Katholizismus in Bayern:Die Heimat des Papstes

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Der Katholizismus hat Bayern geprägt, doch auch hier zeigt das Fundament der Kirche Risse.

Von Hans Kratzer

Im 15. und 16. Jahrhundert dürfte die Frömmigkeit in Bayern eine später nie mehr erreichte Intensität erreicht haben. Sogar Johannes Turmair, genannt Aventinus, konnte nicht umhin, seine berühmte "Baierische Chronik" mit Bemerkungen über den religiösen Eifer des Volkes zu eröffnen:

Die Bürger von Ratzingers Heimatstadt Marktl feiern Gottesdienst. (Foto: Foto: ddp)

"Das baierisch volk (gemainlich davon zu reden) ist geistlich, schlecht und gerecht, gêt, läuft gern kirchferten, hat auch vil kirchfart; legt sich mêr auf den ackerpau und viech dan auf die krieg."

Noch heute ist Bayern mit Wallfahrtsorten und Gnadenstätten reich gesegnet, aber als Gradmesser für die im Freistaat obwaltende Frömmigkeit sind sie nicht mehr gut geeignet.

"Bavaria Sancta"

"Bayern war schon mal katholischer", sagt der Schriftsteller Wolfgang Johannes Bekh, der seine Wertschätzung für die Frömmigkeit im alten Bayern in vielen Aufsätzen und Büchern zum Ausdruck gebracht hat.

Richtig katholisch sei Bayern vor allem zu Aventinus' Zeiten gewesen, sagt Bekh. Schon im Barockzeitalter habe eine Verweltlichung eingesetzt, die in der Säkularisation auf den Gipfel getrieben worden sei.

Mag auch das 19.Jahrhundert noch einmal eine katholische Renaissance gebracht haben, so leidet die "Bavaria Sancta" doch spätestens seit dem 2. Weltkrieg an sichtbarer Auszehrung.

Mit dem Untergang des Agrarstaates Bayern gerieten auch Religion, Geschichte und Kultur immer mehr unter die Räder der wirtschaftlichen Nützlichkeit. "Superbayern zehrt an der Substanz von Urbayern", fasste der Journalist Jan Ross diese Entwicklung kurz und bündig zusammen.

Vor allem den neuen Papst Joseph Ratzinger muss dieser gesellschaftliche Wandel tief in der Seele stechen, auch wenn er, der feinsinnige Gelehrte, noch nie so recht in das Bild der barocken bayerischen Gläubigkeit gepasst hat. Doch spätestens nachdem er 1977 vom Professoren-Sessel auf den Stuhl des Münchner Erzbischofs wechselte und Kontakt zum Volk fand, fühlte er sich wohl in dem Gemisch aus bildhafter Volksfrömmigkeit und weiß-blauer Landschaft.

"Unser Bayern ist deshalb so schön, weil der Glaube seine besten Kräfte geweckt hat", sagt Ratzinger. Deshalb ist er überzeugt davon, dass Bayern ohne den Katholizismus seine Seele verlieren würde, und nicht einmal die großartigste Denkmalpflege könnte darüber hinweg täuschen.

Ohne Brauchtum langweilig

In der Tat wäre das Oberland ohne seine Klöster kahl und blutleer, und die idyllische Voralpenlandschaft gäbe es dort ohne deren Fleiß mit Sicherheit auch nicht. Und natürlich wäre auch der bayerische Jahreslauf ohne seinem bunten Brauchtum wesentlich langweiliger. Nicht umsonst ist die früheste Beschreibung des Schuhplattelns in einem uralten Text aus der Abtei Tegernsee festgehalten.

Bayern gehörte zu jenen Regionen in Europa, in die das Christentum früh vorgedrungen ist. Römische Legionäre und Kaufleute trugen die neue Religion ins Land, die heilige Afra in Augsburg ist noch eine Glaubenszeugin aus dieser Zeit.

Zweifellos ist also die bayerische Frömmigkeit fundamental von der Antike und von der römischen Religiosität her geprägt, nehmen wir nur den Brauch der Votive und Weihegaben. Letztlich entwickelte sich im römisch-katholischen Bayern sogar eine eigene Spielart des Monotheismus. Neben Maria und Jesus dominieren hier die Heiligen, die Bauerngötter, die den Platz der antiken Naturgötter eingenommen haben.

