Kunst in München:Langweilige Kulturhauptstadt

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Das Haus der Kunst strahlt, aber nur außen. (Foto: dpa)

Noch nie zuvor war München mit so vielen Kunstinstitutionen gesegnet. Doch die Masse allein macht's freilich nicht. Einerseits herrscht akuter Sanierungsstau, andererseits wünscht man sich einfach mehr Schwung.

Von Christoph Wiedemann

Kunst kennt mittlerweile Maßeinheiten, wenn auch der sonderlichen Art. Folgt man den gängigen verbalen Etikettierungen, dann lässt sich Kunst in deutschen Städten messen in: Meilen, Arealen, Quartieren oder Ufern. München hatte dereinst in den Achtzigern mit der Maximilianstraße eine Galerienmeile. Steigende Mieten und die Anziehungskraft der neuen Museen in der Maxvorstadt haben diese einst massierte Ansammlung mittlerweile stark ausgedünnt.

Was den Wienern heute ihr Museumsquartier oder den Frankfurtern ihr mit Museen gesäumtes Mainufer ist, trägt in München seit einigen Jahren den Titel "Kunstareal" und erstreckt sich - zwar noch wenig erkennbar - vom Königsplatz im Süden bis hoch zur Kunstakademie am Siegestor. Ein jetzt schon einzigartiges Konglomerat von weltweit bedeutenden Sammlungen, angefangen beim städtischen, frisch renovierten Lenbachhaus über Glyptothek, Antikensammlung, Alte, Neue und allerneueste - derzeit leider geschlossene - Pinakothek bis hin zu vereinzelt Kunsthallen-großen Privatgalerien und dem Museum Brandhorst. Das Ende der Fahnenstange ist jedoch bei Weitem nicht erreicht. In einigen Wochen wird noch die Staatssammlung Ägyptischer Kunst mit neuen Räumen dazukommen. Das NS-Doku-Zentrum arbeitet zielstrebig auf seine baldige Eröffnung hin. Und dass sich im weiteren Verlauf auch immer mehr Galerien ansiedeln werden, steht wohl außer Frage.

So eindrucksvoll die Aufzählung bis hierhin auch erscheinen mag; dieser erstaunliche kulturelle Münchner Wachstumsschub hat durchaus auch seine Tücken. Zum einen ist es dem amtierenden bayerischen Kunstminister, trotz vollmundiger Versprechungen zu Beginn seiner Amtszeit, noch immer nicht gelungen, dieser weit verstreuten, in Teilen doch sehr divergenten Ansammlung hochkarätiger Museumseinrichtungen erkennbare Identität zu verleihen.

Von verbindenden Wegeführungen und einfachen Hinweistafeln war da irgendwann mal die Rede. Mehr noch: Wolfgang Heubisch hatte sogar einmal die Absicht geäußert, eine große unterirdische Depotanlage für die Pinakotheken einrichten zu wollen. Wenig davon hat sich realisieren lassen. Zu groß waren wohl die Widerstände, sodass sich der FDP-Minister lieber auf einen Nebenkriegsschauplatz kaprizierte, indem er dem Deutschen Museum absurderweise einen Konzertsaal zu implantieren versuchte.

Aber es geht im Grunde noch viel weiter. Denn München verfügt nicht nur über ein von staatlichen Museen dominiertes Kunstareal. Sondern mehr noch: München besitzt eigentlich einen richtigen "Kunsthammer". Der ruht im Süden in der Altstadt auf einem derzeit eher behäbig dümpelnden Stadtmuseum. Am geografisch nach Norden gerichteten Stiel liegt die mit Aufsehen erregenden Wechselausstellungen hoch erfolgreiche, privat geführte Hypo-Kunsthalle. Der Hammerkopf läge demgemäß von West nach Ost mit der breiten Schlagfläche über dem Kunstareal und mit der spitz zulaufenden Finne in Richtung Friedensengel entlang der Prinzregentenstraße. Die Endpunkte, im Westen das Lenbachhaus und im Osten das Museum Villa Stuck, befinden sich kurioserweise unter städtischer Ägide. Fast alles dazwischen sind staatliche Institutionen. Damit könnte man doch richtig Funken schlagen!

Warum passiert das nicht? Im Moment hat man den Eindruck die so reichhaltige Münchner Museumslandschaft schlägt allenfalls Fünkchen, auch wenn das wieder eröffnete Lenbachhaus und die dort stationierten Schätze des Blauen Reiter gerade von Schaulustigen überlaufen werden. Den Besucherweltrekord bei Eröffnung der Pinakothek der Moderne wird man aber wohl nicht gefährden können. Acht Monate nach der Eröffnung 2002 hatte man dort seinerzeit bereits die Millionengrenze erreicht. Bis heute strömten übrigens 5,2 Millionen Menschen in das Vierspartenhaus für zeitgenössische Kunst, Design, Architektur und Grafik.

