Katastrophenhilfe:Hoffnung in der Stadt der Trümmer

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Wie das Münchner Hilfsprojekt versucht, die Menschen in Batticaloa im Osten Sri Lankas beim Wiederaufbau zu unterstützen.

Von Monika Maier-Albang

Die Helfer aus München bekommen zwei Millionen Rupien Preisnachlass. Hätte früher jemand einen solchen Rabatt von dem Autohändler Reeza Rauf erbeten, wäre er wohl abgeblitzt. Aber jetzt lebt Sri Lanka in der Nach-Tsunami-Ära, und Reeza Rauf, ein kräftiger Mann mit arabischen Vorfahren, steht auf einem Verladeplatz am Rande der lärmenden Millionenstadt Colombo und präsentiert seinen Baggerlader zum Sonderpreis.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

In strahlendem Gelb steht der JCB 3CX da, zwei Schaufeln, 92 PS. Kanäle kann man mit dem Gerät ausheben oder Leitungen verlegen. Der Bagger bewege sich auf schlammigen Untergrund so gut wie auf sandigem, preist ihn der Händler an und erklärt, dass in Sri Lanka momentan kein Fahrzeug so gefragt ist wie dieses - weil es kräftig genug ist, sich am Rande des Meeres durch die Trümmer zu arbeiten. Obwohl er seine Bagger auch für mehr Geld verkaufen könnte, gibt er Tsunami-Nachlass. Von 22 importierten Radladern geht einer in den Osten Sri Lankas, nach Batticaloa. Gekauft für 4,8 Millionen Rupien, umgerechnet rund 38.400 Euro. Bezahlt mit Spenden aus München.

Als wir in Batticaloa ankommen, leben die Menschen hier seit zwei Monaten mit den Folgen des Tsunamis. Wir sind hingefahren, um zu sehen, wie die Spendengelder aus München verwendet werden, und ob der Wiederaufbau voranschreitet. Als vorläufiges Fazit muss man sagen: Hier im Osten Sri Lankas schreitet er nicht, er schleppt sich dahin.

Was nicht bedeutet, dass nichts voranginge, aber die Helfer stoßen immer wieder auf riesige Probleme: Hilfsorganisationen wollen zerstörte Häuser renovieren, aber die Regierung in Colombo möchte nicht, dass die Küste wieder bebaut wird. Es gibt eine Verwaltung, die umso korrupter sein soll, je höher man hinaufblickt. Der Verwaltungschef von Batticaloa und seine Mitarbeiter sind bemüht, aber auch überfordert mit einer Katastrophe wie dieser. Was nachvollziehbar ist. Zwanzig Jahre war die Region wegen des Bürgerkriegs von der Welt abgeschnitten, und plötzlich steht die Welt vor der Tür und sagt: Nun macht mal!

Ein Jeep für die Stadtverwaltung

Der Assistent des Commissioners, Vivekananda Pretheepan, genannt Babu, nimmt uns im Auto mit auf die Landzunge, die Batticaloa vorgelagert ist. Um den Gästen die Orte zeigen zu können, die Kallady, Navalady oder Dutch Bar hießen, als hier noch Menschen lebten, hat der Assistent des Bürgermeisters einen Jeep ausgeliehen. Einen eigenen Geländewagen besitzt die Verwaltung nicht, und ohne Vierradantrieb sind die Gebiete nicht zu erreichen. UN-Habitat, Kooperationspartner des Münchner Hilfsprojektes für Batticaloa, hat deshalb zusammen mit dem Bagger auch einen Jeep für die Stadtverwaltung geordert.

Zunächst fahren wir an frisch reparierten Zäunen vorbei - hier stand das Wasser nur in den Gärten. Dann kommt ein Gebiet, in dem die Häuser kein Dach oder Löcher in der Wand haben. Später stehen nur noch Ruinen, und oft leben inmitten der Trümmer Menschen in Zelten. Wir steigen über verbeultes Blechgeschirr, auf dem Boden liegen einzelne Sandalen. Im Sand stecken Holzlatten, um die hufeisenförmig Stoffbahnen gespannt sind: Wo früher ihr hinduistischer Hausaltar stand, haben die Hinterbliebenen im Windschutz der Stoffe süßen Reis und Früchte geopfert. Je näher man dem Ende der Landzunge kommt, umso seltener werden diese Orte der Trauer. Hier hat niemand überlebt.

