Krematorium für Tiere:Tigers letzter Gang

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Im Tierkrematorium werden Hunde und Katzen eingeäschert - die Besitzer können im Raum der Stille Abschied nehmen.

Martin Langeder

Dieser Abschied geht Wolfgang Duckstein nicht mehr aus dem Kopf: Ein älterer Mann steht mit seinem Sohn am offenen Sarg seines Hundes. "Dieses Tier hat mich geliebt", sagt der Vater, "und ich habe dieses Tier mehr geliebt als dich, mein Sohn."

Mitarbeiter Wolfgang Duckstein füllt die Asche in eine Urne in Katzenform. (Foto: Foto: Robert Haas)

Der Verantwortliche für den Verbrennungsofen im Tierkrematorium München wundert sich noch immer, wie der Vater so etwas in Gegenwart seines Sohnes sagen konnte. Trotzdem mischte sich Duckstein nicht ein. Der 53-Jährige mischt sich nie ein. Er versteht sich als Bediener der Verbrennungsanlage, nicht als Psychologe.

Seit zehn Jahren verbrennt Duckstein Katzen, Hunde und andere Haustiere. Der Mess- und Regeltechniker stammt aus dem Ruhrgebiet und installierte Fabrikanlagen in ganz Deutschland. 1997 baute er den Kremierungsofen in München mit auf - und war an der Technik so interessiert, dass er geblieben ist. Der Kontakt zu Menschen kommt erst an zweiter Stelle. Duckstein gehört auch nicht zu denen, die in ihrer Arbeit aufgehen. Er möchte Geld verdienen.

Eine Million Umsatz

Das Münchner Tierkrematorium war das erste seiner Art in Deutschland und gilt als modernstes in Europa. 2007 wurden in Deutschland rund 15000 Tiere eingeäschert, zwei Drittel davon in München. Duckstein beugt sich über einen A4-Zettel auf dem Schreibtisch.

Einäscherungsprotokoll steht ganz oben. In die Tabelle trägt er die Namen der Tiere ein, Gewicht, Uhrzeit und seine Unterschrift. Die Überreste von Jessy, Jenny, Flint, Rowdy und Hercules hat er seit sechs Uhr verbrannt, gut zwanzig Tiere werden bis zum späten Abend folgen.

Zehn Jahre nach der Eröffnung der Tiertrauer München GmbH arbeiten im Krematorium 13 Mitarbeiter, die gut eine Million Euro umsetzen. "Ich habe nie geglaubt, dass es sich so entwickelt", sagt Geschäftsführer Günter Damaske. "Tiere haben in Deutschland inzwischen den Stellenwert eines Kindersatzes." Früher leitete der 65-Jährige Bankfilialen, nun sucht er nach Geschäftsideen mit der Trauer ums Tier.

Die Idee mit dem Raum der Stille, in dem Angehörige sich von ihrem toten Haustier verabschieden können, hat er sich in einem Altenheim abgeguckt. Aus den USA brachte er die Idee mit, Pfotenabdrücke aus Gips zu verkaufen. Vor ein paar Tagen hatte Damaske einen Kunden, der sich die Asche seiner Katze zu Diamanten pressen lassen möchte. Kosten je nach Karat: 2000 Euro aufwärts.

Wolfgang Duckstein lässt seinen Blick über die drei Computerbildschirme in seinem Büro schweifen. Per Mausklick kann er dem bis zu 1000 Grad heißen Ofen mehr Luft oder mehr Gas zuführen. Für eine Katze berechnet Duckstein gut 20 Minuten, ein Hund dauert je nach Gewicht bis zu 90 Minuten. Auf dem Bildschirm daneben ist der Outlook-Kalender geöffnet, der den weiteren Ablauf der Einäscherungen zeigt.

Auf dem dritten Monitor sind die gefilterten Schadstoffe dargestellt, die bei der Verbrennung entstehen: Schwefel, Stickstoff, Kohlenmonoxid und Staub. Bei dem Ofen in dem Flachbau an der Riemer Straße im Osten von München gibt es strengere Auflagen als bei einem Menschenkrematorium. Tote Haustiere müssen unter besonderen Vorkehrungen verbrannt werden - quasi als Sondermüll.

Ducksteins Arbeit ist eine ruhige Arbeit. Er hört keine Hunde bellen wie seine Kollegen ein paar Räume weiter im Beratungsbüro, das direkt an das Tierheim grenzt.

Dort nehmen drei Mitarbeiter Anrufe entgegen, koordinieren Termine und spenden Trost. Anna Walter arbeitet seit einem Jahr hier. Die 19-Jährige besitzt selber eine Schildkröte und kümmert sich um acht Pflegepferde. Ihr Schäferhund ist gestorben, als sie fünf war. Sie kann verstehen, wenn andere um ihr Tier trauern.

