Kirchhof:Paul, der Popstar

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Bis vor drei Wochen war Paul Kirchhof nur Insidern bekannt. Seit Angela Merkel ihn in ihr so genanntes Kompetenzteam holte, wird er landauf, landab gefeiert wie ein Erlöser von allem irdischen Bösen. Was ist dran an dem Mythos des Professors? Beobachtungen aus dem Münchner Hofbräuhaus.

Sven Böll

Sie klatschen rhythmisch und hören gar nicht mehr auf. Einige stehen auf und rufen "jawohl!" und "endlich!". Paul Kirchhof stellt das Weißbierglas ab und erhebt sich zum zweiten Mal von seinem Stuhl. Er versucht, die gut 200 Zuhörer - überwiegend Selbständige - zu besänftigen. Das Ganze ist ihm fast etwas unangenehm. Paul, der Popstar mit der randlosen Brille, hat jetzt diesen etwas verlegenen Gesichtsausdruck, wie er bei Angela Merkel in ähnlichen Situationen zu beobachten ist.

Kirchhof ist eben nicht der Polit-Profi mit dem Pokerface, der immer die gleichen Antworten gibt - unabhängig von der Frage. Kirchhof wirkt unverbraucht und redet - für einen Professor nicht selbstverständlich - klar und verständlich. Das kommt bei den Zuhörern an. "Er ist so anders als die da oben", bringt es eine Zuhörerin auf den Punkt. Wahrscheinlich ist es sein Geheimrezept, dass die meisten da unten den Eindruck haben, er sei einer von ihnen.

Kirchhof hält seinen fast einstündigen Vortrag komplett frei. Da er nicht permanent auf irgendwelche Notizen gucken muss, kann er die Zuhörer eindringlich fixieren. Sie fühlen sich ernst genommen. Umso mehr, da Kirchhof sie ja aus dem Unterholz des Steuerdschungels befreien will. "Es ist doch schöner, an einem Samstag etwas zu erfinden, als die Steuererklärung zu machen", sagt er, lacht dabei und faltet beschwörerisch die Hände zusammen. Und schlägt damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Schließlich mangele es den Deutschen an Innovationen. Patent- statt Finanzamt eben.

Die Krankenschwester und der Schichtarbeiter

Rhetorisch geschickt illustriert er jeden wichtigen Ausnahmetatbestand im deutschen Steuerrecht so, dass er absurd wirkt: "Es ist doch unfair, wenn der Arbeitgeber einen ungerechten Lohn zahlt, der erst durch eine Steuersubvention gerecht wird." Viel Kopfnicken. "Ja, genau so ist es", schallt es aus der hinteren Ecke.

Gerecht soll es in der Steuerwelt von Paul Kirchhof zugehen. Und wie bei Gerhard Schröder kann man den Eindruck gewinnen, in Deutschland gebe es nur Krankenschwestern und andere Schichtarbeiter. Denn beide Berufsgruppen seien Gewinner seiner Steuerreform, rechnet Kirchhof vor. Die Zahlen kann er in- und auswendig.

Eigentlich ist Kirchhofs Thema trocken, und ab und zu erscheinen die Gesichter der Zuhörer seltsam leer - insbesondere, wenn es um technische Details geht. "Tschuldigung, das muss sein", sagt Kirchhof. Er bräuchte sich gar nicht zu entschuldigen, denn alles erklärt er geduldig und anschaulich. Dann versteht jeder, warum Kirchhof zwar einen einheitlichen Steuersatz vorschlägt, es sich jedoch um einen Stufentarif handelt: Der Steuersatz ist zwar immer 25 Prozent, die Bemessungsgrundlage aber unterschiedlich.

Schöne neue Welt

"Warum macht ihr dann so schlechtes Marketing dafür?", will ein CSU-Parteisoldat wissen. Kirchhof sagt im Lichte des Wahlkampfs: "Ich habe in den vergangenen Tagen gelernt, dass man ehrliche Absichten im Steuerrecht nicht vertreten kann". Er habe seit seiner Berufung ins Wahlkampfteam von Angela Merkel viel lernen müssen.

Manchmal, wenn er von seiner schönen neuen Welt erzählt, benutzt Paul Kirchhof ein Vokabular, dass so gar nicht zu ihm zu passen scheint. Seltsam altbacken spricht der Visionär dann von der Nationalökonomie, warnt vor den "schlimmen Folgen für die deutsche Kultur", wenn immer weniger Menschen Deutsch sprechen. Auch vermisst er manchmal den "Drang zum Kind".

Leider ist für konkrete Rückfragen zu dieser schönen neuen Welt am Ende wenig Zeit. Der eine oder andere wüsste gerne noch ein paar Details. Etwa, wie es mathematisch möglich ist, dass fast alle Bürger nach seiner Steuerreform mehr in der Tasche haben, das Ganze aber aufkommensneutral für den Staat sein soll? Auch ein paar besorgte Finanzmakler machen sich "schon irgendwie ein bisschen" Gedanken um ihre Zukunft. Aber Paul Kirchhof muss weiter nach Berlin. "Der Flieger wartet nicht", sagt er. Noch nicht. Vielleicht fliegt er ja bald Luftwaffe.

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