Um wenigstens eine Schneise durch die Trümmer zu bahnen, hatte die Stadtverwaltung Anfang Januar einen Bagger aus der Hauptstadt Colombo angeheuert. 11 500 Rupien, rund 91 Euro, verlangte die Firma für einen Acht-Stunden-Tag, plus Geld für Diesel. Nach zwei Wochen schickte Commissioner Saravanamuthu Navaneethan das Räumfahrzeug zurück, weil er es nicht mehr bezahlen konnte.

Stattdessen arbeiten sich jetzt 400 Helfer, vor allem junge Frauen, durch die Trümmer vor. Sie laden Ziegel auf ein Tuch, tragen die Steine damit an den Rand der Sandpiste. Von dort aus wird der Schutt mit Traktoren abtransportiert.

Massengräber am Rande der Stadt

Das Ganze wirkt nicht sonderlich effektiv, aber: "Wir haben aufgegeben darauf zu warten, dass Hilfe von außen kommt", sagt Siva Somasundaram, ein Mann, der vor der Katastrophe ein Restaurant besaß. Vom srilankischen Roten Kreuz bekommen die Freiwilligen für die Knochenarbeit in der Hitze einen Euro am Tag, plus ein kostenloses Mittagessen. Langsam kommen die Helfer voran, und so sieht es an manchen Stellen noch so aus, als hätte sich das Meer gerade erst über dem Land erbrochen. Nur die Leichen haben sie aufgesammelt und - sofern die Körper noch transportfähig waren - in Massengräbern am Rande der Stadt beigesetzt.

1472 Menschen sind allein im Stadtgebiet von Batticaloa gestorben, 630 werden vermisst. 6497 Menschen, die sich retten konnten, sind auf acht Flüchtlingslager verteilt. Einige konnte die Stadtverwaltung in Zelten unterbringen, die der britische Rotary-Club zur Verfügung gestellt hat und die vergleichsweise komfortabel sind: Es gibt zwei Kammern, Moskitonetze vor den Eingängen und einen Hauch Privatsphäre.

Die meisten Menschen aber leben in wackligen Gebäuden - etwa in einem ehemaligen Reisspeicher, auf dessen Blechverkleidung die Sonne sticht. Oder im College der Methodisten, wo es so eng ist, dass die Menschen im Schichtbetrieb ihre Schlafmatten ausrollen.

Vor jedem Lager hat die Armee Posten bezogen. Flüchtlinge erzählen, dass die Soldaten, die eigentlich zu ihrem Schutz hier stehen sollten, immer wieder Frauen vergewaltigen.

Im Methodist Central College treffen wir Jayaraja Sadisivam und seine Frau Jeyawathani. Herr Sadisivam ist Fischer, hatte ein Haus auf der Landzunge. Als die Welle kam, war sein zehnjähriger Sohn Jajaruben auf dem Spielplatz - Jayaraja Sadisivam hat ihn später unter einer Palme begraben. Drei seiner eigenen Schwestern hat er nicht mehr gefunden. Geblieben von einer einstmals großen Familie ist ihm seine Frau, ein Sohn und die Schwester seiner Frau, die wiederum ihren Mann und drei Kinder verloren hat.

Natürlich habe er Angst davor, dass das Meer noch einmal so wütend wird wie am 26. Dezember, sagt er. Trotzdem zieht es ihn zurück auf sein Stück Land. "Ich bin Fischer, ich habe nichts anderes gelernt."

Obwohl sein Grundstück zum Friedhof geworden ist, hat Sadisivam angefangen, Holzlatten und verbogenes Wellblech aufzusammeln. Neue Ziegelsteine kann er sich nicht leisten. Deren Preis ist an der Küste von zwei auf fünf Rupien das Stück hochgeschnellt. Ein Sack Zement kostet mittlerweile doppelt so viel wie vor der Katastrophe. Als wir Jayaraja Sadisivam später auf seinem Grundstück treffen, ist er gerade dabei, Blechplättchen mit einem Hammer so zu bearbeiten, dass er damit den Verschlag zusammenhalten kann.