Dass das Gebäude jetzt knapp ein Jahrzehnt nach der Einweihung wegen Baumängeln für Monate geschlossen werden musste, bedeutet natürlich nicht nur eine große Blamage, sondern auch eine herbe Einbuße. Zwar bemühen sich die Museumsverantwortlichen, allen voran die Kuratoren der Neuen Sammlung, mithilfe der provisorischen "Schaustelle" um ein möglichst abwechslungsreiches Notprogramm. Was auch gelingt, denn es macht derzeit richtig Spaß, die rasch wechselnden Präsentationen und Experimente zu verfolgen. Es fällt bei der Gelegenheit aber auch auf, wie sehr die Pinakothek der Moderne unter den Verkrustungen und dem Druck leidet, die ständigen Sammlungen möglichst breit präsentieren zu wollen. Da blieb zuletzt kaum mehr Raum für Wechselausstellungen.

Die braucht es aber, um ein Museum immer wieder aufs Neue interessant zu machen. Ein Dilemma! Andererseits gäbe es eigentlich Ausstellungsraum im Überfluss auf der anderen Seite der Ludwigstraße. Dort, im ebenfalls dringend sanierungsbedürftigen, aber doch etwas betagteren Haus der Kunst steht seit Langem der gesamte Westflügel leer. Mit temporären Vermietungen hat man zwar immer wieder Einnahmen erzielen können, die dem ziemlich schmalen Etat des Hauses gut taten. Da aber die Oberlichtverglasungen undicht sind und Regenwasser eindringt, hält sich die Zahl der Interessenten mittlerweile doch sehr in Grenzen.

Ein Paukenschlag in jüngster Zeit war die Absage der Kunst- und Antiquitätenmesse "Highlights". Man geht vom kommenden Herbst an lieber in die Münchner Residenz, in die Räume, die demnächst mit Auszug des Ägyptischen Museums frei werden. Der dahinter liegende, mit Zeltbauten zu überdachende Kaiserhof bietet fast unbegrenzte Wachstumsmöglichkeiten für diese Veranstaltung. Die dem Haus der Kunst entzogenen Mieteinnahmen fließen damit künftig der Schlösser- und Seenverwaltung zu. Bleibt also unterm Strich - könnte man sagen - doch wieder alles beim Freistaat und seiner Finanzverwaltung. Aber 4,2 Millionen Euro im Jahr, davon bis 2014 von der Familie Schörghuber 500 000 als Spende, sind nicht gerade üppig für ein Haus ohne eigene Sammlung und mit internationalem Geltungsanspruch.

Okwui Enwezor, seit Oktober 2011 Leiter des Hauses, hat also von seinem an die Tate Modern nach London berufenen Vorgänger Chris Dercon kein leichtes Erbe übernommen. Zumal sich die Erwartungen hinsichtlich der Besucherzahlen - schon immer ein neuralgisches Thema im Haus der Kunst - im Vergleich zu früher ein wenig verschoben haben. Chris Dercon pflegte auf konkrete Fragen die provokanten Auskunft zu geben: Er sage nichts zu den Besucherzahlen, denn das sei für München das Beste. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man freilich, zu Dercons Zeiten habe man sich im Kunstministerium mindestens 200.000 Besucher für das Haus der Kunst gewünscht, und jede Art von Nischenprogramm sei dafür erlaubt gewesen.

Für Enwezor sollen die "Nischen" weggefallen sein, heißt es. Bislang scheint auch alles so weit gut gegangen zu sein. Die derzeitige Ausstellung "Aufstieg und Fall der Apartheid" wird von Schulklassen förmlich überrannt. Trotzdem macht das halb leer stehende Kulturflaggschiff am Englischen Garten derzeit einen etwas tristen Eindruck. Nach etwas mehr als eineinhalb Jahren ist noch immer kein klares Profil erkennbar. Wie ein großer Tanker, der seiner Überholung entgegendümpelt, erscheint das Haus im Moment. Was ja durchaus auch seine Richtigkeit hat, denn 2015 soll -neuesten Informationen zufolge - endlich Renovierungsbeginn sein.

Ein Datum, von dem die mindestens ebenso marode untergebrachte Archäologische Staatssammlung in der Lerchenfeldstraße nur träumen kann. Dort hat man aus der Not eine Tugend gemacht und veranstaltet Ausstellungen wie die große Alexander-Schau außer Haus in Rosenheim. Mindestens genauso akut vom Sanierungsstau betroffen sind übrigens auch Neue Pinakothek und Völkerkundemuseum. Kein Wunder also, dass der Münchner Kulturhammer nur Fünkchen schlägt.

Einzig Renate Eickelmann, die Generaldirektorin des Bayerischen Nationalmuseums, hat es in den vergangenen Jahren verstanden, das monumentale weithin unterschätzte Schatzhaus an der Prinzregentenstraße aufzupolieren. Ihr ist es unter anderem gelungen, endlich die Renovierung des kriegsbeschädigten und lange ungenutzten Westflügels des Museums durchzusetzen Die Wiedereröffnung ist für Frühsommer 2014 geplant.

© SZ vom 18.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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