Kurzkritik:Punkte für Coolness

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Jan Lisiecki spielt Chopin im Prinzregententheater

Von MICHAEL STALLKNECHT, München

"Es kommen noch acht, ich kann nichts dafür", ruft Jan Lisiecki auf Englisch ins Publikum, als nach dem rasanten b-Moll-Prélude spontaner Zwischenapplaus aufbrandet. Für einen Zwanzigjährigen ist das ein erstaunlich souveräner Umgang mit Publikumsreaktionen. Doch Lisiecki ist schließlich schon seit Jahren im Geschäft und das Prinzregententheater ist ausverkauft, wenn er dort einen ganzen Abend der Klaviermusik Frédéric Chopins widmet - den 24 Préludes, den Nocturnes op. 9, den Walzern op. 18 und op. 64 und, als krönender Virtuosennummer, dem Andante spianato mit Grande Polonaise brillante op. 22.

Mit Chopin verbinden den kanadischen Jungpianisten schon länger nicht nur die polnischen Wurzeln, sondern auch sein Zugang zum Instrument Klavier: Ein leichter, oft fast filigraner Anschlag geht bei ihm einher mit einer offenen, aber nicht tastenlöwenhaft ausgestellten Virtuosität. Lisiecki spielt beeindruckend klar und maximal durchhörbar im Stimmengeflecht. Im Gedächtnis aber bleiben vor allem die melodischen Oberstimmen, die er mit viel Sinn für ein geschmackvolles Ritenuto aussingt. Das bei Chopin so elementare leichte Hinauszögern, dann wieder kokette Beschleunigen wirkt so natürlich, als entwickle es Lisiecki vollständig aus dem Moment. Für jedes Genre, sogar für jedes einzelne der 24 Préludes findet er so einen eigenen Tonfall, einen eigenen Charakter.

Auf wundersame Weise fehlt diesem jungen Pianisten alles Wunderkindhafte. Lisiecki präsentiert sich, im Gegenteil, ziemlich lässig, ja selbstironisch als entgleister Musterschüler, wenn er mit gepunkteter Fliege und gepunkteten Socken an den Flügel tritt. Genauso cool, seriös und unprätentiös spielt er auch. Das gilt auch und gerade für die Momente, da sein Spiel an Tiefe und emotionaler Reife noch zulegen darf, wo ihm die manisch-depressiven Züge bei Chopin zum Beispiel noch entgehen. Alles andere, scheint er zu ahnen, wäre aber in seinem Alter einfach nicht stimmig.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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