Nun ließe sich dies wunderbar als Symbol für einen Neubeginn verwenden. Doch bislang ist in Batticaloa davon wenig zu spüren. Zwar muss in den Lagern niemand hungern, und die Zimmer in der Hand voll Hotels, die es in Batticaloa gibt, sind belegt mit Mitarbeitern ausländischer Hilfsorganisationen. Viele hätten auch bereits Hilfe zugesagt, sagt Commissioner Navaneethan. Doch abgesehen von der Notversorgung für die Überlebenden und einer Reihe Fertighäuser aus Schweden sind die beiden Fahrzeuge aus München die erste Hilfe, die bei der Stadtverwaltung tatsächlich angekommen ist.

Apathisch im Lager

Dass der Wiederaufbau so schleppend voran geht, liegt vor allem an der Haltung der srilankischen Regierung. Die staatliche Urban Development Authority plant eine Pufferzone entlang bestimmter Gebiete an der Ost- und Südküste. In einer Entfernung von bis zu 300 Metern vom Meer sollen die Häuser nicht wieder aufgebaut werden.

Diese bufferzone-Regelung wurde angeblich zum Schutz der Menschen erlassen, doch das glauben die wenigsten in den Lagern. Sie vermuten militärische Gründe: Bis zum Waffenstillstand vom 22. Februar 2002 griffen im Osten des Landes die Rebellen der Tamil Tigers immer wieder übers Meer an. Ein unbebauter Strand, so vermutet man in Batticaloa, ließe sich von der Armee leichter kontrollieren. Auch im touristischen Süden gibt es handfeste Interessen an einem freien Zugang zum Meer: Hier dürfte es nur eine Frage der Zeit und der Höhe der Schmiergelder sein, bis Hotels am Strand stehen.

Wird die bufferzone-Regelung verbindlich, darf die schmale Landzunge in Batticaloa, da sie von beiden Seiten vom Meer umgeben ist, nicht wieder besiedelt werden. Wer wie Jayaraja Sadisivam jetzt schon sein Haus aufbaut, kann also nicht sicher sein, dass er darin auch wird wohnen dürfen.

Die Folge ist, dass die meisten Menschen apathisch in den Lagern sitzen. Und das, sagt der Verwaltungschef von Batticaloa, "ist nicht gut für sie". Also versucht Commissioner Navaneethan, das Beste aus der Situation zu machen. 2500 Häuser müssen im Stadtbezirk gebaut werden. Navaneethan hat bereits 125 Hektar Brachland enteignet; die neue Siedlung Thiraimadu liegt zwei Kilometer im Hinterland. Teppichweber oder Schneider werden sich damit arrangieren können. Aber einer, der wie Sadisivam als Fischer vom Meer lebt, will auch am Meer wohnen.

Münchens Partnerorganisation UN-Habitat will deshalb in die Lager gehen um zu erfragen, welche Familien in eine der geplanten Neubausiedlungen ziehen möchten. Sobald sich eine Gruppe zusammengefunden habe, werde man mit ihnen gemeinsam überlegen, wo Schulen und Kindergärten entstehen sollen, sagt Fahmy Ismail von UN-Habitat Colombo. "Eine sinnvolle Planung, die die Bewohner mit einbezieht, braucht aber Zeit."

Sickergruben neben Brunnen

Momentan wollen die Helfer rund eine halbe Million Euro von den Spenden aus München dazu verwenden, Häuser zu reparieren oder neu aufzubauen. Auch müssen Straßen gebaut werden, damit die Siedlungen überhaupt erreichbar sind. Außerdem soll ein Teil der Spenden in die Infrastruktur der Siedlungen fließen - hier ist vor allem an Abwassersysteme gedacht.

Außerhalb des Stadtzentrum von Batticaloa gibt es bislang keine Kanalisation. Die Häuser dort haben Sickergruben, die teilweise nur vier, fünf Meter von den Brunnen entfernt liegen. "Das gefährdet das Grundwasser und damit die Gesundheit der Menschen", sagt Markus Spring, der Projekt-Koordinator der Stadt München. Er will auch darauf achten, dass die neuen Häuser nicht - wie in Sri Lanka üblich - mit Asbestzementplatten gedeckt werden. "Das ist eine tickende Zeitbombe."

© SZ vom 09.03.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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