt, weil er versucht hatte, seinen Bruder und Schwager illegal über die deutsch-österreichische Grenze zu bringen.

"Sie werden aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen"

Dann das Jahr 1995. Der bayerische Innenminister verbietet den Kurdischen Elternverein, weil dieser der PKK nahe stehe und die innere Sicherheit gefährde. Die Vereinsräume in der Lindwurmstraße werden versiegelt. Yilmaz ist Kurde, er ist empört über das Vorgehen des Staates. Er und gut 30 weitere kurdische Aktivisten dringen in die Vereinsräume ein, besetzen sie, platzieren zahlreiche Molotowcocktails und drohen damit, das Haus anzuzünden, sich selbst zu verbrennen - und die Kinder. Sie haben sieben Buben und Mädchen dabei. Sie fordern eine Aufhebung des Vereinsverbots. Nach zehn Stunden geben sie auf, es ist niemand zu Schaden gekommen.

Drei Jahre Haft wegen Geiselnahme, Siegelbruchs, Sachbeschädigung, Herstellung verbotener Gegenstände nach dem Waffengesetz und Zuwiderhandlung gegen ein Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz - so lautet das Urteil gegen Yilmaz. Zwei Jahre davon sitzt er ab, der Rest wird zur Bewährung erlassen, er verhält sich tadellos im Gefängnis. 1998, knapp ein Jahr nach seiner Entlassung, erhält er Post vom Kreisverwaltungsreferat: "Sie werden aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen."

Gegen diesen Bescheid kämpfen Yilmaz und seine Anwältin Angelika Lex seither. Ja, sagt der Kurde, er sei Sympathisant der PKK, weil es die einzige Organisation sei, die sich für die Belange der Kurden einsetze. Aber er lehne Gewalt ab und habe auch nie für die PKK gearbeitet. Manchmal in den vergangenen zehn Jahren erreicht Yilmaz einen Sieg, wenn etwa der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entscheidet, dass eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen unzulässig sei und eine Gefährdung deutscher Interessen nicht vorliege.

Positive Sozialprognose

Am - vorläufigen - Ende aber steht 2007 das Urteil eben dieses Verwaltungsgerichtshofs. Yilmaz habe mit der Geiselnahme eine "Straftat aus dem Bereich der Schwerkriminalität" begangen, er sei als "Überzeugungstäter" einzustufen. Als Beleg führen die Richter diverse Vorkommnisse an, bei denen Yilmaz mit Polizei und Justiz zu tun hatte. 2003 wird Yilmaz verurteilt wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz: sechs Monate zur Bewährung. Er soll als PKK-Aktivist gewirkt haben, ein Jahr lang.

Das Gericht erkennt aber "eine durchaus positive Sozialprognose". 2005 wird er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu 40 Tagessätzen verurteilt. Dahinter steckt eine Verzweiflungstat seines Bruders: Der war in Selbstmordabsicht mit dem Auto unterwegs, wurde von Polizisten gestoppt und festgehalten. Yilmaz kam dazu und versuchte, gegen die polizeiliche Anweisung zu seinem Bruder vorzudringen.

Es werden aber auch Verfahren zu seinen Ungunsten ausgelegt, die zunächst ohne Folgen für ihn bleiben: 1999 besetzten PKK-Anhänger die SPD-Zentrale am Oberanger, Yilmaz wird in der Umgebung kontrolliert, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Das Verfahren wird eingestellt. 2000 findet man bei einer Durchsuchung Propagandamaterial der PKK bei ihm, es wird ermittelt - und eingestellt. Man hört ihn den Namen einer Nachfolge-Organisation der verbotenen PKK rufen. Eingestellt. Und 2003 soll er seine Frau bedroht haben - eingestellt. Schön und gut seien diese Einstellungen, sagt Lex. Aber damit sei ihm die Möglichkeit genommen, seine Unschuld zu beweisen. Und der unbewiesene Verdacht bleibe für immer an ihm kleben.

"Alt genug", um Trennung vom Vater "ohne größere Schäden" hinzunehmen

Dass Yilmaz' gewichtigste Verurteilung bereits zwölf Jahre zurückliege, "spielt keine entscheidungserhebliche Rolle", so die Richter. Denn der Mann neige dazu, seine politischen Ziele auch gegen die hiesigen Gesetze durchzusetzen. Außerdem habe er kurdischen Organisationen angehört, die als "terroristisch" eingestuft seien. Zumal er sich nie von den Belangen der Kurden distanziert habe. Außerdem sei der Vater "tief in der kurdischen Tradition verwurzelt" und zeige wenig Integrationsbereitschaft.

Die Auswirkungen einer Ausweisung auf die Familie schätzt das Gericht als nicht gravierend ein: Obwohl alle Kinder in München zur Schule gegangen sind, zwei sogar hier geboren sind, seien sie hier nicht so verwurzelt, "dass es unzumutbar wäre, das Bundesgebiet mit dem Vater zu verlassen". Denn alle Familienmitglieder besitzen die türkische Staatsangehörigkeit, seien Muslime und außerdem, so die Richter: Mit 16 Jahren seien die Zwillinge "alt genug", um eine Trennung vom Vater "ohne größere Schäden" hinzunehmen.

"Faktische Inländer"

Angelika Lex, Expertin in Sachen Ausländerrecht, schüttelt über solche Begründungen nur den Kopf. Warum solle sich ihr Mandant von seiner Volkszugehörigkeit distanzieren? Wer würde auf die Idee kommen, von einem Bayer zu verlangen, er müsse sich davon distanzieren, Bayer zu sein? Die Familie Yilmaz sei längst zu "faktischen Inländern" in Deutschland geworden, mit der Türkei verbinde sie fast nichts mehr. Zwei der Kinder haben ihr gesamtes Leben in Deutschland verbracht.

Und würde man die Zwillinge vom Vater trennen, hätte es erhebliche negative Auswirkungen auf sie. Sie befinden sich mitten in der Pubertät. Und obendrein müsse Yilmaz in seiner angeblichen Heimat Verfolgung durch die türkischen Behörden fürchten. Denn die Fortschritte der türkischen Justiz hin zur Wahrung der Menschenrechte gebe es meist nur auf dem Papier. Tatsächlich aber herrsche noch immer oft Willkür, gerade im Umgang mit Kurden.

Seit 2003, argumentiert Lex, lägen dem Verfassungsschutz keine Erkenntnisse mehr über Yilmaz vor. Außerdem: Warum ist Yilmaz der einzige der Aktivisten aus der Lindwurmstraße, den man nun, zwölf Jahre später, ausweisen wolle? Alle anderen 30 Besetzer dürften nach Kenntnis der Anwältin bleiben. Bei Yilmaz aber gebe es offenbar eine Anweisung des Innenministeriums, hart zu bleiben.

Nun also musste er Asylantrag stellen, um nicht abgeschoben zu werden, und mit den grotesken Folgen leben: Mahmut Yilmaz muss, nach 27 Jahren in München, nun in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, formal zumindest. Muss sich zwangsweise von Essenspaketen ernähren, darf das Stadtgebiet nicht verlassen, darf nicht mehr arbeiten, und seine Familie muss für seine Unterbringung zahlen.

© SZ vom 05.06.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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