Klage gescheitert:Eine Frage der Intimsphäre

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Schwerbehinderter wollte vor Gericht durchsetzen, dass die Stadt ihm Hilfen zur sexuellen Erfüllung bezahlt.

Sven Loerzer

Die Schlagzeilen in den Boulevardzeitungen wären bestimmt riesengroß ausgefallen, wenn das Urteil der ersten Instanz Bestand gehabt hätte: "Sozialamt muss Sex-Massagen bezahlen". Doch der 12. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat jetzt, wie die SZ erfuhr, die Klage eines schwerstbehinderten Mannes abgewiesen, der vom Sozialamt die Übernahme der Kosten für "Ganzkörpermassagen mit sexueller Komponente" verlangt hat.

Streicheln und massieren bis zum Orgasmus - Beischlaf ausgeschlossen. Der Patient soll trotz seiner Behinderung Nähe und Sexualität erleben können. (Foto: Foto: dpa)

Neun Massagen zu je 90 Euro sollte das Sozialamt begleichen, von dem der Mann monatlich 1150 Euro Grundsicherung erhält. Als so genannte Eingliederungshilfe - diese Leistung soll die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft erleichtern - bekommt er monatlich pauschal 715 Euro und Pflegegeld in Höhe von rund 220 Euro. Außerdem trägt das Sozialamt weitere Kosten für Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung.

Sexuelles Verlangen ohne Befriedigung

Zur Begründung für die im Verlauf von drei Monaten erfolgten Massagen führte der spastisch gelähmte Kläger an, dass Ärzte bei ihm ein "gesteigertes sexuelles Verlangen" diagnostiziert hätten. Er sei aber nicht mehr in der Lage, sein sexuelles Bedürfnis aus eigener Kraft zu befriedigen.

Das Sozialamt lehnte jedoch die Bezahlung der "Ganzkörpermassagen mit Handentspannung" ab. Sie seien weder dem notwendigen Lebensbedarf zuzurechnen noch der Krankenhilfe oder etwa der Eingliederungshilfe. Denn das "Ausleben der individuellen Sexualität" finde eben "gerade nicht im Leben in der Gemeinschaft" statt und sei deshalb keine Leistung der Eingliederungshilfe.

Das Verwaltungsgericht, bei dem der Betroffene Klage erhob, kam dagegen zum Ergebnis, der Schwerstbehinderte habe sehr wohl Anspruch darauf, sich im Rahmen der Eingliederungshilfe die Massagen zusätzlich zu der gewährten Pauschale bezahlen zu lassen. Der Begriff "Eingliederung in die Gesellschaft" sei weit auszulegen und umfasse "alle Bereiche des menschlichen Lebens, aus denen ein behinderter Mensch aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt" werden könne.

Der Kläger bedürfe aufgrund seiner Behinderung der Eingliederungshilfe, "um ein Mindestmaß an sexueller Befriedigung zu erhalten". Dem Gericht erschien es dabei angemessen, mindestens einmal im Monat die sexuelle Befriedigung des Klägers sicherzustellen.

Keine Teilnahme an Gemeinschaft

Doch das Sozialamt legte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun im Sinne des Sozialamtes entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Kostenübernahme zusteht. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern sowie die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.

Ganzkörpermassagen aber ermöglichten dem Kläger nicht die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, urteilt der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs: "Die Massagen finden ausschließlich in einem von der Außenwelt abgesonderten, geschützten Intimbereich statt und vermitteln ihm keinerlei Kontakte nach außen." Zwar bewirkten die Massagen sicherlich "eine körperliche und seelische Entspannung" und steigerten das "persönliche Wohlbefinden", aber Kontakte zu anderen Menschen würden dadurch keineswegs erleichtert. Allerdings stehe es dem Kläger frei, Teile der Eingliederungspauschale für die Deckung seiner sexuellen Bedürfnisse zu verwenden. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen (Az: 12 BV 06.320).

© SZ vom 8.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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