Kultur:Kopflos: Kammerspiele vermissen Ludwig II.

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Die Büste weg, so viel ist klar. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Stadt damit ihrer bestehenden Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen und soll Bildhauer Claus Nageler Schadenersatz zahlen. Dieses Urteil stellt weder Stadt noch Künstler zufrieden.

Ekkehard Müller-Jentsch

(SZ vom 18.6.2003) — Was ist Kunst? Und wer bestimmt, was Kunst wert ist? Feuilletonisten würden vielleicht sagen, es komme auf den ästhetischen und künstlerischen Rang des Exponats an; Kunsthändler bewerten wohl stärker die Resonanz des Werkes und des Künstlers auf dem Kunstmarkt; Beamte legen ihren Überlegungen eher den Materialwert und die Herstellungskosten zu Grunde.

Und Richter fragen einfach einen Sachverständigen, der dann mit einer Mixtur aus all diesen Faktoren nach einem Mittelweg sucht. Dieser wird vom Gericht noch etwas begradigt — und anschließend fühlt sich der eigentliche Prozess-Sieger als geschmähter Verlierer.

So erging es dem Starnberger Bildhauer Claus Nageler, dessen Bronze-Büste von König Ludwig II. aus den städtischen Kammerspielen verschwunden ist und der deshalb die Stadt auf Schadenersatz verklagt hat.

Nageler ist sicherlich kein Künstler, dessen Namen jeder Münchner kennt, aber etliche Werke von ihm dürften den meisten bekannt sein. Zum Beispiel der Waller vor dem Jagdmuseum in der Fußgängerzone, die beiden Rösser auf dem Rossmarkt und der Pumuckl-Brunnen im Luitpold-Park.

Aufgrund einer Absprache mit Georg Ringsgwandl — Regisseur, Autor und Hauptdarsteller des 1998/99 aufgeführten Musicals "Ludwig II - Die volle Wahrheit" — stellte der Bildhauer die 80 Kilo schwere und 90 mal 70 Zentimeter große Ludwig-Büste den Kammerspielen zur Verfügung.

Plötzlich war das gute Stück weg

Sie sollte die Besucher im Foyer auf das Stück einstimmen. Die Abholung des Königs-Kopfes vereinbarte er mit dem Technischen Direktor des Theaters. Nach der 55. Aufführung war das gute Stück plötzlich weg. Nageler reichte daraufhin die Schadenersatzklage ein.

Der 60-jährige Künstler wirft der Stadt vor, keine ausreichenden Vorsichtsmaßnahmen getroffen zu haben und verlangte umgerechnet rund 87.500 Euro. Die Stadt fühlte sich absolut nicht verantwortlich, weil es zwischen ihr und dem Kläger keinerlei vertragliche Verpflichtungen gebe.

Alle Absprachen seien zwischen Ringsgwandl und Nageler getroffen worden, sie habe die Büste nur "gefälligkeitshalber" im Foyer aufgestellt. Ohnehin sei der Kopf nicht mehr als 7600 Euro wert.

Die 9. Kammer des Landgerichts München I kam jedoch zu der Auffassung, dass durch die Gespräche ein Leihvertrag zustande gekommen sei — dieser begründe die Pflicht, sorgsam mit dem Exponat umzugehen. Da die Stadt gegen diese Pflicht verstoßen habe, müsse sie den Schaden ersetzen.

Ein Gutachter versuchte den Wert der Plastik zu ermitteln: Der Ursprung der Büste sei Jahre vorher im Haus der Kunst mit der Preisangabe 39.000 Mark ausgestellt gewesen, für den Waller vor dem Jagdmuseum seien 65.000 Mark bezahlt worden.

Stadt zur Zahlung verurteilt

Den Wert der Ludwig-Büste siedelte er deshalb zwischen 20.000 und 25.000 Euro an. Das Gericht setzte ihn dann auf 22.500 Euro fest und verurteilte die Stadt zur Zahlung.

Über diesen Betrag ist Nageler jedoch sehr erbost und will Berufung einlegen. "Ein Gutachter hat nicht zu bewerten, was Kunst ist", grollt er. "Kunst findet außerhalb der Welt statt." Für ihn bleibe nach Abzug aller Kosten nur eine "Null". Die Stadt dagegen könne die Büste, sollte sie wieder auftauchen, leicht zu einem erheblich höheren Preis verkaufen.

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