Kartenschatz in Unibibliothek München entdeckt:Bastelbogen für den Adel

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Erst der Blick ins Internet machte aus dem Zufallsfund einen Sensationsfund: In der Unibibliothek München stößt Elke Humml auf eine der berühmtesten Globuskarten der Welt - doch zunächst weiß sie nicht, welchen Schatz sie gefunden hat. Wie Wikipedia bei der Recherche half, warum sie keinen Finderlohn bekommt - und welches berühmte Dokument sie als Nächstes aufstöbern soll.

Tobias Dorfer

Jahrhundertelang schlummerte sie unbemerkt in der Münchner Unibibliothek, jetzt hat eine Bibliothekarin zufällig ein bislang unbekanntes Exemplar der Weltkarte des berühmten Kartographen Martin Waldseemüller gefunden. Die in München gefundene Karte ist etwa 500 Jahre alt. Waldseemüller, der von 1470 bis 1522 lebte, wurde mit seiner drei Quadratmeter großen Weltkarte berühmt. Sie gilt als "Geburtsurkunde" Amerikas, weil der neu entdeckte Kontinent dort erstmals unter der Bezeichnung "America" auftaucht. Waldseemüller gilt als "Taufpate".

Kartenschatz in der Münchner Unibibliothek: Mitarbeiterin Elke Humml fand eine Globuskarte des berühmten Kartographen Martin Waldseemüller. (Foto: REUTERS)

Die große Karte übergab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2007 an die USA. Heute steht sie auf der Weltdokumentenliste der Unesco und ist in der Library of Congress in Washington zu sehen. Doch Waldseemüller schuf seinerzeit auch kleinere Globussegmentkarten, die Wissenschaftler als mindestens ebenso bedeutend einschätzen. Von diesen Karten waren bis zum Münchner Fund vor wenigen Tagen weltweit nur vier Exemplare bekannt. Eins davon wurde 2005 im Auktionshaus Christie's für umgerechnet mehr als 800.000 Euro versteigert. Das fünfte Exemplar fiel der Münchner Bibliothekarin Elke Humml vor wenigen Tagen per Zufall in die Hände. Ihr Chef Sven Kuttner sagt: "Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es einen Fund dieser Dimension nicht mehr gegeben."

Süddeutsche.de: Frau Humml, wie haben Sie in der Nacht nach dem Sensationsfund geschlafen?

Elke Humml: Super. Ich war total glücklich und zwei Tage voll auf Endorphine. Ohne Schmarrn: So habe ich mich noch nie gefühlt. Das ist eine Sternstunde in meinem Berufsleben.

Süddeutsche.de: Wie haben Sie die Karte überhaupt gefunden?

Humml: Ich arbeite als Bibliothekarin in der Abteilung "Altes Buch". Zu meinen Aufgaben gehört es, die Daten, die wir im Bibliothekskatalog bereitstellen, zu aktualisieren. An diesem Tag bin ich auf einem Fehler gestoßen, wie er immer wieder vorkommt. Ein Band war falsch katalogisiert, also habe ich ihn mir kommen lassen. Er sieht ganz unscheinbar aus, nicht einmal einen Zentimeter dick. Ich habe reingeschaut und innen war eine Karte eingebunden. 'Die ist aber hübsch', habe ich gedacht.

Süddeutsche.de: Haben Sie gewusst, was für ein wertvolles Stück Sie in den Händen halten?

Humml: Dass diese Karte wertvoll ist, war mir klar. Aber zunächst habe ich mich um meine normale Arbeit gekümmert. Danach bin ich mit der Karte zu einer Kollegin gegangen.

Süddeutsche.de: Und dann?

Humml: Na ja, eigentlich wollten wir nur schauen, wie wir die Karte korrekt in den Bestand einordnen, so dass sie auffindbar ist. Dafür mussten wir charakteristische Merkmale finden. Das war gar nicht einfach, weil kein Maßstab notiert war und die Karte nicht gut beschriftet war. Meiner Kollegin fiel dann auf, dass Amerika eingezeichnet ist. Schließlich hat uns der Globus-Eintrag auf Wikipedia geholfen. Dort ist am rechten Rand eine Abbildung der Waldseemüller-Globus-Karte zu sehen.

Süddeutsche.de: Hatten Sie den Namen Waldseemüller zuvor gehört?

Humml: Überhaupt nicht. Ich arbeite noch nicht lange in diesem Bereich. Als das Original, die große Karte, der USA geschenkt wurde, war ich gerade in einer anderen Abteilung und hatte deshalb den Hype nicht mitbekommen.

Süddeutsche.de: Die Karte sieht aus wie ein Bastelbogen für Kinder.

Humml: Es ist ein Bastelbogen, nur eben für Gelehrte, den Adel oder den Klerus. Unten steht ein Maßstab für eine Kugel. Die Karte soll ausgeschnitten und auf diesen Globus geklebt werden. Das habe ich auch gemacht.

Süddeutsche.de: Wie bitte?

Humml: Nicht das Original. Ich habe vorher eine Kopie gemacht, und die zerschnitten. Jetzt steht mein persönlicher Waldseemüller-Globus auf meinem Schreibtisch.

Süddeutsche.de: Wie hat Ihr Chef auf den Fund reagiert?

Humml: Er hat sich das Ganze angeschaut und langsam gesagt: "Das wird doch nicht die Waldseemüller-Karte sein ..."

Süddeutsche.de: Euphorie klingt anders.

Humml: Ja, er ist halt Wissenschaftler und deshalb angemessen vorsichtig. Stellen Sie sich vor, er bricht in Freude aus und am Ende irren wir uns alle. Aber zum Glück haben wir uns nicht geirrt.

Süddeutsche.de: Bekommen Sie einen Finderlohn?

Die Probe aufs Exempel: Elke Humml fertigte nach der von ihr gefundenen Waldseemüller-Karte einen Globus an. Natürlich nicht mit dem Original, sondern mit einer Kopie. Dieser Globus steht jetzt auf ihrem Schreibtisch. (Foto: UB München)

Humml: Nein. Das Glück, diese Karte gefunden zu haben, reicht mir schon.

Süddeutsche.de: Nicht einmal eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung?

Humml: Das gibt es beim Staat nicht. Nicht einmal eine Flasche Sekt haben wir geköpft. Wir waren alle so überwältigt von dem Fund, dass wir noch gar nicht gefeiert haben. Aber das kommt noch.

Süddeutsche.de: Wie kann es sein, dass ein solcher Schatz so lange unbeachtet bleibt?

Humml: Der Altbestand der Unibibliothek ist riesig. Etwa 500.000 Titel von 1501 bis 1900 sind bei uns archiviert. Außerdem ist die große Waldseemüller-Karte erst 1871 bekannt geworden. Wenn vorher jemand die Karte gesehen hat, hat er sie sich angeschaut und wieder zugeklappt. Es ist wie beim Flohmarkt: Wer einen Schatz finden will, muss sich gut auskennen - und Glück haben.

Süddeutsche.de: Wo ist die Karte jetzt?

Humml: Die liegt jetzt in einem feuersicheren Tresor. Wo dieser Tresor steht und wie er gesichert ist, darf ich nicht sagen. Aber an die Karte komm ich jetzt nicht mehr ran. Schade eigentlich. Aber ich habe meinen Chef gefragt, welchen Schatz ich als Nächstes finden soll.

Süddeutsche.de: Und?

Humml: Er meinte, ein Fragment des Nibelungenlieds wäre nicht schlecht.

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