Kurzkritik:Verkündung

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Enoch zu Guttenberg mit der Matthäus-Passion

Von Klaus P. Richter, München

Ostern: das bedeutet für Viele die Matthäuspassion als edle Kulturpflicht. Ob sie zur Kür wird liegt aber an ihren musikalischen Gestaltern. Enoch zu Guttenberg experimentiert nicht wie Hansjörg Albrecht, sondern will verkünden. Wenigstens bei Bachs Passion, denn außerhalb davon ringt und zweifelt er, wie er bekennt. Weil auch in Bachs Leidensoratorium das Ringen nicht fehlt, machte sich sein Interpret viel davon zu eigen, denn das achtzehnte Jahrhundert ist auch das Jahrhundert der "Theodizee", dem Hader der aufgeklärten Vernunft mit der Rechtfertigung Gottes angesichts des Unheils der Welt.

Schon im Eingangschor lädt Guttenberg die poetische Rhetorik Bachs dialektisch zwischen Verzweiflung und Glauben mit höchster subjektiver Leidenschaft auf. Benjamin Bruns als dramatischer Evangelist personifiziert sie bis zum nazarenischen Morendo in "Meine Seele ist betrübt" und die Choräle modellieren sie unentwegt, alles andere als "objektiv", vom Staccato bis Pianissimo und Fortissimo. Wenn dann der markerschütternde "Barrabam"-Schrei aus den 100 Kehlen der Chorgemeinschaft Neubeuern heraus gellt, bebt der Gasteig-Saal: Schandruf Bachs als Anklage Guttenbergs. Dafür ergreift dann Sibylla Rubens tief mit dem Kern der Heilsbotschaft "Aus Liebe will mein Heiland sterben", Gerhild Romberger meditiert innig in der Altarie "Können Tränen meiner Wangen" und Falko Hönisch bewegt als Christus ebenso wie Günther Groissbök in seinen Bassarien. Das heiße Brio des verdoppelten "KlangVerwaltungs"-Orchesters wurde von drei verschiedenen Basso-Continuo-Gruppen mit Subtilität und exquisiten Solisten balanciert, ein Höhepunkt: "Komm süßes Kreuz" mit Gambe und Basslaute (Peter Wagner und Axel Wolf).

Der neu gegründete "Münchner Knabenchor" bezauberte solistisch in der ersten Strophe von "O Haupt voll Blut und Wunden". Beeindruckte in der großen Choralpartita als Schluss des ersten Teils das sinfonische Format, so kam das Finale der "Tränen" und des "Grabs" eher rhapsodisch daher. Danach Blumen, Bussi und Bravi wie in der Grand Opera, aber ein vom dramatischen Ringen sichtlich gezeichneter Dirigent.

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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