Kunst im Atomic Cafe:"Junkies, Nutten, Minderjährige"

Lesezeit: 2 min

Den Schaukasten rechts des DJ-Pultes im Atomic Cafes kennen alle Nachtschwärmer. Zeit für etwas Neues, sagten sich zwei Münchner Künstlerinnen.

Franziska Schwarz

"Geh den Haupteingang rein, dann links zu den Aufzügen, und in den vierten Stock!", lautet Anna McCarthys Wegbeschreibung. Betritt man das Gebäude in der Blumenstraße, steht man erstmal im kalten Zigarettenrauch des Clubs "Die Registratur".

Tagsüber wird das ehemalige Feuerwehrhaus im Münchner Glockenbachviertel anders genutzt: In den oberen Stockwerken befinden sich unzählige Ateliers.

Dorthin bewegt sich der Fahrstuhl knarzend. Zwei junge Frauen grüßen: Anna McCarthy und Katherine Suslov. Anna, 25 Jahre, studiert Kunst an der Münchner Kunstakademie, Katherine, 26 Jahre, ist Modedesigerin.

Die beiden Freundinnnen mieten das Atelier über den Sommer, denn ihr gemeinsames Projekt lautet: Dem "Atomic Cafe", Münchens berühmten Tanzlokal, einen neuen Schaukasten verpassen. Zur Zeit ist der Kasten mit Hawaii-Souveniers bestückt, vom Plasikroboter zum Plastikpalmwedel.

Doch das wird sich bald ändern, und Anna zeigt, wie. Sie fischt aus einer Tüte eine grüne Einweg-Spritze aus Plastik, und zieht aus dieser einen Flyer hervor. "Wir weihen ein: den neugestalteten Atomic Schaukasten des Grauens", verkündet der Zettel.

"Wir stellen in den Kasten zwei Schaufensterpuppen, die Grauenvolles miteinander anstellen. Eingekleidet sind sie in einer Art - ich sage mal - 'futuristic circus style'", erklärt Katherine. Anna erläutert: "Die Installation wird eine Mischung aus interaktivem Zirkus, Heroin-Missbrauch und Religion. Ja genau: Religion spielt auch eine wichtige Rolle für uns", erklärt sie schmunzelnd, während sie sich für eine Fotoaufnahme blaue Adern ins Gesicht schminkt. "Und Musik!", unterbricht Katherine.

Kann man so einen Schaukasten denn interaktiv gestalten? "Ja", sagt Anna und zwinkert, "Wenn man an Schaukästen auf der Kirmes denkt, dann bekommt man vielleicht eine Idee davon - aber ich darf natürlich nicht zu viel verraten..."

Piraten-Radio-Sendung in der Mongolei

Damit das Kunstprojekt auch als solches wahrgenommen wird, und nicht nur den fröhlichen Nachtschwärmern den Abend noch bunter macht, haben die beiden für den 11. September einen Eröffnungsabend organisiert. "Ein wichtiges Element des Schaukastens ist Musik. Wir sind ja so etwas wie 'Techno-Profis'. Wir haben schon in der Mongolei und Russland eine sehr erfolgreiche Piraten-Radio-Sendung gehabt - die wollen wir jetzt auch nach München bringen. Am Einweihungsabend veranstalten wir eine Show mit special guests. Mehrere DJs legen auf - und wir haben uns ein paar waghalsige Performances ausgedacht", kündigt Anna an.

Für die musikalische Untermalung werden die befreundete Münchner Band "Black Diamond" sowie "Chikinki" sorgen. "Und eben 'Radio Detlef' aus Mongolia. Radio Detlef machen eine Performance mit klassischen, primitiven Techno", sagt Katherine.

Anna hat sich ein Brautkleid angezogen und nimmt mit Akustik-Gitarre auf einem freien Stuhl Platz. Um sie herum sieht es ein bisschen aus wie auf einem Kuriositäten-Flohmarkt. In dem zwar geordneten, aber trotzdem gestopft vollen Zimmer stapeln sich Bücher, Platten, Mischpulte, Stofftiere, Stifte, ein Haufen Kleider, Stoffe, eine Schaufensterpuppe - mit Plastik-Ritterschild und Motorradhelm - und außderdem "Junkies, Nutten, Minderjährige", vervollständigt Katherine, und lacht dabei.

Schaufensterpuppe von Ebay

Die Schaufensterpuppe haben sie bei Ebay ersteigert - sie wird noch im Sinne des Mottos "Grauen" gestylt werden. "Das da drin soll natürlich keine Modenschau werden. Das dargestellte Szenario hat zwar Ähnlichkeit mit uns - es stellt einen Kampf zwischen Katherine und mir dar. Aber es geht nicht nur um uns."

Beide Frauen sind mit dem Atomic aufgewachsen, die Betreiber kennen sie schon seit einer halben Ewigkeit: Schon als es das Atomic noch nicht gab, waren die beiden immer da da - auf der Baustelle. Damals hieß es noch "Sound". "Wir haben jahrelange Erfahrung mit dem Atomic - leider. Wir waren mal die Haustiere von dem Laden, sozusagen", erinnert sich Anna.

"Der Schaukasten wird ein Schrein von unserer Zeit im Atomic. Wo wir unsere Jugend verbracht haben - und verdorben haben", und klebt eine Reihe der Flyer-Spritzen in den Aufzug. Katherine findet: "Es soll vor allem lustig sein - und man soll es nicht so ernst nehmen!"

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: