München: Sozialverbände in Sorge:Weniger Zivis, weniger Betreuung

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Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm: Sie befürchten, eine Wehrdienstreform könnte in München tiefe Einschnitte in der Versorgung Älterer, Kranker und Behinderter verursachen.

Katja Riedel

Bei einer Verkürzung oder gar Aussetzung des Wehr- und Zivildienstes müssen die Menschen im Großraum München wohl mit erheblichen Einschnitten in der sozialen Versorgung rechnen. Zwar übernehmen Zivildienstleistende keine Arbeiten von Fachkräften, sie kümmern sich aber um Zusatzleistungen, welche die Lebensqualität von Alten, Kranken, Behinderten und Kindern verbessern sollen.

Die helfende Hand: Sollte der Zivildienst ausgesetzt werden, könnte sich die Versorgung in sozialen Einrichtungen deutlich verschlechtern. (Foto: AP)

Vor allem die Betreuung zu Hause statt im Pflegeheim wäre künftig nicht mehr wie bisher zu leisten, sagten Vertreter der Wohlfahrtsverbände der Süddeutschen Zeitung.

Stark betroffen wären mobile Essensdienste oder Begleitungen für Behinderte, die mit Fachkräften nicht bezahlbar wären. Einschnitte drohen auch in der Pflege. Dort setzt zum Beispiel die Caritas derzeit 210 ihrer 330 Münchner Zivildienstleistenden ein. Zuletzt hat man den Zivi-Einsatz in diesem Bereich wegen der nur noch sechsmonatigen Dienstzeit deutlich reduziert. Die Einarbeitung sei kaum mehr zu leisten. Zudem sei es für die Menschen nicht zumutbar, sich ständig auf neues Personal einzustellen.

Einen freiwilligen einjährigen Zivildienst für Männer und Frauen fordert deshalb jetzt der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), Leonhard Stärk. In den kommenden Tagen werde er darüber mit seinen Kollegen anderer Sozialverbände beratschlagen und dann der bayerischen Staatsregierung einen Vorschlag unterbreiten, sagte Stärk der SZ. Der Freistaat solle als Geldgeber einspringen.

Wirtschaftswissenschaftler setzen ebenfalls auf Freiwilligendienste, allerdings ist dies für sie keine Notlösung, sondern eine Notwendigkeit. So verweist Günter Neubauer, Direktor des Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik, auf die Wohlstandsverluste durch den bestehenden Zwangsdienst. "Aus volkswirtschaftlicher Sicht macht es keinen Sinn, allgemeine Wehrpflicht und Zivildienst in der bisherigen Form beizubehalten", sagte Neubauer in der Welt am Sonntag.

80 Prozent der jungen Männer seien viel höher qualifiziert, als es ihre Tätigkeit im Zivildienst erfordere. Überhaupt sei die Notwendigkeit des Zivildienstes überschätzt, geben Ökonomen zu bedenken: In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der Zivis mehr als halbiert - ohne dass die deutsche Sozialversorgung zusammengebrochen sei.

Freiwillige Arbeit statt Zivildienst

An diesem Montag wird Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) sein Konzept für die Wehrpflicht vorstellen und für ein Aussetzen plädieren. Das bedeutet faktisch auch ein Ende des Zivildienstes, der zuletzt erst von zehn auf sechs Monate verkürzt worden war.

Von einem ersatzweisen Pflicht-Zivildienst hält Stärk ebenso wenig wie der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Thomas Beyer. Es brauche Freiwilligendienste, auch wenn diese ebenfalls problematisch seien, sagt Beyer. Beim freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) etwa würden sich nur wenige Gymnasiasten melden.

Jüngere Freiwillige sind aber weder im Rettungsdienst noch in der Kinderbetreuung einsetzbar. Zudem sei die Finanzierung dieser Freiwilligendienste dürftig. Nur jede zweite Stelle wird mit 72 Euro monatlich staatlich subventioniert.

Auswirkungen hätte die Reform auch auf den Katastrophenschutz. 35 Prozent der etwa 15.000 bayerischen Helfer sind vom Wehrdienst freigestellt. "Ein Wegfall der Wehrpflicht würde natürlich einen starken Rückgang der Neueintritte für uns bedeuten", sagte ein Sprecher.

© SZ vom 23.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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