Alternative Agrikultur:Bauer der Großstadt

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"Der glücklichste Ein-Euro-Jobber der Welt": Siggi Fuchs lebt mitten in München - und verkauft als Waldgärtner sein selbst angebautes Biogemüse sogar an Spitzenköche.

Elisa Holz

Siggi Fuchs ist ein eher unkonventioneller Landwirt. Er lebt mitten im Westend, hat keinen Hof, kein Vieh, dafür aber jede Menge Ideen. Sein Idealismus gepaart mit einem Hang zum Querdenken und einer guten Gelegenheit haben aus Fuchs einen Bauern gemacht, der inzwischen eine kleine Gemeinde auf der Schwanthalerhöhe mit Gemüse aus eigenem Anbau versorgt, das es in diesen Formen und Farben auf keinem Markt und gleich gar nicht im Supermarkt zu kaufen gibt. "Waldgärtner Wirtschaftsgemeinschaft" heißt das Projekt, in dem sich Fuchs und seine Mitstreiter zusammengeschlossen haben. Mittlerweile geht die Wirtschaftsgemeinschaft schon ins dritte Jahr. Sie wächst langsam, aber beständig.

Es geht ans Eingemachte: Waldgärtner Siggi Fuchs will in diesem Jahr seine Wirtschaftsgemeinschaft stark ausbauen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Waldgärtner folgen den Prinzipien der "community supported agriculture" (CSA). Das Konzept ist seit einigen Jahren weltweit auf dem Vormarsch, die Idee dahinter so einfach wie bestechend: Ein Landwirt versorgt die Menschen im näheren Umfeld mit Lebensmitteln, die Menschen wiederum halten dem Bauern durch ihre Abnahmegarantien den Rücken frei, damit dieser ohne ökonomische Zwänge im Gemeinsinn von Vielfalt und Nachhaltigkeit wirtschaften kann.

Die Produktion von Lebensmittel soll so dem System der Lebensmittelindustrie entzogen werden. CSA heißt weniger Geld und Profit, dafür mehr Solidarität und Verantwortung. Einmal in der Woche können die Teilnehmer von Mai bis Oktober das von Fuchs garantiert biologisch gezogene Gemüse in seinem Hinterhof im Westend abholen. Jeder kann sich so viel nehmen, wie er braucht. "Das System beruht auf Freiwilligkeit und gegenseitigem Vertrauen", sagt Fuchs.

Dass Fuchs die erste bayerische CSA gründen sollte, lag nicht auf der Hand. Der 44-Jährige ist Sozialpädagoge, er arbeitet mit psychisch Kranken. Obwohl er am Dorf aufgewachsen ist, hatte er mit Landwirtschaft lange nichts am Hut gehabt. Doch 2004 bescherte ein Schädling dem Städter einen Garten. Der Borkenkäfer hatte damals das Waldstück seiner Schwester bei Allershausen so gründlich verwüstet, dass diese das so gelichtete Wäldchen ihrem Bruder übergab unter der Bedingung, dass sie nur ja keine Arbeit damit haben möge.

Siggi Fuchs, der auf den Geschmack des Gartelns in seinem Hinterhof im Westend gekommen war, machte sich mit Freunden daran, einen "Waldgarten" anzulegen. Es war eine Heidenarbeit die 1000 Quadratmeter urbar zu machen, doch der Ertrag konnte sich sehen lassen. Der Garten und das angrenzende kleine Feld versorgten nicht nur ihn, sondern auch Freunde, Bekannte und sogar den Friseur im Nachbarhaus den ganzen Sommer über mit frischem Gemüse.

Der rührige Fuchs begann Kontakte zu knüpfen und stieß auf die Parallelwelt alternativer Agrikultur, in der nicht nur wertvolles Wissen weitergegeben, sondern auch Saatgut von beinahe ausgestorbenen Gemüsesorten getauscht wird. Siggi Fuchs will diese alten Sorten am Leben erhalten und kultiviert das vergessene Gemüse mit wachsender Begeisterung. Im Sommer ist er oft in aller Herrgottsfrühe im Garten, sät, erntet und probiert. Seine Leidenschaft gilt den Tomaten. "Normale Tomaten muss man nur salzen, weil die eigentlich keinen Geschmack mehr haben", sagt Fuchs, der es geradezu als Nötigung betrachtet, dass man im regulären Verkauf nur fünf Sorten angeboten bekommt. Er hingegen baut bis zu 125 verschiedene Sorten an: rote, grüne, schwarze, kleine und große. "Manchmal ist es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten", grinst er.

Den schlussendlichen Ausschlag für die Gründung seiner CSA gab eine Fernsehdokumentation über die erste CSA Deutschlands, den Buschberghof. Er mietete ein Gewächshaus bei Eschenried und begeisterte Freunde, die sich finanziell und auch sonst für die Waldgärtner engagierten. Das erste Jahr 2009 war eine Katastrophe, das Wetter schlecht, die Ernte mau. "Ein Wunder, dass überhaupt jemand dabei geblieben ist", sagt Fuchs grinsend.

"13 Euro hat der Käfer fürs Kilo verlangt"

Im Jahr darauf nahmen die Waldgärtner jedoch richtig Fahrt auf. 15 Leute holten sich jede Woche im Hinterhof von Fuchs ihre Gemüsesorten. Die Auswahl war üppig: Zu den verschiedenen Tomaten gab es 25 Sorten Chili und 15 verschiedene Arten Gurken, zudem Zucchini, Paprika, Bohnen, Karotten und Kartoffeln. Zeitweise hatte so viele Tomaten, dass er die roten, grünen und schwarzen Früchte schließlich in den Kofferraum lud und sie dem Küchenchef des "Le Meridien", dem Sterne-Restaurant "Tantris" und der Feinkostkette "Käfer" anbot, die allesamt sofort zugriffen. "13 Euro hat der Käfer fürs Kilo verlangt", berichtet Fuchs, für ihn ein Beweis für die Güte seiner Erzeugnisse.

In diesem Jahr plant der Waldgärtner einen großen Sprung. Zwar sei er "der glücklichste Ein-Euro-Jobber der Welt", möchte aber schon gerne vom Gemüseanbau in der Wirtschaftsgemeinschaft leben. Doch dafür braucht er mehr Fläche und mehr Leute. 45 Menschen will er in der kommenden Saison versorgen, von denen jeder insgesamt 300 Euro beitragen muss. Mehr als 30 haben sich schon angemeldet. Die Kunde vom Waldgärtner hat sich im Viertel schnell verbreitet. "Das ist jetzt richtig viel Verantwortung", sagt der Waldgärtner, dem aber nicht bange ist.

Denn Verantwortung übernimmt in der Gemeinschaft nicht nur der Produzent, sondern auch der Konsument, der das Gemüse zumindest abholen muss. Keiner ist darüber hinaus gezwungen, mitzuhelfen oder die Früchte einzukochen oder einzulegen. Aber: "Es sollten schon Idealisten sein", sagt Fuchs. Menschen, die auf die geschmacksarme Bevormundung durch die Lebensmittelindustrie einfach keine Lust mehr haben. Fuchs räumt dem Modell der Wirtschaftsgemeinschaft auch deshalb eine große Zukunft ein. Eine Zukunft, in der, so glaubt er, immer mehr Städter zu Bauern werden.

© SZ vom 12.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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