Kino:Auf der anderen Seite

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"The Others", das neue Spukstück von Alejandro Amenábar.

Eine düstere, viktorianische Villa mit weitläufigen Zimmerfluchten, umgeben von einem dunklen Wald, eingehüllt in Nebelschwaden. Darin: eine junge, schöne Frau, alleinstehend, mit ihren beiden Kindern. Dazu: drei sinistre Hausangestellte, von denen eine schwer zu fassende Bedrohung ausgeht. Aus allen Richtungen dringen verstörende Geräusche - aus Zimmern, in denen niemand sein sollte, sein kann.

Auf den ersten Blick weist "The Others" alle Elemente des Haunted- House-Horrors auf, und doch ist der dritte Film des 29-jährigen Spaniers Alejandro Amenábar viel mehr als nur eine klassische Geisterhaus-Geschichte. Es ist 1945 auf den Kanal-Inseln, in New Jersey, der Krieg ist gerade vorbei, und Grace hofft auf die Rückkehr ihres Mannes von der Front. Ihrer Trauer, ihrer Verzweiflung und Angst setzt sie ein streng religiöses Regiment der Regeln und Rituale entgegen, das noch einmal gestrafft wird durch die extreme Allergie, unter der ihre beiden Kinder leiden - jeder Lichtstrahl würde sich unerbittlich in ihre weiße Alabasterhaut einbrennen, weshalb alle Fenster von schweren Stoffen verhängt sein müssen, jede Tür erst geöffnet werden darf, wenn alle anderen Zugänge zu einem Raum geschlossen sind.

Dass sie ihre Kinder im Dunkel hält, statt sie wie andere Mütter ins Licht zu holen, ist nur eines der vielen Zeichen für eine verkehrte Welt in diesem Film. Das hastige Rascheln der Röcke, das Klirren der Schlüssel am Bund, die Zeitabstände zwischen dem dumpfen Schließen der schweren Holztüren geben ihm seinen ganz eigenen, sehr musikalischen Rhythmus. Im Chiaroscuro dunkler Geheimnisse tauchen die hellen Gesichter der Kinder und der Mutter auf wie marmorweiße Skulpturen, Bilder und Töne entwickeln eine hypnotische Kraft. Jenseits der Geschichte, die er erzählt, oder besser, des Rätsels, das er aufgibt, ist der Film ein Rausch aus raschelnden Röcken, flatternden Vorhängen, wispernden Stimmen, klingenden Pianotasten, rezitierten Bibelstellen.

Den groben Hollywood-Effektgewittern setzt Amenábar eine elegante Brise feiner Sensationen entgegen, auf wundersame Weise sensibilisiert sein Film die Zuschauer, weckt Ahnungen und Irritationen mit jedem Farbton, mit jedem Klang. Ganz im Sinne des alten B-Film-Horror-Hexenmeisters Val Lewton demonstriert Amenábar, dass das, was nicht zu sehen ist, allemal erschreckender ist als das, was man sieht. Statt mit digitalen Zaubertricks spektakuläre Monster zu erschaffen, verlegt er das Grauen in die Köpfe seiner Helden, wo die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmt. Entsprechend getrübt ist auch die Sicht, in dunstigen Nebelbänken, im flackernden Licht von Kerzen und Öllämpchen oder in den Spiegelungen auf dem künstlichen Teich vor der Villa. Mit "Sixth Sense" von M. Night Shymalan ist vor ein paar Jahren zum ersten Mal dieses Zwischenreich zwischen Leben und Tod beschworen worden, inzwischen geistert dessen Aura von Wahnsinn durch viele amerikanische Filme, von "Memento" über "Mulholland Drive" bis zu "Vanilla Sky" mit Tom Cruise. Letzter ist das amerikanische Remake von Amenábars in Europa gedrehten "Abre los Ojos/Öffne Deine Augen". Die zweite Version wollte er nicht inszenieren, stattdessen überzeugte der gewiefte Spanier Tom Cruise, ihm einen neuen Film zu produzieren und zwar mit Nicole Kidman. Und Kidman, die gerade noch als schillernder Schmetterling durch den Cancan-Zirkus des "Moulin Rouge" flatterte, entfaltet nun einen düsteren Gegenentwurf.

Aus ihren hochgeschlossenen, bodenlangen Kleidern leuchten Gesicht und Hände weiß hervor. Ihre lichten Anfänge an der Seite von Tom Cruise hat sie weit hinter sich, sie ist offensichtlich heimisch geworden in Melancholie und Verzweiflung. In ihrer Mischung aus Anmut, Beherrschung und kühler Unnahbarkeit erinnert sie an Grace Kelly - deren Vornamen sie in dieser Rolle wohl nicht zufällig trägt . Deren klassische Ikonenhaftigkeit reichert sie mit einer mühsam gezügelten, unterschwellig flammenden Hysterie an, die es so in den fünfziger Jahren noch nicht gegeben hat.

Aller Spannung zum Trotz, geht von den "Anderen" in diesem Film keine aggressive, existentielle Bedrohung aus, wie sie sich quer durch die Geschichte in Hexenverbrennungen, Judenverfolgungen, Apartheid manfestierte - sie beunruhigen allein durch ihre unerklärliche Existenz. Das Jahr 1945 scheint tief im 19.Jahrhundert verwurzelt. Und wer die Anderen sind, das zeigt sich überhaupt erst dann, wenn einer sich klar machen konnte, auf welcher Seite er selbst eigentlich steht.

ANKE STERNEBORG

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