Kinderbetreuung:Oma erzählt keine Geschichten mehr

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Heftig diskutiert ganz Deutschland über eine angemessene Erziehung und Kinderbetreuung. In München gibt es eine Kindertagesstätte, die mit zwei psychologischen Beratungsstellen zusammenarbeitet. Wie es dem Trio gelingt, Probleme in der Familie aufzufangen.

Von Lisa Sonnabend

Eine alleinerziehende Mutter bat Judith Collier um Rat: Sie habe ihrer Tochter noch nie von deren Vater erzählt. Wie soll sie reagieren, wenn das Thema eines Tages zur Sprache kommt? Collier leitet die Kindertagesstätte in der Herrnstraße. Sie wusste nicht weiter. Doch sie konnte trotzdem helfen - die Kindertagesstätte arbeitet nämlich mit zwei Beratungsstellen zusammen.

Kinder beim Spielen. (Foto: Foto: dpa)

"Wir haben die Zielgruppe und sie das Angebot", resümiert Collier den Erfolg der Vernetzung von Kinderbetreuung und Familienberatung, die seit fünf Jahren besteht. In dieser intensiven Form ist dies in München einmalig.

Die Städtische Kindertageseinrichtung kümmert sich also nicht nur darum, dass die kleinen Balge untertags beschäftigt sind, sondern um die ganze Familie. Collier und die Pflegerinnen vermitteln bei Problemen an die beiden Beratungsstellen weiter.

Besonders in Übergangszeiten - bei einer Trennung der Eltern oder beim Schulanfang - benötigen die Kinder Unterstützung. Die beiden Beratungsstellen bieten dazu ein spezielles Programm für Buben oder Mädchen.

Einmal kreisten in der Kindertagesstätte Herrnstraße unter den Buben böse Schimpfwörter. Collier bat Jochen Strecker von der Beratungsstelle Lehel um Hilfe. In einem Kurs lehrte er ihnen, Grenzen anzuerkennen. "Seitdem sind nicht mehr so viele Beleidigungen gefallen", freut sich Collier über den Erfolg. Die Kindertagesstätte versucht zusätzlich mit Eltern- und Oma-Opa-Abenden, die ganze Familie einzubinden. "Hilfe für Kinder heißt oft Unterstützung der Eltern."

Schwierigkeiten in Familien seien keine Seltenheit. "Heutzutage hat jeder ein anderes Päckchen zu tragen", sagt Brigitte Schawohl von der Beratungsstelle "Haus der Familie". Armut, Arbeitslosigkeit, hohe Mieten seien meist die Ursachen. Aber auch sinkendes Selbstvertrauen oder Kommunikationsunfähigkeit. Wichtige Traditionen für den Familienzusammenhalt wie das gemeinsame Abendessen verlieren immer mehr an Bedeutung.

Das soziale Netz der Familien zerbreche, meint Schawohl. Verwandte und Bekannte kümmern sich nur noch selten um die Kleinen. Während die Großmutter früher den Enkeln Geschichten erzählte, geht sie jetzt lieber auf Reisen oder ist noch im Berufsleben eingespannt. Sie will sich nicht mit Oma-Tätigkeiten binden. Für die Kinderbetreuung müssen andere ran - oder das Kind muss sich eben alleine beschäftigen.

Gibt es ein Problem oder einen Konflikt in der Familie, sei es eine Kompetenz und kein Versagen, sich dies einzugestehen, sagt Strecker von der Beratungsstelle Lehel. "Die Hemmschwelle muss abgebaut werden", fordert Strecker. "Viele denken immer noch, wer einen Psychologen aufsucht, hat eine Knacks."

Am Samstag von 11 bis 14 Uhr ist Tag der Offenen Tür bei der Städtischen Kindertageseinrichtung (Herrnstraße 21) - natürlich gemeinsam von dem Dreigespann veranstaltet.

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