"Leben im Alter" (Start):Die Metropole der Hundertjährigen

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München wird alt: Die Zahl der Bürger mit dreistelligem Geburtstag hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht.

Sven Loerzer

Immer mehr Münchner werden immer älter: 253 Einwohner haben den 100. Geburtstag hinter sich, bis 2020 wird sich die Zahl verdoppeln. Rund 73.000 Münchner, 15.000 mehr als heute, werden dann jenseits der 80 sein. Das Problem: Es gibt zwar eine breite Palette an Hilfen, doch sind viele Wohnungen nicht barrierefrei zugänglich.

Die Schwestern Dora Grenz (links) und Helene Stobbe leben zusammen in München. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Noch Ende 1997 waren 93 Münchner - 15 Männer und 78 Frauen - 100 Jahre und älter, inzwischen sind es nach Angaben des Statistischen Amtes der Stadt schon 253, also fast dreimal so viele. Schriftliche Glückwünsche der Stadt gibt es, anders als in kleineren Gemeinden, erst zum 90. Geburtstag und dann erst wieder fünf Jahre danach.

Vom 100. Geburtstag an kommen die Glückwünsche des Oberbürgermeisters jährlich, dazu gibt es, wenn gewünscht, eine persönliche Gratulation. Die übernimmt fast immer ein Stadtrat im Auftrag des OB, wie Christine Helwig von der städtischen Protokollabteilung erläutert, weil der OB sonst in seinem engen Terminplan praktisch an jedem Arbeitstag auch noch eine Gratulation einschieben müsste. Im September wird die älteste Frau in München 109 Jahre alt, der älteste Mann 105.

Wachsen wird die Anzahl der über 80-Jährigen auch weiterhin: Nach der letzten Bevölkerungsprognose geht die Stadt von einer Zunahme um 27 Prozent auf 73.000 Hochbetagte aus, während die Zahl der über 65-Jährigen vergleichsweise moderat um nur rund sechs Prozent auf gut 250000 steigen wird.

Der demografische Wandel macht sich in München im nächsten Jahrzehnt nicht so dramatisch wie in anderen Kommunen bemerkbar. Der Gerontologe David Stoll, der sich im Amt für Soziale Sicherung um Hilfen im Alter kümmert, führt das vor allem auf die anhaltende Zuwanderung Jüngerer zurück, die wegen Ausbildung und Arbeit nach München ziehen. So werde sich das Verhältnis zwischen Bevölkerung im Erwerbsfähigenalter und der Bevölkerung im Rentenalter wohl nicht so gravierend verschieben.

Sehr alt zu werden, übt zwar auf viele eine Faszination aus, alt sein aber will niemand so gern, weil dies oft mit Gebrechen verbunden ist. Während bis 75 Jahre die Selbstständigkeit kaum bedroht ist, häufen sich im Alter von mehr als 80 Jahren die Probleme. Krankheit und Gebrechlichkeit bedrohen die Selbstständigkeit, wenngleich Gesundheitsversorgung und Lebensbedingungen so gut seien, "dass man dem biologisch möglichen Optimum von 120 Jahren sehr nahe kommen kann".

Das Risiko, pflege- und hilfsbedürftig zu werden steigt für über 80-Jährige auf 40 Prozent, bei den über 90-Jährigen sind es 60 Prozent. Mit zunehmendem Alter häufen sich Demenzerkrankungen.

Knapp 25.000 Menschen in München beziehen Leistungen aus der Pflegeversicherung, 21.000 gelten zwar nicht als pflegebedürftig im Sinne der Versicherung, brauchen aber Hilfen im Alltag. "Unser größtes Problem ist, dass es zu wenig barrierefrei zugänglichen Wohnraum gibt", sagt Stoll. Immer noch entstünden Neubauten, wo zwei oder drei Treppenstufen ein unnötiges Hindernis bildeten. "Der Wohnungsmarkt reagiert nur sehr zögerlich auf die veränderten Anforderungen, die eine alternde Gesellschaft stellt."

Gerade jüngere Leute würden sich bei der Wohnungssuche nicht damit auseinandersetzen, dass man im Alter behindert werden kann. Stoll betont, die Stadt habe eine breite Palette an Angeboten, die Hochbetagten ein weitestmöglich selbstständiges Leben garantieren. Das Rückgrat der Altenhilfe bilden dabei die 31 Alten- und Servicezentren, die - bundesweit einmalig - beratende, vorsorgende und versorgende Angebote verbinden. Dazu gehört auch die Wohnberatung, die auch an die Fachstelle zur Unterstützung bei der Wohnungsanpassung weitervermittelt.

Gut 200 ambulante Pflegedienste betreuen 7000 Menschen zu Hause, während rund 11.000 Pflegebedürftige von Angehörigen versorgt werden, die dazu Pflegegeld von der Pflegeversicherung erhalten. Die Stadt fördert das Entstehen von Pflege-Wohngemeinschaften, hilft aber auch über die Investitionskostenförderung den älteren unter den 59 Pflegeheimen mit insgesamt rund 6000 Plätzen, sich zeitgemäß zu verändern und aus Pflegestationen Wohngruppen zu machen.

Weniger Heimplätze

Umso bedauerlicher findet es Stoll, dass sich der Freistaat aus der Investitionskostenförderung verabschiedet hat. Ohnehin hat München im Vergleich weit weniger Heimplätze als andere Städte: 29 Plätze pro 1000 Einwohner, während es in Nürnberg 56 oder in Würzburg 82 sind. Dafür liegt München weit vorne bei der ambulanten Versorgung.

Auch die Wohnungsbaugesellschaften gehen neue Wege, bauen barrierefrei um und richten Versorgungsstützpunkte ein, um ihren alternden Mietern den Verbleib in den Wohnanlagen zu sichern. "Die Einschränkungen kommen meist in kleinen Schritten", wichtig sei es, "sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, wie selbstständig man im Alter sein will", sagt Stoll. Er hat sich, nach einer schweren Beinverletzung, aber auch der Kinder wegen, eine Wohnung gesucht, die ohne Treppen zu erreichen ist.

© SZ vom 18.08.2008/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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