Die Bauern waren bis ins 20. Jahrhundert herein die Träger der volksfrommen, oft eigenwilligen Bräuche. Reinhold Raffalt fasste dieses Phänomen in der wuchtigen These zusammen, dass der Amalgamisierungsprozess Tausender von Kulturimpulsen, der in der Antike von Rom ausging, sich den Provinzen mitteilte und im Mittelalter durch die Kirche fortgesetzt wurde - aber vom Barock bis in unsere Tage gebe es in Mitteleuropa kaum eine ehemalige römische Provinz, die so beharrlich wie Bayern daran festhielt, Fremdes aufzunehmen, zu verwandeln und dabei immer aufs Neue zum eigenen Wesen zu gelangen.

Stark rückläufig

Auf dieser Grundlage bleibt festzuhalten, dass Joseph Ratzinger auch in Rom stets ein Bayer geblieben ist. Für ihn sind Rom und Bayern eindeutig miteinander verflochten. "Es gibt eine innere Verwobenheit der Geschichte", sagt Ratzinger, der aus Oberbayern herstammt, wo, wie auch in Rom, der Gott der katholischen Kirche den Menschen stets näher stand als irgendeine vergängliche weltliche Macht.

Man erfüllte dort vor allem jene Pflichten, die einem der Glaube auferlegte. Oft waren dem Landvolk nur die religiöse Einrichtungen geläufig und wichtig.

Oder wie es Oskar Maria Graf einmal ausdrückte: "Den Namen des Bischofs und des jeweiligen Papstes wussten sie, den des Landesherrn nur in seltensten Fällen."

Mit der Industrialisierung endeten aber auch in Bayern jene Zeiten, in denen ein kreuzkatholischer Kultusminister Alois Hundhammer das Ballett Abraxas von Werner Egk im Münchner Prinzregententheater absagen konnte. Wobei er das Aufführungsverbot damit verteidigte, dass die religiösen Gefühle der Bevölkerung vor Beleidigung geschützt werden müssten.

Er meinte wohl vor allem jene Szene, in der sich Satan in einer Art gotteslästerlichen Zeremonie mit der widerstrebenden Archiposa vereinigt. Von den mehr als zwölf Millionen Menschen, die heute in Bayern leben, bekannten sich im Jahr 2003 immerhin noch 7,3 Millionen zum katholischen Glauben.

"Mehr Beerdigungen als Taufen"

Die Zahl der Katholiken sinkt jedoch stetig. "Wir haben mehr Beerdigungen als Taufen", sagt Adelheid Utters-Adam von der Pressestelle des Ordinariats München. Die Gründe sind vielfältig: Fluktuation, Kirchenaustritte, sinkende Kinderzahl. Die Folgen dieses Rückgangs und des grassierenden Priestermangels haben zu gewaltigen Umstrukturierungen in den 4200 bayerischen Pfarreien geführt.

Im Erzbistum München-Freising musste in den vergangenen 25 Jahren die Hälfe der Pfarreien in 132 Pfarrverbände zusammengefasst werden. Die Zahl der Kirchgänger schrumpft stetig, die Orden dünnen aus, leider auch die tätigen Orden in Schulen und Krankenpflege.

Und dennoch muss man auch festhalten: Die in kirchlicher Trägerschaft stehenden Schulen gelten als äußerst attraktiv. Selbst viele Eltern, die aus der Kirche ausgetreten sind, schicken ihre Kinder in kirchliche Institute wie die Realschule Heilig Blut in Erding, die mit 1200 Schülern zu den größten Realschulen in Bayern zählt.

Dies rührt nicht nur daher, dass kirchliche Schulen im Pisa-Vergleich sehr gut abschneiden. Die Eltern sehen die Werteerziehung, jene Dinge, die man im Lehrplan nicht überprüfen kann.

"Wir können gar nicht mehr alle aufnehmen", sagt Frau Utters-Adam. Ob dies und der momentane Trubel im Vatikan allerdings auf eine neue Kirchlichkeit in Bayern hindeuten, das bezweifelt selbst der neue Papst Benedikt XVI.

© SZ vom 20.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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