Katja Ebstein im Interview:Das große Herz

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Im vergangenen Jahr wurde sie 60 und feierte 35 Jahre Bühnenpräsenz. Sie lebt in Otterfing bei Holzkirchen und in Berlin. Ihr aktuelles Album "Witkiewicz" ist nach ihrem schlesischen Mädchennamen benannt und voller sozialkritischer Lieder. Auch beim Interview zeigt sie Haltung: Sie erscheint mit einer Mütze mit symbolischen Anstecknadeln.

Interview: Jochen Temsch

Bekannt wurde sie in den siebziger Jahren durch ihre Schlager-Grand-Prix-Erfolge "Wunder gibt es immer wieder", "Diese Welt" und später mit "Theater" - doch Katja Ebstein kann mehr. Am Samstag, 28. Januar, 20 Uhr, schließt sie im Prinzregententheater eine Jubiläums-Deutschlandtour ab.

(Foto: Foto: Jim Rakete/oh)

SZ: Sie tragen die rote Schleife der Aidshilfe...

Ebstein:...ist ja wohl klar.

SZ: Und was ist das daneben?

Ebstein: Eine Gedenknadel für Hildegard von Bingen. Weil ich sie liebe.

SZ: Was macht eigentlich Katja Ebstein?

Ebstein: Ach Gott, das ist eine lange Geschichte. 35 Jahre Arbeit auf der Bühne, zehn Jahre Popmusik satt, 25 Jahre Theater, dazu literarisches Entertainment. Mein erster Heine-Zyklus war 1974. Ich komme ja aus der Liedermacher-Ecke. Wir haben schon bei Studentens immer viel Protestlieder gesungen. Rudi Dutschke saß damals noch im Café am Steinplatz mit seinem Manifest unterm Arm. Durch die erfolgreiche Popmusik konnte ich mir die Kleinkunst leisten. Merkwürdig ist nur, dass man das in der Öffentlichkeit nie so festgestellt hat.

SZ: Sie haben 30 Platten produziert, weltweit in sieben Sprachen gesungen, ein Millionpublikum erreicht - und fühlen sich missverstanden? Ebstein: Nicht von den Menschen, die meine Konzerte besuchen. Es ist eine Medienkiste. Kann schon sein, dass viele, wenn sie meinen Namen hören, an den Schlager-Grand-Prix denken. Da ist ja auch nichts Falsches dran. Ich hatte eben nie irgendwelche Manager, die rummachen, damit ich in der Zeitung stehe. Wenn jemand über mich geschrieben hat, dann hat er das freiwillig getan. Ich habe mir auch nie windige Geschichten einreden lassen, so nach dem Motto: die erste Sängerin hinter der Chinesischen Mauer oder so ein Quatsch.

SZ: Dafür gingen Sie für Konzerte hinter die deutsche Mauer, in die DDR. Zuvor hatten Sie Willy Brandt im Wahlkampf 1972 unterstützt.

Ebstein: Wenn du in Berlin aufgewachsen bist, waren Brandts Ostverträge die Lösung für eine menschliche Möglichkeit. Er hat gesagt: Geht da rüber als Künstler und nehmt ihnen das Gefühl des Isoliertseins. Ich bin eben ein politisch geprägter Mensch. Auch durch meinen Vater. Wir haben zusammen vor dem Radio geheult, als der 17. Juni 1953 war. Und die Lehren aus der Nazizeit treiben mich noch heute um. Zuerst mal bin ich ein Mensch und beziehe Stellung.

SZ: Dafür nehmen Sie sogar eine Vorstrafe in Kauf, wie Anfang der achtziger Jahre für ihre Sitzblockaden gegen die Pershing-Stationierung? Ebstein: Als Bürger meine Meinung zu sagen, war für mich oft wesentlicher als der Beruf - sehr zum Ärger mancher Mitarbeiter. Meine Unterhaltung hat etwas mit Haltung zu tun. Da war "Sag mir, wo die Blumen sind" noch das Harmloseste.

SZ: Wie kamen Sie auf Heine?

Ebstein: Ich musste raus aus diesem ewigen Prozedere: Platte, Promotion, Tour. Wenn man hoch dotierte Verträge hat, muss man sich auch bemühen, den Plattenfirmen zu helfen, Umsatz zu machen. Das ist eine industrielle Angelegenheit. Aber das ist natürlich auch ein Druck, den ich unerträglich fand. Dann haben sie mir den Heine erlaubt.

SZ: Sie sind mehr Heine als "Theater"?

Ebstein: Natürlich! Immer gewesen. Es ist eine Alter-Ego-Beziehung. Weil er mir so ähnlich ist in seiner Interessiertheit für alle menschlichen Belange. Gerade in den Brüchen, der Trivialität neben der Witzigkeit neben dem Suchen nach Wahrheit.