Ihren Hund hat sie damals zur Tierkörperverwertung gegeben. Wenn Tierbesitzer am Telefon weinen, hört Anna Walter geduldig zu und versucht zu beruhigen. Sie spricht langsam und erklärt, welche Möglichkeiten es gibt. Die Sammeleinäscherung eines Vogels kostet 25 Euro, für die Einzeleinäscherung eines schweren Hundes werden 305 Euro berechnet.

Das Telefon klingelt. Ein Mann möchte seinen Hund so schnell wie möglich verbrennen lassen. Normalerweise müssen Tierbesitzer für die Einäscherung ein paar Tage Wartezeit einplanen. Wenn sie von weiter weg anreisen, lässt sich aber auch ein Termin einschieben.

Im Winter kommen wegen des gefrorenen Bodens auch viele Besitzer, die ihr Tier sonst im Garten eingegraben hätten. Die Kadaver lagert Duckstein in Pappkartons in drei riesigen Kühlkammern bei minus zehn Grad. Die Schachteln stapeln sich bis an die Decke. Unten die größeren braunen für die Hunde, oben die kleineren weißen für die Katzen. Damit es zu keinen Verwechslungen kommt, klebt auf jeder Schachtel eine fünfstellige Nummer und ein roter oder blauer Punkt. Rot bedeutet Einzeleinäscherung, blau Sammeleinäscherung.

Duckstein holt den Karton mit der Nummer 65139, in dem eine schwarz-braun getigerte Katze liegt. In einem Holzsarg, der auf einem Wagen montiert ist, rollt er sie in den Raum der Stille, wo schon Herrchen und Frauchen auf "Tiger" warten. In dem fensterlosen Raum flackert eine Kerze. Auf dem Regal gegenüber steht eine Bibel. Neben der Stereoanlage in der Ecke liegt ein Stapel CDs, die Titel tragen wie "Mitgefühl - Populäre Melodien für den Abschied".

Immer wieder streicheln die beiden das Tier. Ihre Angst, dass der Kater zwei Wochen nach seinem Tod riechen oder Verwesungsspuren zeigen könnte, war unbegründet. Die Kälte hat Tiger konserviert. Eine halbe Stunde später klopft Wolfgang Duckstein an die Tür.

"Wenn es Ihnen Recht ist, könnte ich jetzt mit der Einäscherung beginnen." Der Monitor, über den die Tierbesitzer den Beginn der Einäscherung live verfolgen können, bleibt schwarz. Der Arzt ist zu aufgewühlt, seine Frau möchte alleine nicht zusehen.

Drei Türen weiter steht der Verbrennungsofen. Duckstein streift Schutzhandschuhe über, die ihm fast bis zu den Ellbogen reichen. Per Knopfdruck lässt er einen Lift langsam von der Decke fahren und stellt die Schachtel mit Tiger auf die Metallfläche, die nun nach vorne fährt - gleichzeitig öffnet sich die Luke zum Ofen. Die Schachtel geht sofort in Flammen auf.

Katzen und Hunde sind das Alltagsgeschäft von Duckstein. Darunter Promis wie Daisy, das Schoßhündchen von Rudolph Moshammer. Für Abwechslung sorgten in den vergangenen Jahren eine Schlange, ein Waschbär und ein Känguru. Sogar Pferde hat Duckstein schon verbrannt, die mussten allerdings zerteilt angeliefert werden.

Aufpassen muss Duckstein, wenn er Wellensittiche einäschert. Er legt sie auf eine Blechplatte und befeuert die Anlage mit wenig Gas und wenig Luft, damit die Vögel nicht durch die Verbrennungskammer gewirbelt werden.

Als Anna Walter zu ihm kommt, um einen Termin abzustimmen, müssen beide laut sprechen, um die dröhnende Anlage zu übertönen. Duckstein zieht sich die Handschuhe aus und geht ans andere Ende der Anlage. Dort kühlen die Überreste der Tiere ab. Die weißen Knochenstücke mahlt er auf Wunsch zu feiner Asche. Vom fünf Kilo schweren "Tiger" ist nur ein Kaffeebecher Asche übrig geblieben.

Draußen warten die Tierbesitzer am Marmortisch vor dem großen Wandgemälde, wo sich ein Hund und eine Katze aneinander schmiegen. Auf dem Tisch liegen Prospekte und Taschentücher. Gleich ein neues Tier zu holen, käme ihnen wie Verrat vor, sagen sie. Das Tierfutter, das sie noch zu Hause hatten, haben sie nebenan im Tierheim abgegeben.

© SZ vom 13.02.2008/ngh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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