SZ: Warum haben Sie sich nun mit dem Album "Witkiewicz" auf ihre schlesischen Wurzeln besonnen?

Ebstein: Ich hatte immer mal vor, ein Album "Witkiewicz" zu nennen. Ich fand den Namen immer schön. Ich hätte ihn nie ausgewechselt, wenn die Plattenfirma nicht gesagt hätte, das könne niemand aussprechen. Außerdem ist die Art, wie ich auf der Bühne arbeite, sehr stark von meinen ostischen Wurzeln gespeist. Man muss ja nur mal sehen, wie die Menschen dort feiern: Die haben nichts, machen aber die Tische voll. Da ist ein großes Herz. Deshalb bin ich auch so für das Großfamiliendasein.

SZ: Trotzdem haben Sie selbst keine Kinder, keine Großfamilie.

Ebstein: Es hat sich nicht ergeben. Ich habe die Tendenz, mit Freunden einen riesigen Kreis zu bilden, da sind immer Kinder dabei. Kinderlos ist man sowieso nie. Für mich sind auch Mann und Frau eine Familie. So kann man auch viel geben.

SZ: Indem man wie Sie Vereine gründet?

Ebstein: Ja, zum Beispiel die Aktion Umwelt, mit der sozial schwache Kinder aus Ballungszentren in die Natur gebracht werden. Es geht gegen Armut, um mehr Gesundheit, Bildung und die Förderung von Kontakten zwischen Polen, Russen und Deutschen.

SZ: Auch auf Ihrer Platte demonstrieren Sie soziales Engagement...

Ebstein: ...das ist kein großer Seller, wenn Sie das meinen...

SZ: ...nein. Sondern: Sowas klingt heutzutage schon fast seltsam.

Ebstein: Ich glaube, dass das in Zukunft wieder ein Thema sein wird. Junge Leute wollen sich wieder stärker engagieren, nicht mehr nur die eigene Situation bespiegeln. Ich merke, wie sich das Publikum danach sehnt, ernst genommen zu werden. Ihre Themen bleiben unbewältigt. Eine Version vom alten "Wunder" habe ich nur der Plattenfirma zuliebe auf das Album getan.

SZ: Was denken Sie, wenn 60000 Fußballfans dieses Lied im Stadion singen?

Ebstein: Das finde ich lustig. Und, naja, die Gema-Gebühren bekommt der Autor.

SZ: Ihr Ex-Ehemann Christian Bruhn. Wie sehr stecken Sie selbst im Entstehen Ihrer Lieder?

Ebstein: Die Komponisten bieten an. Ich wirke mit bei der Entwicklung. Ich hasse textliche Routiniertheit.

SZ: Wäre es heute schwieriger als damals, die Protestsängerin Katja Ebstein zu werden?

Ebstein: Heute wäre es noch leichter. So unverblümt, wie Macht ausgeübt wird - das hat es früher ja gar nicht gegeben. Heute begreift wenigstens der mit seinen eigenen Sachen zugemüllteste Typ, dass da was nicht in Ordnung ist. Aber damit zu leben ist schwerer. Wenn man nichts weiß, kann man sein Leben unbelastet gestalten. Aber wenn man weiß und dann auch noch neugierig ist, so wie ich...Alles bricht zusammen.

SZ: Das klingt bitter.

Ebstein: Nee, nee. Ich hole mir daraus Nektar, weil ich glaube, dass die Menschen irgendwie auf dem Weg auf eine andere Ebene sind. Wir sind ein Versuch. Dieses winzige Leben, das wir haben, reicht nicht aus, um im wahren Sinne vorwärts zu kommen und etwas zu begreifen. Aber ich bin total davon überzeugt, dass alles, wovon der Mensch denkt, es sei unmöglich, möglich ist. Wenn ich das nicht hätte, wäre ich sicher schon ein paar mal depressiv geworden.

SZ: Zieht Sie das Älterwerden runter?

Ebstein: So lange man nicht krank ist, hat man ja nicht so ein Problem. Ich bin Gott sei Dank mit einer unglaublichen Konstitution gesegnet, was die Stimmbänder angeht. Bei mir ist das Debakel meine Ökonomie. Ich habe erstens immer zu wenig Zeit und zweitens zu viel Energie für ein Gefäß wie diesen Körper, so dass er mir manchmal zeigt: Jetzt mach mal einen Punkt.

SZ: Auf Ihren neuen Pressefotos sehen sie aus wie 20. Ist Ihnen wichtig, jugendlich zu wirken?

Ebstein: Wenn das so rüberkommt, ist es ja nicht schlecht. Auf alle Fälle besser, als wenn man gebrechlich wirkt. Das bin ich ja keineswegs.

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